Energiewende:Eine Aufgabe, für die man brennen kann

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Albrecht Gradmann und Moritz Strey sind die beiden Energiebeauftragten im Freisinger Landratsamt. Oft ist es für sie frustrierend zu sehen, wie wenig in Sachen Klimaschutz passiert. Doch sie geben nicht auf

Interview Von Laura Dahmer und Clara Lipkowski, Freising

Die Energiewende im Landkreis wollen Moritz Strey (links) und Albrecht Gradmann vorantreiben - sie teilen sich eine Stelle im Landratsamt. (Foto: Lukas Barth)

Von vielen Seiten kommen derzeit Hiobsbotschaften, die Energiewende sei nicht zu schaffen, wenn es weitergeht, wie bisher. Der Landkreis hat sich zum Ziel gemacht, bis 2035 Strom nur noch aus "Erneuerbaren" zu beziehen. Wie aber steht es insgesamt um die "Wende" im Landkreis? Die Energiebeauftragten des Landratsamts, Albrecht Gradmann und Moritz Strey, im Gespräch.

SZ: Herr Strey, Herr Gradmann, vor welchen Problemen steht die Energiewende im Landkreis?

Moritz Strey: Wir haben im Sektor Strom gut vorgelegt. Aber wir haben ja noch Wärme und Verkehr. Da gibt es noch nicht so viele erneuerbare Lösungen, wie wir uns wünschen würden. Zum Beispiel können wir nicht unsere komplette Wärmeenergie über Biomasse erzeugen, dafür müssten wir zu viele Wälder abholzen. Auch wollen wir nicht alle Felder mit Mais vollpflanzen, um Biogas zu produzieren. Langfristig ist das Ziel, den Großteil elektrisch über Wärmepumpen zu heizen. Im Verkehr gehen wir den Weg der Elektromobilität. Wobei an erster Stelle natürlich die Vermeidung stehen muss. Fährt jeder alleine mit dem Auto, ist das nicht gerade effizient. Es gilt: Wo kann man Energie sparen? So verschwenderisch, wie wir jetzt sind, können wir nicht weitermachen.

Albrecht Gradmann: Generell bei der Energiewende muss man gucken, dass alle an einem Strang ziehen. Langfristig ist Konsens der einzige Weg.

Sie teilen sich die Stelle. Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?

Strey: Im Grunde ist unsere Aufgabe, Werbung für die Energiewende zu machen. Wir versuchen, die Aktivitäten der Gemeinden zu vereinheitlichen . . .

Gradmann: . . . so, dass man eine landkreisweite Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema macht. Da gibt es zwei Säulen: Das Klimaschutzbündnis der Bürgermeister. Da informieren wir über den Stand der Energiewende. Und die "Solarregion Freisinger Land", ein Zusammenschluss der ehrenamtlichen Vereine, die die Wende vorantreiben. Im Moment sind die Solarfreunde Moosburg und Sonnenkraft Freising sehr aktiv. Über das Jahr organisieren wir verschiedene Aktionen zum Thema. Dazu gehören Thermografiespaziergänge, Gerätetauschaktionen, Stadtradeln und in diesem Sommer der Festakt zum zehnten Jahrestag des Energiewendebeschlusses.

In ländlichen Gegenden fahren Busse selten. Wer nicht warten will, nimmt das Auto, in der Regel kein E-Auto, weil es an Ladesäulen fehlt.

Strey: Da möchte ich vehement widersprechen. Es ist schon heute möglich, problemfrei das Elektroauto zu laden. Sie laden zu Hause oder beim Arbeitgeber. Wenn Sie eine öffentliche Ladestation brauchen, steht sie zur Verfügung. Es geht, von A nach B zu kommen. Europaweit.

Also auch im Landkreis?

Strey: Ja.

Gradmann: Natürlich hat nicht jeder Parkplatz eine Steckdose. Aber es ist nicht wirklich ein Henne-Ei-Problem, dass man sagt, das E-Auto kann erst dann kommen, wenn die komplette Lade-Infrastruktur steht.

Strey: Außerdem rüsten die Kommunen Ladestationen nach, mit Förderprogrammen. Hallbergmoos etwa investiert 200 000 Euro.

Wie steht es um die Wende im ÖPNV?

Gradmann: Da muss man noch Erfahrungswerte abwarten. In München etwa werden gerade Hybridbusse getestet.

Strey: Das Problem ist, dass wir als Landkreis nicht Busse im Zehn-Minuten-Takt zur Verfügung stellen können, um einen attraktiven ÖPNV zu haben. Denn hinterher kommt die Kommune auf uns zu und sagt: Diese Geisterbusse brauchen wir nicht. Aber jedes Jahr wird das im Fachausschuss des Kreistags besprochen und Geld gegeben, um die Regionalbusverbindungen zu optimieren. Pro Jahr investiert der Landkreis hier 3,5 Millionen Euro. Man kann nicht mit dem Finger schnipsen und hat das Ergebnis, das ist ein Prozess.

Bei der Windkraft ist der Landkreis schlecht aufgestellt - mit nur zwei Windrädern. Hat die 10-H-Regelung dieser Energiequelle den Todesstoß versetzt?

