Freisinger Köpfe:Täternamen sind ein Tabu

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Das Schicksal des späteren Freisinger Oberbürgermeisters Max Lehner hat Politikwissenschaftler Guido Hoyer in einem Vortrag vorgestellt. (Foto: Marco Einfeldt)

Damit die Opfer in Erinnerung bleiben: Der Freisinger Politikwissenschaftler Guido Hoyer forscht in den Archiven über die Verfolgten des Naziregimes und den Widerstand im Dritten Reich. Menschen aus dem Landkreis widmet er sich besonders.

Von Tobias Wagenhäuser, Freising

An diesem Montag vor 83 Jahren hat Adolf Hitler den Reichstag auflösen lassen. Vor einer Woche hielt Guido Hoyer im Asamfoyer einen Vortrag mit dem Titel "Max Lehner in der NS-Zeit - Geschichte einer Verfolgung". Hoyer ist Landesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgen des Naziregimes (VVN) und Stadtrat in Freising. Der 47-jährige Politikwissenschaftler forscht nebenbei zur Geschichte der Verfolgten und des Widerstands. Im April erschien sein Buch über Gedenkorte im Landkreis Freising. Zum Interview-Termin verspätet er sich wenige Minuten. Als er ankommt, sagt er: "Tut mir leid, bei meinem Metzger war Stau." Wegen seiner Tätigkeit als Stadtrat habe er später noch eine Sitzung im Rathaus, aber bis dahin habe er Zeit, sagt Hoyer, und bestellt eine Schorle. In der Bar, in der das Gespräch stattfindet, herrscht reges Treiben.

SZ: Am Montag waren im Asamfoyer ungefähr 110 Zuhörer. Zufrieden oder überrascht über den Andrang?

Guido Hoyer: Ja, ich bin sehr zufrieden. Es war eine gut besuchte Veranstaltung.

Wie darf man sich Ihre Recherchearbeit vorstellen? Ziehen Sie von Archiv zu Archiv und schauen, wo Sie fündig werden?

Genau, prinzipiell in allen greifbaren Archiven. Wobei ich sagen würde, dass die Staatsarchive in München für mich am wichtigsten sind. Aber auch das Stadtarchiv Freising ist eine große Fundgrube sowie Archive in Berlin, die Kirchenarchive, die Archive der Gedenkstätten. Man darf eigentlich keines auslassen, denn die Akten sind eher bruchstückhaft überliefert. Oft sind es auch einfach Zufallsfunde, die man dann mosaiksteinartig zusammensetzt, um annähernd ein Bild zu bekommen.

Und die Zeit dafür haben Sie durch Ihre Stelle als Landesgeschäftsführer der VVN?

Nein, das hat damit nichts zu tun. Bei der VVN leite ich die Geschäfte des Landesverbands, bereite Konferenzen vor, kümmere mich um Korrespondenz und so weiter. Das ist ein ganz normaler Verwaltungsjob. Die Forschung betreibe ich dann in meiner Freizeit.

Wie viele Stunden pro Woche forschen Sie denn im Schnitt?

Das kann ich so nicht sagen, es ist mal mehr, mal weniger. Manchmal bin ich wochenlang in Archiven unterwegs, aber dann gibt's auch wieder ruhigere Zeiten, in denen ich vor dem Büro schnell mal eine Akte lese.

Kommt es vor, dass Sie durch oder wegen der Recherchen auf Anfeindungen oder Kritik stoßen?

Nicht in nennenswertem Umfang, nein. Wobei ich ja in erster Linie die Geschichte der Opfer erzähle. In der Regel haben die Leute nichts dagegen, wenn man erwähnt, dass ihr Großvater im Konzentrationslager war. Wenn man Täter nennt, schaut das natürlich anders aus. Und natürlich hört man von Stammtischen, wo es heißt: "Kann jetzt nicht endlich Ruhe sein?", klar. Auch im Nachklang zu meinen Vorträgen. Aber die meisten Leute sind sehr interessiert.

In den meisten Stammbäumen der Deutschen finden sich zwischen 1933 und 1945 interessante, oft auch brisante Geschichten. Wie schaut es da in der Familie Hoyer aus? War das der Funke für Ihr Interesse?

