Flüchtlinge aus Syrien:Angekommen in Eichenau

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Die Alkhylfefs im Wohnzimmer: Waafa Al Hamoud (auf dem Sofa von links) mit den Töchtern Orkeed, Sedra und Salsabeel sowie Ehemann Hayel Alkhylef und (vorne von links) Sohn Saraj, Tochter Meena und Neffe Bahaa. (Foto: Günther Reger)

Die achtköpfige Familie Alkhylef aus Syrien darf in Deutschland bleiben und hat eine Unterkunft gefunden. Ohne den Asylhelferkreis wäre dies auf dem fast leer gefegten Immobilienmarkt aber kaum gelungen

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

In einem Haus in Istanbul lernt Meena, was eine Wand ist. Die Dreijährige erschrickt sich wohl, denn die Wand gibt nicht nach wie das Zelt, in dem sie fast zwei Jahre lebte. Die Zeit im einem Camp mit Abertausenden Zelten an der türkisch-syrischen Grenze und die anschließende Flucht werden weder Meena noch ihre Geschwister und Eltern je vergessen. Heute hat sich die mittlerweile Vierjährige daran gewöhnt, zusammen mit den Schwestern ein Zimmer zu haben, durch dessen Wände es nicht zieht. Seit August sind es auch nicht mehr die Wände in einer Asylunterkunft in Puchheim, in der die achtköpfige syrische Familie von Hayel Alkhylef lebte, sondern die eines Einfamilienhauses an der Jahnstraße in Eichenau.

Meena ist angeblich diejenige in der Familie, die am besten deutsch spricht. Aber das Mädchen ist schüchtern und hält sich zurück. Dafür geben ihre 15 Jahre alte Schwester Salsabeel und der 16-jährige Bruder Saraj ausgiebig Auskunft darüber, wie es der Familie ergangen ist, seit am 12. Juli 2012 ihren letzten Wohnort in Syrien verlassen mussten. Dass die Familie nun in Eichenau wohnen und endlich auch zur Ruhe kommen kann, hat viel damit zu tun, wie die Mitglieder im örtlichen Asylhelferkreis organisiert sind und sich für ihre Schützlinge einsetzen.

Hilfe bei der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben nennen sie das im Helferkreis, und dazu gehört, dass es Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung gibt. Denn sobald ein Asylbewerber die ersehnte Zusage bekommen hat, in Deutschland bleiben zu können, müsste er eigentlich aus einer Notunterkunft ausziehen. Er würde als obdachlos eingestuft, und die Gemeinde, in der er bislang lebte, müsste eine Bleibe für ihn suchen. Im Asylhelferkreis aber haben sie Yasemin Bilgic, die mit ganz offensichtlichem sicherem Gespür auf dem im Grund leer gefegten Wohnungsmarkt immerhin schon mehr als 30 Wohnungen in Eichenau und der weiteren Umgebung für anerkannte Asylbewerber gefunden hat. Für die Familie Alkhylef musste sie sich aber nicht bemühen.

Denn Ibrahim El-Mahgary, der im Helferkreis dolmetscht, ist der neue Nachbar der syrischen Familie. Er kennt die Vormieter in der Jahnstraße und erfuhr von deren Umzug ins Nebenhaus. El Mahgary vermittelte die Wohnung an Hayel Alkhylef und dessen Frau Waafa Al Hamoud, deren fünf Kinder und den mittlerweile 18 Jahre alten Neffen Bahaa Alhamood. Der Eichenauer El-Mahgary kennt Alkhylef schon aus der Zeit, als der Syrer in der Asylunterkunft am Schreberweg wohnte. Als die Familie nach der Ankunft der Frau mit den Kindern in Puchheim eine größere Bleibe fanden, hielt er Kontakt. Nun, nachdem die Familie vor einem Jahr in Deutschland wieder zusammenkam, sind El-Mahgarys Übersetzungen kaum mehr vonnöten. Die Kinder besuchen entweder Kindergarten und Grundschule in Eichenau, den M-Zweig der Mittelschule in Puchheim oder die Realschule und können schon gut Deutsch. Die Eltern besuchen den Deutschkurs A 1 und lernen an vier Tagen der Wochen jeweils vier Stunden - der wichtigste Schritt auf dem Weg zur Integration.