Strey: Sagen wir nicht Todesstoß. Aber die Regelung hat die Bürger unglaublich verunsichert. Die Auflagen für Windräder sind sehr streng - das ist richtig so. Das Bundesimmissionsschutzgesetz regelt, wie viel Schatten auf ein Haus fallen darf, den Schallschutz, Ausgleiche für die Schädigung des Landschaftsbilds. Und wenn in der Nähe ein Uhu nistet, darf die Anlage nicht gebaut werden. Viele vertrauen diesem Genehmigungsverfahren, das ja im Landratsamt durchgeführt wird, nicht mehr. In meinen Augen ist die 10-H-Regelung zusätzlich zu dem Gesetz überflüssig.

Es gibt Proteste gegen Windräde ...

Strey: ... die teils unbegründet sind. Wenn jemand sagt, dass eine Windkraftanlage zu laut ist, muss man sagen, ja, sie produziert einen bestimmten Lärm, aber innerhalb von Grenzwerten, die relativ niedrig sind. Wir brauchen diese Alternativen zu den fossilen Brennstoffen. Klammern wir eine Energiequelle aus, schaffen wir die Wende nicht. Das Problem ist: Jetzt muss sich der Bürgermeister hinstellen und sagen: Ich bin für Windkraft. Damit wird er zur Zielscheibe, das ist unfair. Aber Gemeinderäte und Bürgermeister müssen entscheiden, dass sie die 10-H-Regel außer Kraft setzen. Und, es existiert immer noch der Glaube, eine Windkraftanlage würde Infraschall produzieren. Ein völliger Blödsinn. Berichte des Umweltbundesamts beweisen, dass es keinen gesundheitsgefährdenden Infraschall an Windkraftanlagen gibt. Trotzdem stellt sich bei Veranstaltungen irgendein Arzt hin und behauptet das, fern aller Fakten. So werden die Befürchtungen bestärkt. Unser Recht ist gut und schützt Bürger und Natur. Deswegen fordere ich, unser Rechtssystem zu nutzen und bei Fehlentscheidungen zu klagen.

Wie können Bürger bei der Energiewende "mitgenommen" werden?

Gradmann: Für sie ist es sehr wichtig zu wissen, dass es sich finanziell lohnt, in erneuerbare Energien zu investieren. Denn bei Wärmepumpen oder Solaranlagen ist es ja der Hausbesitzer, der erhebliche finanzielle Entscheidungen zu treffen hat. Da kommen wir ins Spiel und informieren. Mit dem Solarpotenzialkataster etwa. Mit diesem Online-Tool kann künftig jeder sehen, ob das eigene Haus PV-geeignet ist.

Freising bezieht aktuell 71 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren. Wie sind die fehlenden 29 Prozent zu schaffen?

Strey: Uns fehlen nicht 29 Prozent, sondern viel mehr, da wir künftig Strom auch für Verkehr und Wärme nutzen, das verdoppelt den Strombedarf. Wir haben den Luxus, dass wir in Freising Biomasseanlagen und viel Wasserkraft haben - Isar, Amper. Aber damit sind wir am Limit. Daher: Windkraft und PV.

Gradmann: Was klar sein muss: Das sind nicht 71 Prozent der Energiewende. Wärme und Mobilität machen die anderen zwei Drittel aus.

In ganz Bayern sind es knapp 39 Prozent. Wieso steht Freising so gut da?

Strey: Wir haben mittlerweile mehr als 1000 Ehrenamtliche in Solarvereinen und Privatpersonen, die seit Jahren Photovoltaik installieren oder ihr Dach sanieren. Wir haben auch die erste deutsche wirtschaftliche Solaranlage in Freising. Dass sich viele Leute dafür engagieren, hat eine lange Tradition - und dass sie erkannt haben, dass die Energiewende auch Lösung sein kann: Sie schafft Arbeitsplätze.

Auch in Freising? Zum Beispiel, wenn langfristig das Kohlekraftwerk Zolling stillgelegt werden sollte?

Strey: Ja. Wenn das Kraftwerk irgendwann abgeschaltet wird, haben wir hinterher mehr Arbeitsplätze in den erneuerbaren Energien. Das steht außer Frage: Schon heute geht die Agentur für erneuerbare Energien von 330 000 Arbeitsplätzen in Deutschland aus. Runtergerechnet auf den Landkreis sind das mehr als 350. Im Kraftwerkspark Zolling rechnet man mit 200. Für einen sozial verträglichen Wandel muss man aber rechtzeitig und gemeinsam gangbare Lösungen finden.

Trotz aller Errungenschaften gibt es erhebliche Zweifel am Fortgang der Energiewende. Ist Ihr Job frustrierend?

Gradmann: Meine Arbeit macht mir Spaß, sonst würde ich sie nicht machen. Natürlich ist es oft frustrierend zu sehen, wie wenig passiert und dass die Zeit wegrennt. Aber die andere Seite ist, dass es eine Aufgabe ist, für die man brennen kann, wo man sich, als Vater von drei Kindern, sagt: Hier muss man den Hebel ansetzen.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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