Freising:Kaffeekasse klauen, aus dem Gefängnis ausbrechen - und ab auf die Wiesn

Lesezeit: 3 min

So sah es früher im Freisinger Gefängnis aus, in dem heute neben einem Museum auch ein Lokal untergebracht ist. (Foto: Marco Einfeldt)

Freisings letzter Gefängniswärter erzählt kuriose Geschichten aus der ehemaligen Haftanstalt.

Von Tobias Wagenhäuser, Neufahrn

Mittlerweile wird Heinz Seyfried auf den Straßen in Freising und Neufahrn kaum noch erkannt. Früher war das anders, da grüßte so mancher mit einem "Grüß Gott, Herr Wachtmeister!". Seyfried war der letzte Justizvollzugsbeamte Freisings, bevor das Gefängnis geschlossen und später zu einem Lokal umfunktioniert wurde. Mittlerweile lebt der 79-Jährige in Neufahrn - aber wenn er einmal von seiner Zeit als Wärter erzählt, öffnet sich ein spannendes Kapitel Freisinger Geschichte.

Der Tagesablauf für die Häftlinge, die bis zur Schließung 1965 eine Strafe in Freising absaßen, liest sich so: Um sechs Uhr morgens wurde der Hausarbeiter, einer der Insassen, geweckt. Um sieben Uhr wurden Kaffee, Brot und Margarine verteilt. Bis 7.30 Uhr mussten die Eimer, die als Latrine dienten, entleert sein. Danach rückte man zum Arbeiten aus. Gefangene hatten pro Woche eine Besuchszeit von einer halben Stunde. Um 17.30 gab es Abendbrot, eine Stunde später war jeder wieder in seiner Zelle. Um 22 Uhr wurde das Licht gelöscht.

Aber auch für diejenigen, die beruflich ihre Zeit hinter Gittern verbrachten, war es kein Zuckerschlecken. Seyfried wohnte von 1960 an mit seiner Familie im zweiten Stock des Gefängnisses. Vorher war er Hausmeister in einem Jugendgefängnis gewesen. Er und seine Freisinger Wärterkollegen waren das komplette Jahr über zu zweit für den Betrieb verantwortlich. War einer von ihnen im Urlaub, gab es nur einen Wächter, der sich um die 15 bis 25 Gefangenen in den rund 20 Zellen kümmerte.

Bis zur Schließung 1965 arbeitete Heinz Seyfried im Freisinger Gefängnis, später in Stadelheim. Heute wohnt er in Neufahrn. (Foto: Marco Einfeldt)

Kleine Ganoven, die manchmal ausbrechen

Die Frauen der beiden Männer mussten oft mit einspringen, kochen, einkaufen oder Tordienst halten. Bezahlt wurden sie dafür nicht. Einmal pro Woche kam ein Pfarrer vom Domberg herunter und las eine kleine Messe. "Wir waren eigentlich ein Familiengefängnis", erzählt Seyfried. Schließlich saßen in Freising nur Kleinkriminelle ein. "Das waren Radldiebe, Besoffene, die nicht gezahlt hatten, Schwarzfischer und so weiter." Die meisten von ihnen waren nur Tage oder wenige Wochen hinter Gittern. Die längste Haft an die sich Seyfried erinnert, seien drei Monate gewesen. Schwerverbrecher wurden nach München oder Landshut in größere Haftanstalten verlegt.

Nach "richtigen Ganoven" klingen allerdings die Geschichten mancher Ausbrüche, die sich in den fünf Jahren unter Seyfried zutrugen. Einmal sei ein Häftling samt Gitter Richtung Domberg ausgebüxt. Man machte sich schon Sorgen, denn so ein Vorfall musste bis zum dritten Tag dem Ministerium gemeldet werden, das alles andere als erfreut gewesen wäre. Seyfried träumte in der Nacht, der Häftling würde sich selbst stellen. Am Morgen danach klingelte der Flüchtige tatsächlich am Gefängnistor - allerdings mit seinem Vater, zu dem er geflohen war und der die Flucht seines Juniors offenbar für keine vernünftige Idee gehalten hatte. "Da hatte er Glück, dass Entweichungen, also Ausbrüche, an sich ja nicht strafbar sind", meint sein ehemaliger Aufseher.

Ein anderes Mal entwich seinem Kameraden eine Insassin und machte sich barfuß aus dem Staub. Wenig später fing man sie in einer Schreinerei in Marzling wieder ein. Bei einem dritten Ausbruch entfloh ein Delinquent samt Kaffeekasse über die Dachrinne und besuchte mit dieser sogar das Münchner Oktoberfest. Sein Ausflug währte aber nur kurz, und die Polizei brachte ihn von der Wiesn zurück - das Geld hatte er da aber bereits verprasst.

Manchmal wurde Tischtennis gespielt

Dass sich die meisten Häftlinge gut benahmen, zahlte sich für sie auch aus. Einmal hatten sie sogar eine Tischtennisplatte für den Hof angeschafft, wo man manchmal sogar mit den Häftlingen zusammen spielte. Zwar wollte der Oberamtsrichter die Platte wieder entfernen lassen, doch Seyfried wandte sich wiederum direkt an dessen Vorgesetzen, ans Münchner Ministerium, und bewirkte, dass der Zeitvertreib erhalten blieb. Mögliche Beförderungen durch den Amtsrichter hatte das allerdings erst einmal merklich verzögert.

Der Abschied von Freising war für Heinz Seyfried " sehr traurig", wie er sagt. Bis zuletzt hatten er und sein Kollege gehofft, man würde statt Freising das Erdinger Gefängnis dichtmachen. Doch es kam anders. Nachdem das Gefängnis wegen abnehmender Rentabilität und baulicher Mängel geschlossen wurde, arbeitete er noch 21 Jahre im Gefängnis in Stadelheim. Dort hatte er plötzlich eine Schar von mehr als 200 Kollegen und keine große Mitverantwortung mehr für das Gefängnis.

Der größte Wunsch den Seyfried, der bald seinen 80. Geburtstag feiert, ist der Nachbau eines Latrineneimers für das Gefängnismuseum, wie sie auch noch in den Sechzigern in jeder Zelle standen. Ein Foto und einen originalen Bauplan hat er bereits, es fehlt nur noch ein williger Handwerker, der ihm und dem Museum diesen Gefallen erweisen könnte. Freiwillige können sich unter der Nummer 08165/3541 melden.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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