Die Eingewöhnung in Eichenau geht für die Jugendlichen und Cousin Bahaa langsam. Schließlich haben sie durch den Schulbesuch in Puchheim dort Freunde gefunden. An ihrem neuen Wohnort müssen sie diese Freundschaften erst aufbauen. Bahaa, Salsabeel und Saraj besuchen die neunte Klasse im M-Zweig der Mittelschule und haben vor, auf weiterführende Schulen zu kommen. Saraj wollte mal Physiker werden, jetzt kann er sich auch Zahnarzt als Beruf vorstellen. Er weiß, dass er ein gutes Abitur braucht, um Medizin studieren zu können. Auch sein Cousin Bahaa möchte studieren. Pharmazie soll es sein, weil er Apotheker werden möchte. Ein Praktikumstermin in der Johannes-Apotheke in Gröbenzell ist schon ausgemacht.

Saraj und sein Cousin unternehmen viel zusammen, fahren nach München, um im syrischen Friedenschor von Ahmad Abbas mitzusingen. Dort treffen sie auf andere syrische Flüchtlinge. Selbst haben sie keine Kontakte mehr in die Heimat. Eine Tante Bahaas lebt wohl noch dort, es gibt keine neuen Nachrichten.

Die Kinder von der Familie Alkhylef haben in der Schule vergleichsweise schnell den Anschluss gefunden und doch festgestellt, dass zum Beispiel in Chemie und Physik anders unterrichtet wird als in Syrien. Sie hatten auch schon Englisch und Französisch als Fremdsprachen, und zumindest den Englischunterricht konnten sie notdürftig im Flüchtlingslager fortsetzen. Salsabeel erzählt, dass es dort für 8000 Schüler zwei Englischlehrer gegeben habe. Der Stundenplan glich deshalb mehr einem Schichtplan, in dem die Kinder und Jugendlichen untergebracht werden mussten. Zweieinhalb Jahre ging das so, bis sich der Vater aufmachte, zusammen mit Tausenden anderen über die Balkanroute nach Deutschland zu gelangen. Als Hayel Alkhylef in Eichenau war, machte sich auch seine Frau mit den fünf Kindern und dem Neffen auf den gefährlichen Weg über das Meer und den langen Landweg. Die siebenköpfige Gruppe kam zunächst in Nürnberg unter, ehe es in Puchheim zur Familienzusammenführung kam. Dort ging es dann für die älteren Kinder gleich in die Mittelschule, die zehnjährige Sedra kam in die Grundschule Süd, von der aus sie in diesem Schuljahr auf die Puchheimer Realschule wechselte. Ihr liegt Mathematik, sie hat ein wenig Klavier gelernt, jetzt möchte sie Violine probieren. Und sie liest gerne. In der kommenden Woche wird sie in der Eichenauer Gemeindebibliothek an einem Projekt teilnehmen, bei dem aus einem Buch in drei verschiedenen Sprachen gelesen wird. Sedras Part ist der arabische. Sedras sechsjährige Schwester Orkeed ist seit heuer in der Eichenauer Grundschule und lernt fleißig.

Den Kindern der Alkhylefs ist bewusst, dass sie in absehbarer Zeit nicht wieder zurückkehren werden nach Syrien. Salsabeel und Bahaa sagen übereinstimmend, dass es wohl noch viele Jahre dauern werde, bis Frieden herrsche. Sie zweifeln aber daran, ob der dann auch halten werde.

Kindern wie Eltern ist es jetzt wichtig, eine gute Nachbarschaft zu haben. Darauf legt Vater Hayel sehr großen Wert. Jetzt im Herbst kümmert er sich um einen gepflegten Garten - wie andere Eichenauer auch.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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