Wenn die Eltern Suchtprobleme haben:Vergessene Kinder

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Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler, der CSU-Politiker Erich Irlstorfer und Fachleute diskutieren über Hilfen für Heranwachsende, deren Eltern süchtig sind. Probleme bereitet die Finanzierung der Therapien.

Von Clara Lipkowski, Freising

Julia, 16 Jahre alt, kann nicht mehr schlafen. Sie ist ständig nervös, seit vor zwei Jahren daheim ein Streit eskalierte. Der Vater hatte die Mutter geschlagen, weil sie wieder getrunken hatte. Oder Nils: Er schläft mit Schlittschuhen. "Der spinnt doch", hatte die Mutter gedacht. "Ich nehm' die mit ins Bett, weil ich Mama verteidigen muss", sagte er. Zuvor hatte die Mutter alle Messer aus der Küche verbannt, weil ein Dealer sie mit einem solchen attackiert hatte. So hat es Bärbel Würdinger, Leiterin der Suchtberatungsstelle Prop in Freising, am Montagabend geschildert. "Hilfe für Kinder in suchtbelasteten Familien" war das Thema eines "Dialoggesprächs" mit CSU-Bundestagsabgeordnetem Erich Irlstorfer. Aus "Dialog" und "Gespräch" wurde eine Diskussionsrunde zwischen Irlstorfer, Fachleuten der Freisinger Suchtberatung und der Bundesdrogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU).

"Ein Drittel der Kinder aus suchbelasteten Familien entwickeln eine Sucht, ein Drittel wird psychisch krank und nur ein Drittel geht ohne Einschränkungen durchs Leben", sagte Familientherapeutin Bärbel Würdinger. Mortler, seit 2014 Drogenbeauftragte des Bundes, ergänzte: "2,6 Millionen Kinder wachsen in Deutschland in suchtbelasteten Familien auf." Etwa jedes fünfte bis siebte Kind ist betroffen - auch im Landkreis. Höchste Zeit also, die Kinder in den Fokus zu rücken. Ein Problem sahen die Diskutanten darin, dass junge Betroffene von Jugendpsychologen oft gar nicht diagnostiziert würden. Daher wünschten sich die Fachleute eine Clearingstelle in Freising. Eine Prop-Mitarbeiterin kritisierte zudem: "Was mich so stört, ist die Diskrepanz bei Kassen und Pflegeversicherungen, Erwachsene gut zu unterstützen, Kinder aber nicht." "Nur Behandlungen von Volljährigen können über die Rentenversicherung oder Krankenkasse refinanziert werden", erklärt Dagmar Fischer, Suchttherapeutin bei Prop. "Wir können nur Beratung anbieten, aber keine Behandlung, weil wir keine klassische Zulassung haben, wie Psychologen." Daher forderten Prop-Mitarbeiterinnen, eine Suchtbehandlung schon ab 14 Jahren zu ermöglichen.

"Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, Familien mehr Geld in die Hand zu geben"

Damit Kinder nicht "übersehen" werden, warb Marlene Mortler für "Lotsen": Ein zuständiger lokaler Suchtberater solle die ganze Familie im Blick behalten. Wie betroffene Familien finanziell unterstützt werden können, wurde entlang einer klassischen CSU-Idee diskutiert, dem Betreuungsgeld. Irlstorfer schlug vor: "Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, Familien mehr Geld in die Hand zu geben, um im häuslichen Umfeld für die Kinder zu sorgen." So hätte ein Elternteil mehr Zeit für die Erziehung. Dagegen sprachen sich gleich mehrere Zuhörerinnen aus: Das mache keinen Sinn, sagte eine Sozialpädagogin, es seien geeignete Einrichtungen und Fachpersonal nötig, mahnte sie. Seien Eltern nicht in der Lage, bringe es nichts, daheim zu erziehen, hieß es in der Runde. Mortler mahnte, man müsse immer die Balance wahren: "Es macht sich ein Denken breit, dass der Staat alleiniger Dienstleister ist." Sprich, die Verantwortung liegt auch bei den Familien. Marie Lehner, bei Prop für die Jugendsprechstunde zuständig, entgegnete: "Zu mir kommen viele, die sehr froh sind, gerade nicht mit ihren Eltern darüber sprechen zu müssen."

Claudia Kronfellner, Leiterin des Freisinger Jugendhilfeverbunds Nord kritisierte, dass der nördliche Landkreis zur Behandlung von Suchtkranken schlecht angebunden sei. Eine methadonabhängige Frau mit drei Kindern könne kaum ihre Behandlung in Freising machen, berichtete sie. Darauf antwortete Landrat Josef Hauner (CSU), die Busverbindungen seien bereits verbessert worden, aber in manchen Fällen seien spezielle Lösungen nötig. Irlstorfer sagte: "Es gibt Wege und Möglichkeiten, Kinder in Häusern unterzubringen. Wir haben diese Häuser." Daraufhin erhielt er Widerspruch von mehreren Seiten. Das letzte, was Kinder aus suchtbelasteten Familien wollen, sei, aus der Familie herausgerissen zu werden.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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