Gesprochen haben meine Großeltern eigentlich nur über die Vertreibung aus dem Sudetenland und wie schrecklich das alles war. Als ich nach dem Tod meines Großvaters nach Akten im Bundesarchiv gesucht habe, stellte sich heraus, dass mein Opa schon mit 16 in die sudetendeutsche Nazipartei eingetreten und später sogar bei der SS war. Meine Großmutter schreibt später in ihren Lebenslauf zur Begründung ihrer Arbeitslosigkeit, dass sie nicht für Tschechen arbeiten wollte. Da war sie lieber arbeitslos. Heute kann ich darüber sprechen, weil die Betroffenen inzwischen alle verstorben sind.

In einer Umfrage haben 62 Prozent der Befragten angegeben, dass in ihren Familien "so gut wie nie" über die Zeit des Zweiten Weltkriegs gesprochen wird . . .

. . . glaube ich sofort, ja. Diese Verdrängung war ein entscheidender Punkt für mein Interesse.

Was für einen Wert hat es, wenn darüber gesprochen wird - ohne die Schuldkeule zu schwingen. Warum ist es wichtig für die Menschen vor Ort und für ihre Stadt?

Also, ich erlebe, dass viele Menschen einfach dankbar sind. Es hat ja nicht jeder die Zeit, in die Archive zu gehen. Außerdem - das Beispiel Max Lehner zeigt es sehr schön: Es gibt keine Kollektivschuld oder -unschuld. Menschen sind Individuen und handeln individuell. Und an Menschen wie Max Lehner muss erinnert werden, solche Leute können heute noch Vorbild sein.

(In diesem Moment wird Hoyer freudig von einer Frau mittleren Alters begrüßt, die gerade die Bar betreten hat.)

Guido Hoyer: Ah, hallo! Das ist übrigens Frau Ratzinger. Sie ist die Bayernchefin der VVN.

Mastaneh Ratzinger: Ja, aber heute inkognito ( lacht) . Ich warte auf meine zwei Flüchtlinge. Die müssen heute einen Eignungstest für die Berufsschule machen . ( zu Hoyer) Ich hab gehört, der Montag war ein großer Erfolg?

( Die beiden wechseln ein paar Worte. Mastaneh Ratzinger erzählt, wie ihr Pflegesohn Adam neulich bei ihr war, als im Fernsehen eine Dokumentation über ein Konzentrationslager lief. Es sei ein Schreck für den jungen Eritreer gewesen, plötzlich dieses andere Deutschland zu sehen.)

Herr Hoyer, was war der Grund, warum Sie zur VVN gegangen sind?

Frau Ratzinger war ein Grund. Sie war damals schon in Freising aktiv und hat mich sehr beeindruckt. Ich bin aber auch öfter als Gast zu den Veranstaltungen der VVN gegangen. Damals waren wir wirklich noch von der verfolgten Generation geprägt. Ende der 1980er bin ich dann als Jugendlicher beigetreten und war überrascht, wie viel Optimismus die ehemaligen Opfer ausstrahlten.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass laut einer Umfrage von 2005 die Hälfte der Deutschen nicht wusste, was am 20. Juli 1944, dem Tag des gescheiterten Attentats auf Hitler, passiert ist?

Also, ich kenne die genaue Umfrage jetzt nicht, aber es kann schon daran liegen, dass der Schulunterricht nicht überall gleich gut ist. Wenn die Umfrage schon älter ist, haben viele vermutlich auch Unterricht bei Lehrern gehabt, in deren Zeit noch viel verdrängt wurde.

Ungefähr jeder dritte Deutsche meint, er fühle sich über die Geschehnisse vor 1945 "nicht besonders gut informiert". Fehlt es immer noch an Orten des Gedenkens, an Museen, Stolpersteinen und dergleichen?

Gedenkkultur ist etwas, das - glaube ich - sehr stark vor Ort stattfinden muss. Am besten immer mit konkreten örtlichen Begebenheiten oder mit konkreten Namen. Deswegen bin ich ein großer Anhänger der Stolpersteine. Ich hoffe, dass wir auch im Landkreis Freising noch weitere verlegen werden. Vielleicht komme ich dieses Jahr noch dazu, ein Buch zu veröffentlichen über die jüdischen Einwohner Freisings. Ich hab mittlerweile auch die Entschädigungsakten nach 1945 einsehen können.

Sind mit dem Historischen Verein weitere Vorträge geplant? Am Montag hatte Sie der Vorsitzende ja gebeten, die Nachkriegszeit Lehners zu beleuchten.

Das Thema "Max Lehner als OB" ist in der Tat sehr spannend und ich wäre offen dafür. Möglich wären auch Vorträge über Verfolgte, die nach 1945 im Freisinger Stadtrat saßen. Das war eine ganze Reihe! Aber noch ist nichts vereinbart worden.

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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