Regenerative Energie:In der heißen Phase

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Das Geothermie-Projekt der Stadtwerke München zwischen Freiham und Germering liegt im Zeitplan. Wenn alles klappt, sollen die Bohrungen am 3. März beendet sein

Von Ellen Draxel, Freiham

Vor wenigen Tagen erst hat der Bohrmeißel die unterste Schicht der zweiten von insgesamt vier Bohr-Etappen erreicht, 1630 Meter tief unter der Erdoberfläche. Jetzt werden die neun Meter langen Bohrstangen - jede einzelne sieht aus wie die riesige Version eines Heimwerker-Bohrers - Stück für Stück wieder ans Tageslicht der Bohrstelle am Germeringer Weg geholt. Zwei Männer mit gelben Schutzhelmen spannen gerade die dafür notwendige Hebevorrichtung in den Drehkopf ein, schrauben Gewinde fest und signalisieren den Kollegen im Fahrstand, Stange Nummer 57 jetzt aus dem Loch zu ziehen.

Nahe der S-Bahn-Haltestelle Freiham verwirklichen die Stadtwerke München (SWM) derzeit ein ambitioniertes Projekt. Um den neu entstehenden Stadtteil und die benachbarten Viertel von 2016 an mit umweltfreundlich erzeugter Fernwärme beheizen zu können, errichten sie im Münchner Westen ihre stadtweit dritte Geothermie-Anlage. Sie soll 90 Grad heißes Thermalwasser aus 2500 Meter tiefen Kalksteinschichten nach oben pumpen. Das Wasser wird, nachdem ihm mittels Wärmetauscher die Energie entzogen wurde, anschließend wieder in die Tiefe zurückgeführt. Etwa 16 Millionen Euro lassen sich die Stadtwerke die zwei dafür nötigen Bohrungen in Freiham und Aubing kosten.

Der 54 Meter hohe Bohrturm in Aubing ist ein weithin sichtbares Zeichen des Projekts: Dort soll das abgekühlte Wasser einmal ins Erdreich zurückfließen. "Wir müssen bis Anfang März noch einmal so tief runter wie jetzt, insgesamt 3200 Meter", erklärt Daniel Schindler von der Baufirma Anger's Söhne Bohr- und Brunnenbaugesellschaft. Durch Mergel und Sandstein bis ins sogenannte Malm, eine wasserdurchlässige Schicht, entstanden aus einem ehemals subtropischen Korallenriff. Machbar ist das nur mit komplexer Technik. Die erste Bohrung, die sogenannte Förderbohrung drei Kilometer weiter südlich, wurde bereits im November abgeschlossen.

54 Meter hoch ist der Bohrturm der Geothermie-Anlage, die Bohrstangen wiegen 100 Kilo pro Quadratmeter. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie eine Mini-Ölplattform sieht das Gelände am Germeringer Weg aus, belegt mit Rohren, Gummi-Leitungen und Hydraulik. Ein überdimensionaler Greifarm schließt sich gerade um zwei verbundene Bohrstangen aus dem Bohrturm und legt sie auf einem Plateau ab. Die Stangen biegen sich durch, so schwer sind sie. "Das Metallgestänge wiegt hundert Kilo pro Meter", sagt Bohringenieur Schindler. Der Stabilisator zwischen Bohrmeißel und Stangen bringt es gar auf eine Tonne. Nur derart schweres Gerät schafft es, sich durch massive Gesteinsschichten zu fressen.

Das Bohrprinzip, erläutert Schindler, sei immer dasselbe. " Es macht keinen Unterschied, ob man nach Öl, Gas oder Wasser bohrt." Der erste Bohrkopf hat einen Durchmesser von fast 60 Zentimetern, er gräbt sich durchs Gestein und wird nach getaner Arbeit wieder nach oben geholt. Danach setzt die Baufirma ein Rohr in das entstandene Bohrloch ein, um es zu sichern. Dieses Rohr wird einzementiert. Der nächste Bohrmeißel, der das Rohr passiert, ist kleiner. In Aubing schabt er sich bis zu 20 Meter pro Stunde in die Tiefe. Seine Zähne sind mit Industriediamanten besetzt und extrem hart. Immer dünner werden die Bohrkanäle, je tiefer es nach unten geht - wie bei einer ausziehbaren Antenne. Dabei wird nicht senkrecht gegraben, sondern mit einer Neigung von 70 bis 80 Grad - um ein möglichst großes Reservoir unter der Erde aufzuschließen. Etwa zehn Bohrwerkzeuge, der teuerste Bohrkopf hat einen Wert von rund 70 000 Euro, werden verschlissen sein, bis die Bohrung beendet ist.

Bislang hat in Aubing alles bestens geklappt, drei Tage liegt man vor dem Zeitplan. Ob das so bleibt, weiß niemand. "Vor der Hacke ist es duster", heißt es unter den Bohrleuten. "Wir können nicht sehen, wo wir reinbohren", erklärt Daniel Schindler das Selbstverständliche.

Erst die Auswertung des Staubs und der Steinchen, die vom Kühlwasser des Bohrers nach oben gespült werden, zeige das Ergebnis. Der graue Schlamm fließt durch Schüttelsiebe, Dampf und ein fischiger Geruch steigen auf. "Den Duft", sagt er, "erzeugen die Polymere." Chemische Stoffe, die auch in der Nahrungsmittelindustrie verwendet und der Spülung zugesetzt werden, reagieren mit den Steinen. Die 50 Grad Celsius, die durchs Bohren entstehen und den Kühlwasser-Schlamm erhitzen, verstärken den Effekt noch. Dieter Neumayer ist Geologe, er analysiert die Gesteinsproben auf der Bohrstelle. Röhrchen, gefüllt mit Material aus der Tiefe, liegen fein säuberlich beschriftet auf dem Sideboard in seinem Container: Mergel- und Sandstein, mal grob, mal fein. "Geothermie-Bohrungen", sagt Neumayer, "leisten einen wissenschaftlichen Beitrag zur Erforschung der Erdschichten". Am 3. März soll die Bohrung in Aubing beendet sein, dann wären die Stadtwerke ihrer "Vision 2040" ein gutes Stück näher gekommen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Der Betrieb ist nur mit komplexer Technik möglich.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Auf der Baustelle sind auch Biologen zugange,...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...die Gesteinsproben auswerten.

Bis in 25 Jahren, so das Ziel des Energieversorgers, soll München die erste deutsche Großstadt werden, in der Fernwärme zu hundert Prozent aus regenerativen Energien gewonnen wird. "Der Wärmemarkt wird, auch von der Politik, bislang zu Unrecht vernachlässigt", findet der Versorgungschef der Stadtwerke, Stephan Schwarz. Dabei würden in deutschen Haushalten rund 90 Prozent der eingesetzten Energie für Heizung und Warmwasserbereitung verwendet.

Die Münchner setzen bei dem Ausbau auf die Geothermie: Die nächste Bohrung ist 2018 auf einem Stadtwerke-eigenen Gelände, dem Heizkraftwerk Süd an der Schäftlarnstraße, vorgesehen. Wo sonst noch Anlagen sinnvoll sind, eruieren derzeit Vibro-Seismik-Messungen. Bis kommenden März rollen futuristisch aussehende Trucks durch 170 Quadratkilometer südliches Stadtgebiet und senden Schwingungen in den Boden, um den Untergrund genauer zu untersuchen. "Eine solch große Messung, besonders in einer Millionenstadt, hat es bisher noch nie gegeben, das ist ein Novum", sagt Schwarz. Ergebnisse sind, nach umfangreichen Analysen, aber frühestens nach einem Jahr zu erwarten.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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