Seniorenheim in Germering:Der nächste Pflegeskandal

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Nach der BRK-Einrichtung nun das Vitalis-Haus in Germering: Eine Hilfskraft berichtet von untragbaren Zuständen. Angehörige fordern über die Verhängung des Aufnahmestopps hinaus ein konsequenteres Einschreiten der Heimaufsicht.

Stefan Salger

Kaum haben sich die Wogen rund um die Fürstenfeldbrucker BRK-Einrichtung etwas geglättet, rückt das nächste Seniorenheim im Landkreis in den Blickpunkt: Im Germeringer Haus Maria Magdalena, das der bundesweit tätigen Vitalis-Gruppe gehört, soll es ebenfalls eklatante Mängel geben. Eine Hilfskraft spricht von "gefährdeten Bewohnern", die vergeblich auf einen Arzt warten, von völlig unterbesetzten Stationen und gravierenden Verständigungsschwierigkeiten mit Personal, das in Osteuropa angeheuert worden ist. Besonders absurd: Angeblich sollen Hilfskräfte, die selbst lediglich über eine vierwöchige Ausbildung verfügen, neu hinzugekommene Fachkräfte anlernen.

Die Beschwerde ist kein Einzelfall. So haben sich in den letzten Wochen mehrere Angehörige an den Germeringer Sozialreferenten Herbert Sedlmeier gewandt. Er will das Gespräch mit der Heimleitung suchen. Weitere Personen haben die Heimaufsicht und die Regierung von Oberbayern informiert. Geschehen aber sei, abgesehen von dem am 26. Juli zum zweiten Mal verhängten Aufnahmestopp, nicht viel, klagt die Frau eines Bewohners. Ebenso wie die Pflegekraft und andere Angehörige will sie nicht namentlich genannt werden, weil sie ihren Mann nicht in Schwierigkeiten bringen will. Sie zahle viel Geld für den Betreuungsplatz. Da könne sie erwarten, dass ein Mindestmaß an Pflege gesichert sei.

Die Heimaufsicht am Landratsamt bestätigte am Donnerstag den Eingang von Beschwerden über Vitalis. Eine Prüfung habe ergeben, dass die Fachkraftquote von mindestens 50 Prozent nicht erfüllt sei. Vier von etwa 40 Fachkräften fehlten. Zudem wurden Trinkwasserprotokolle nicht geführt, Medikamente nicht sachgemäß verabreicht und mindestens in einem Fall wurde ein Bewohner nicht richtig gelagert. Die Vitalis-Zentrale in Dresden räumt Probleme ein. Von Montag bis Mittwoch waren Mitarbeiter des Qualitätsmanagements in Germering. Geschäftsführerin Susanne Häfner hofft, spätestens Ende September wieder alles im Lot zu haben. Sie könne sich aber nicht vorstellen, dass die von der Pflegehelferin geäußerten Vorwürfe in diesem Umfang zuträfen.

Diese wird in einem Brief an Robert Gruber, Mitglied des Facebook-Forums "Pflegeaktivist", sehr deutlich. Sie schildert den Verlauf einer regelrechten Abwärtsspirale in dem Haus, das Anfang 2010 eröffnet worden war. Krankheits- und kündigungsbedingt habe sich der Personalengpass nach einem Wechsel der Heimleitung im Frühsommer 2011 verschärft. Auch eine Angehörige spricht von einer Zäsur: "Von da an ging's bergab." Auf Beschwerden soll die Heimleiterin sinngemäß gesagt haben, man solle eben ausziehen, wenn einem etwas nicht passe.

Nach Darstellung der Pflegehelferin gab es Doppelschichten, "teilweise arbeitete eine Pflegekraft alleine auf Stationen mit bis zu 34 Bewohnern. "Eine Fachkraft war für vier Stationen zuständig." Ein im August verhängter Aufnahmestopp durch die Heimaufsicht wurde im Januar aufgehoben, weil es mit Hilfe von Zeitarbeitskräften und Freiberuflern gelungen war, die Lage in den Griff zu bekommen. Als alle 126 Betten wieder belegt waren, wurde es nach Darstellung der Mitarbeiterin wieder schlechter. Im April dieses Jahres wurden Kräfte aus Polen und Litauen geholt. Die seien "sehr willig und nett", sagt eine Angehörige, "aber auch überfordert. Die können ja fast kein Deutsch."

So gab es offenbar Probleme mit dem Ausfüllen von Protokollen und dem Bestellen von Medikamenten - und wegen Verständigungsschwierigkeiten manchmal nicht einmal ordentliche Übergaben beim Schichtwechsel. Im Arbeitsalltag hätten kaum ausgebildete Helfer die Aufgaben von Fachkräften übernommen, so die Pflegehelferin. Sie kümmerten sich um den Kontakt zu Ärzten und teilten Medikamente aus. Für die Ansprache der Bewohner, fürs Waschen oder die körperliche Mobilisierung freilich blieb dadurch kaum mehr Zeit.

Sie selbst, so schildert es die Mitarbeiterin, habe mehrmals Ärzte informiert, beispielsweise wegen beunruhigender Blutdruckwerte oder einer Bindehautentzündung - nachdem die zuständigen Fachkräfte dies viele Tage versäumt hätten. Von der Heim- und Pflegedienstleitung heiße es auf Hilferufe lapidar: "Wir können ja auch kein Personal herbeizaubern."

Die Pflegehelferin selbst ist fertig mit den Nerven: "Wir arbeiten bis zur psychischen und physischen Erschöpfung" schreibt sie. Auf Nachfrage der SZ bestätigt sie, man habe "das Gefühl, bei der Heimleitung gegen eine Wand zu laufen. Ich bin nur noch wütend." Auch nach dem Aufnahmestopp müssten sich regelmäßig zwei Leute um 33 Bewohner kümmern.

Nach Einschätzung der Heimaufsicht sind die Missstände aber nicht so eklatant wie sie im BRK-Haus in der Buchenau waren. Fünf Osteuropäer, die bereits in Vollzeit arbeiten, würden offiziell erst nach einem erfolgreichen Deutschtest anerkannt. Über Kontrollen, die Auferlegung einer Berichtspflicht und den Erlass eines Aufnahmestopps hinaus gebe es kaum eine rechtliche Handhabe, so Landratsamtssprecher Christian Obojkovits.

Ordnungsrechtlich bliebe in besonders schweren Fällen das Beschäftigungsverbot für die Heimleitung oder eine Schließung des Hauses. Zurzeit sind 111 Bewohner in der Einrichtung an der Augsburger Straße untergebracht, mehr dürfen es vorerst auch nicht werden. Abgesehen von den Heimen in Germering und in der Buchenau besteht zurzeit für keines der weiteren 15 Senioreneinrichtungen im Landkreis ein Aufnahmestopp.

Die Heimleitung in Germering war am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

© SZ vom 10.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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