IHK:Frauen und Flüchtlinge für die Wirtschaft

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Den Betrieben fehlen zunehmend Fachkräfte. Auf der Herbstversammlung der IHK diskutieren sie neue Wege, um Personal zu gewinnen und junge Auszubildende in ihren Berufen zu halten

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Von Vater oder Mutter wollen sich junge Menschen nur ungern belehren lassen. "Bei Opa und Oma funktioniert das schon besser", sagt Franz Schropp. Genau diesen altersbedingten Vorteil wollen ehemalige Fach- und Führungskräfte, die mittlerweile im Ruhestand sind, nutzen, um Jugendliche während ihrer Berufsausbildung zu unterstützen und mögliche Abbrüche dieser Ausbildung zu verhindern. Das entsprechende Projekt "Vera" stellte Schropp nun bei der Herbstsitzung des Gremiums Dachau-Fürstenfeldbruck der Industrie- und Handelskammer (IHK) vor. Es ist ein Baustein in den Bemühungen, Fachkräfte für die Wirtschaft zu rekrutieren und zu erhalten.

Denn "die Bewerberlücke in der regionalen Wirtschaft verharrt auch heuer auf hohem Niveau", hatte die IHK zu Beginn des neues Ausbildungsjahres vor einigen Wochen festgestellt. In den Betrieben im Landkreis Fürstenfeldbruck waren zu diesem Zeitpunkt noch 250 von mehr als 800 angebotenen Lehrstellen frei - fast jeder dritte Ausbildungsplatz. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssten um jeden Azubi kämpfen, sorgte sich Michael Steinbauer, der Vorsitzende des IHK-Gremiums Dachau-Fürstenfeldbruck. Das Problem betrifft alle Branchen, insbesondere aber Einzelhandel und Gastronomie. Im Landkreis Fürstenfeldbruck begannen zum 1. September 336 Jugendliche eine Lehre bei IHK-zugehörigen Unternehmen, das sind immerhin 16 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Was Wirtschaft und Bildungseinrichtungen gemeinsam für mehr Fachkräfte tun können, stand deshalb auf der Tagesordnung der IHK-Herbstversammlung. Das Projekt "Verhinderung von Abbrüchen" (Vera) ist ein Versuch, dort anzuknüpfen, wo bereits bestehende Ausbildungsverhältnisse gefährdet sein könnten. 24 Prozent der Ausbildungsverträge würden bundesweit noch vor der Abschlussprüfung beendet, sagte Franz Schropp. Wer aber seine Berufsausbildung abbreche, habe als ungelernte Arbeitskraft schlechtere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Auf der anderen Seite sei es für die Betriebe schwierig, diese Stellen nachzubesetzen.

Deswegen versuchten ehrenamtliche Ausbildungsbegleiter, die vom Senior Experten Service (SES), einer Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH, gestellt würden, den jungen Auszubildenden rechtzeitig zu helfen. "Sie haben in der Regel keine fachlichen, sondern soziale Probleme", weiß Schropp, einer von zwei Regionalkoordinatoren des Projekts, und vielfach wüssten junge Leute einfach nicht, was in einem Beruf verlangt würde. So habe die steigende Präsenz von Fernsehköchen dazu geführt, dass viele gerne Koch werden möchten, "aber wenn man ihnen dann sagt, dass das auch Arbeit am Abend und am Wochenende bedeutet, dann ist das wieder out".

Die Ausbildungsbegleiter unterstützen die jungen Lehrlinge bei der Berufsorientierung, bei der Verbesserung fachtheoretischer Kenntnisse, bei der Prüfungsvorbereitung, der Behebung sprachlicher Defizite oder der Förderung sozialer Kompetenzen. Die Erfolgsquote der Betreuung, die nur mit Zustimmung des Azubis möglich ist, ist hoch: 81 Prozent der begleiteten Jugendlichen, so Schropp, hätten ihre Ausbildung weitergeführt, abgeschlossen oder einen neuen Ausbildungsplatz gefunden.

Zu mehr Fachkräften könnte aber auch das Anwerben von Frauen führen. Viele Frauen, die 40 Jahre und älter sind, möchten nach der Familienphase wieder in einen Beruf einsteigen, aus einem Minijob in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wechseln oder einen Neuanfang als Selbständige wagen, hätten aber häufig "Angst, sich wieder auf den Arbeitsmarkt zu begeben, weil sie denken, sie könnten nichts mehr", weiß Julia Engelmann von der Servicestelle "Frau und Beruf". Sie appellierte an die anwesenden Unternehmer, sich für Netzwerktreffen mit den Frauen zur Verfügung zu stellen und ihnen Betriebsbesuche und Praktika zu ermöglichen. Denn anders als in ihrer Selbstwahrnehmung verfügten diese Frauen "über mehr Kompetenz als in der ersten Phase ihrer Berufstätigkeit". Gerade in der Elternzeit hätten sie sich wichtige Schlüsselqualifikationen wie Verantwortung, Organisation und Entscheidungsfähigkeit angeeignet und trainiert. Zudem seien diese Frauen "motiviert und leistungsbereit".

Ein weiteres Fachkräftereservoir könnten in Zukunft Flüchtlinge darstellen. "Wir hätten kein Problem, wenn Flüchtlinge einen guten Job machen, sie als Mitarbeiter einzustellen", sagte Jürgen Biffar, stellvertretender Vorsitzender des IHK-Gremiums, und sprach sich generell für ein Zuwanderungsgesetz als auch für "regional unterschiedliche Gesetze" aus: "Wir können den Großraum München nicht mit Rostock vergleichen." Eine einheitliche Meinung dazu hatten die Unternehmer allerdings nicht. "Das ist doch illusorisch", antwortete Michael H. Rosenheimer, der ehemalige Gremiumsvorsitzende.

Von Andrea Reuß, der Leiterin der Brucker Berufsschule, in deren Räumen die Sitzung stattfand, erfuhren die Unternehmer, dass an der Berufsschule derzeit 60 junge Flüchtlinge unterrichtet werden, dass aber weitere hundert auf einen solchen Platz warteten. Unerfreulich für die Betriebe war Reuß' Mitteilung, wonach die Lehrerversorgung an der Berufsschule nur bei 80 Prozent liege. Das könne die Betriebe nicht unbeeindruckt lassen, schließlich gehe es dabei "auch um die Versorgung unserer Fachkräfte", befand Michael Steinbauer: "Eine Petition einzureichen, wäre hier vielleicht eine Unterstützung."

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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