Frühling in der Stadt:Blendende Aussichten

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Kaum steigen die Temperaturen und verziehen sich die grauen Wolken, greift der Münchner zur Sonnenbrille - um damit nicht nur den besten Platz im Tambosi zu erschauen, sondern auch das andere Geschlecht.

Von Stephan Handel

Wenn die Fernsehsendung damals nicht "Was bin ich?" geheißen hätte, sondern "Woher bin ich?", und ein Münchner hätte seine Herkunft mittels einer typischen Handbewegung symbolisieren sollen, dann wäre das Rätsel einfach gewesen: Seine rechte Hand hätte er zur Schläfe geführt, dort mit Daumen und Zeigefinger einen imaginären Gegenstand gegriffen und ihn aufs Haupthaar befördert. Gewiefte Ratefüchse hätten den Gegenstand ohne Weiteres als Sonnenbrille identifiziert, und schon wäre die Aufgabe gelöst gewesen: "Aha! Ein Münchner!"

Tipps fürs Wochenende
:Raus in den Frühling

Der Frühling hat München nicht vergessen, er kommt mit Verspätung in die Stadt. Zeit, ihn an diesem Wochenende zu genießen.

Fünf Tipps aus der SZ-Redaktion

Die Sonnenbrille vom Auge auf die Stirn zu bewegen, das haben die Leute in der Stadt jetzt lange genug vermisst. Allerdings ist es ja nicht mehr so, dass der Stenz mit jeder dahergelaufenen Ray Ban genügend Eindruck schinden könnte im Tambosi oder am Rindermarkt. Da trifft es sich bestens, dass gerade jetzt, wo der Frühling anscheinend doch endlich auf den grünen Zweig kommt, die Firma "Wood Fellas" augenschützendes Glas auf den Markt bringt, das von allem etwas hat: vom Stil, vom Distinktionsgewinn, denn noch sind die Gestelle wohl ein Geheimtipp, und vom Korrekten. Wood Fellas nämlich sammelt in Möbelfabriken Abfälle von Edelholz, schreddert die irgendwie neu zusammen und bastelt daraus Brillen, seit Neuestem auch in einer München-Kollektion. So gibt es unter anderem die Modelle Glockenbach, Lenbach, Stachus und Odeon, aber auch Säbener - wahrscheinlich mit eingebautem Sieger-Effekt - und Wiesn, jeweils in Ebenholz, Walnuss oder Zebrano. Dann nur noch das Surfbrett hinten rein ins Cabrio oder das Longboard unter die Sneakers, da werden die Mädels in der Maximilianstraße aber schauen.

Der Frühling kommt in die Stadt

Im Ernst: Nun, da dem Winter endlich die Schneedecke weggezogen ist, nach langer Kälte, als die meisten meinten, sie würden nie mehr rauskommen aus Rollkragen-Bikini und den gefütterten Flipflops, nun endlich riecht die Luft wie frisch gewaschen und nach Motorradfahren. Nun, so schreibt Rainer Maria Rilke, führt sich die Erde auf wie ein Kind, das Gedichte weiß, wozu Kurt Tucholsky anmerkt: "Lenz! Dich hätten wir beinah vergessen", und Max Dauthendey begibt sich auf die Optiker-Seite: "Wie wenig Welt tut schon den Augen gut" - unklar, ob er damit die sonnenbebrillte oder die sonnenbeschienene Erde gemeint hat. "Wenn die Geigen lauter geigen und die Selbstmordziffern steigen, merkt man gleich, der Frühling ist jetzt nah", dichtete hingegen Georg Kreisler, aber der ist ja auch Wiener und bekam so gesehen das Suizidale schon in die Wiege gelegt.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

In München tragen sogar Hunde Sonnenbrillen und natürlich sitzen sie damit nicht irgendwo, sondern im Cabrio.

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(Foto: Robert Haas)

Es lässt sich bei schönem Wetter aber auch gut die Zeit in der Hängematte...

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(Foto: Robert Haas)

...oder im Biergarten des Seehauses vertreiben.

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(Foto: Stephan Rumpf)

München wird jedenfalls jubilieren und vibrieren an diesem Wochenende.

München hingegen wird jubilieren und vibrieren an diesem Wochenende, dazu braucht es ganz bestimmt nicht die feststehenden Accessoires der Frühlingslyrik, denn die sind selten im Metropolen-Gewirr: Nachtigall, Lerche, Krokus, Veilchen. Hier irrt Rilke übrigens: "Der Frühling ist waldeigen und kommt nicht in die Stadt", dichtete er, was aber nur heißen kann, dass er noch nie im April am Flaucher war, am Chinaturm oder am Seehaus, da könnte er aber mal sehen, wie der Frühling in die Stadt kommt, masskrugweise sozusagen.

Die Stadt richtet sich nach Süden aus

Leicht einmal gibt es Streit um die Sonnenplätze, denn dort geht das Melatonin weg und das Carotin kommt, was die Müdigkeit verjagt und die Haut bräunt. Im bereits erwähnten Tambosi am Odeonsplatz haben sie gleich alle Stühle nach Süden ausgerichtet, weil sowieso niemand mit dem Rücken zur Sonne sitzen will, was andererseits den Nachteil hat, dass niemand die nigelnagelneue "Wood Fellas"-Sonnenbrille in all ihrer ökologischen Korrektheit bemerkt. Dort ist übrigens auch eine Beobachtung zu machen, für die Matthias Claudius schon vor mehreren Jahrhunderten die passende Zeile geschrieben hat: "Im Frühling grünen wieder auch die alten Bäume", was in diesem Fall eigentlich seriöse ältere Herren meint, denen aber nun offenbar ein Hormonschub zuteil wird. Dieser äußert sich im Tragen farbiger Hosen zu Segelschuhen sowie im kennerhaften Zungeschnalzen, falls eine gut aussehende Frau - früher: Hase - den Weg kreuzt.

Den seriösen älteren Herren, wie überhaupt allen frühlingshaft Aufgeregten, sei da eine eher nüchterne Sicht auf die Dinge nahegelegt, wie sie schon Friederike Brion empfohlen hat: Frühling, so schreibt sie, ist, "wenn man sich mit frischem Mut / Schnittlauch in das Rührei tut".

© SZ vom 10.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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