Großbaustelle Westtangente:Spritzbeton und Staubwolken

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Die Arbeiten zur Westtangente, mit 86,5 Millionen Euro Kosten Freisings derzeit teuerstes Projekt, laufen auf Hochtouren. In Vötting beim Tunnelbau leiden die Anwohner am meisten unter Lärm und Stau.

Von Alexandra Vettori, Freising

Am Abend war er besonders schön, der Blick nach Westen ins Freisinger Moos, wenn sich die Gräser silbrig im Wind bewegten und die Lerchen zwitscherten. Die Frau im Gemüsegarten stützt sich auf ihre Harke, ein bitterer Zug liegt um ihren Mund. Ihren Namen möchte sie nicht nennen, es hat schon so viel Ärger gegeben, letztlich alles umsonst. Was sie jetzt sieht, wenn sie gen Westen schaut, ist nicht beschaulich, ein hoher Erdwall. Es wird auch nicht wieder beschaulich, wenn der Wall verschwindet. Er ist nur aufgeschüttet, um mit seinem Gewicht den Torf im Erdreich unter der neuen Umgehungsstraße Westtangente zu stabilisieren.

Ins Moos wird die Frau auch dann nicht mehr vom Garten aus sehen, denn wenn die Westtangente Ende 2020 fertig ist, brausen in gut 100 Metern Entfernung unablässig Autos vorbei. "Wir haben einen schönen Hof gehabt, und die haben uns quer durch unseren Grund die Straße gebaut", sagt die Frau. Kurz vor der Enteignung, haben sie die dreieinhalb Hektar an die Stadt abgetreten, "es hilft ja nichts", sagt sie und beginnt wieder zu harken.

Dass das Mammutprojekt umgesetzt wird, haben die Freisinger per Bürgerentscheid selbst bestimmt

Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das die Stadt Freising nach jahrzehntelangen Diskussionen angepackt hat, um die Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu entlasten. 86,5 Millionen Euro kosten die gut dreieinhalb Kilometer Umgehungsstraße, der 700 Meter lange Tunnel unter dem Stadtteil Vötting ist da eingerechnet, ebenso die acht Brücken, die über Bäche und Gräben am Rand des Freisinger Mooses und die Bahnlinie führen. Großflächig musste für den Tunnelbau Grundwasser abgesenkt werden, die Moosach, die hier vorbei fließt, wird umgeleitet. Dass das Mammutprojekt nach so langer Zeit doch noch umgesetzt wird, hat die Freisinger Bevölkerung 2013 per Bürgerentscheid selbst bestimmt. 56,5 Prozent der Wähler waren dafür, jedenfalls von den 64,6 Prozent, die abgestimmt haben.

Szenenwechsel: Ein älteres Ehepaar sitzt im Infocontainer der Stadt an der Lise-Meitner-Straße, es ist Donnerstagnachmittag, Westtangenten-Sprechstunde. Hier im Nordwesten der Stadt beginnt die Baustelle der Umgehungsstraße mit einem Riesen-Bauplatz vor dem künftigen Tunneleingang. Eigentlich hätten die städtischen Mitarbeiter mit technischen Fragen gerechnet, tatsächlich kommt an diesem Donnerstag nur dieses Ehepaar, das sich beschwert, weil es aus seinem Grundstück in Vötting wegen der Bauarbeiten nicht mehr gut ausfahren kann. Man verspricht, sich zu kümmern. Beschwerden gibt es derzeit viele im Bauamt der Stadt, sie klingen meist so, wie die des Ehepaares.

Ein Wunder ist das keines. In Vötting, wo beim Bürgerentscheid damals über 70 Prozent der Wähler gegen die Westtangente stimmten, ist nichts mehr, wie es war. Umleitungen, Sperren, Staus und immer das Dröhnen der Bohrer, Lastwagen und Baumaschinen. Hier, an der Giggenhauser Straße, wo sich die Bohrer und Bagger in die Erde graben und eine tiefe Kluft in den fast dörflichen Stadtteil geschlagen haben, steht ein weiterer Betroffener, der hadert, seinen Namen aber auch nicht sagen möchte. Keinen Steinwurf von der Tunnel-Baustelle entfernt, steht sein Elternhaus. Die Gartenhecke ist grau von Staub. "Sie haben eine Reifenwaschanlage, aber die benutzen sie nicht, weil Betonringe davor liegen", schimpft er, "wenn hier die Betonmischer vorbei fahren, das ist eine Wolke, da husten sie nur noch." Er war einer der letzten, die keinen Grund an die Stadt abgetreten haben. Enteignet sei er dann doch nicht worden, erzählt er, aber der Besitz ist eingewiesen, 8 500 Quadratmeter. "Das heißt, sie machen da, was sie wollen, aber es bleibt mein Grund", erzählt er. Sie, das ist die Stadt, mit der er so lange gerungen hat. Der Grund, sagt er bitter, sei jetzt ohnehin wertlos, "Sie können nicht bauen, wenn der Tunnel drunter ist."

Spezial-Bagger für den ersten Tunnelabschnitt rücken im Mai an der Thalhauser Straße an

An der Giggenhauser Straße, unter der einst der Tunnel verlaufen wird, ändert sich dessen Bauweise. Während die ersten 400 Meter ab der Thalhauser Straße in bergmännischer Bauweise in die Erde getrieben werden, folgen die letzten 300 Meter bis zum Moos in Deckelbauweise, des moorigen Untergrunds wegen. Die Spezial-Bagger für den ersten Abschnitt rücken im Mai an der Thalhauser Straße an. Abschnittsweise baggern sie sich dann in zehn Metern Tiefe voran gen Süden. Damit das Erdreich nicht abrutscht, wird sofort Spritzbeton aufgebracht. Im Rathaus ist man zufrieden mit dem Bauverlauf, alles im Kosten- und Zeitplan, heißt es.

Dass die Stadtmitte dringend Entlastung vom Durchgangsverkehr braucht, weiß jeder, der schon mal in einem der 23 500 Fahrzeuge saß, die sich täglich und zu Stoßzeiten im Schritttempo durch die Johannisstraße quälen. Allerdings ist umstritten, wie groß die Abhilfe durch die Westtangente wird. Das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten geht von 19 Prozent Verkehrs-Abnahme in der Johannisstraße aus, die Westtangenten-Gegner sprechen von nur zehn Prozent. Sicher ist nur, wo der nächste Brennpunkt entsteht: Im Süden vor den Toren der Stadt, da, wo sich Westtangente und Bundesstraße 11 kreuzen und an der Isarbrücke, die auf dem Weg zum Flughafen zu überqueren ist. Aber dort sind wenigstens nur die Autofahrer genervt, und keine Anwohner.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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