Freimann:Für Jalal und die anderen

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Die junge Fotografin Jana Roth hat in einem Flüchtlingscamp im Nordirak Menschen kennengelernt, denen sie nun eine beeindruckende Ausstellung in der Mohr-Villa widmet

Von Irini Bafas

Wenn Jana Roth über Jalal spricht, klingt ihre Stimme brüchiger als sonst. Ihn zu treffen, sagt sie, sei ein großes Glück gewesen. Ohne den Kurden hätte sie all die Menschen im Lager vielleicht nie kennengelernt. Und ohne ihn hätte sie das, was die Bewohner ihr erzählten, vielleicht nicht so schnell verarbeiten können. Es sind Geschichten von Flucht, Folter und Mord. "Wenn du hörst, was sie durchgemacht haben, kannst du ja nicht einfach in Tränen ausbrechen", sagt Roth. "Das geht nicht." Jetzt - fast eineinhalb Jahre später - ist sie es, die Jalal hilft. Auch für ihn stellt die 24-Jährige jetzt in Deutschland ihre Fotografien aus und sammelt Spenden.

"Ich habe dort manchmal mehr zu lachen gehabt als hier", sagt Jana Roth. Der 27-jährige Jalal (links) half ihr, Zugang zu dem Menschen im Flüchtlingscamp zu finden. Mittlerweile konnte der junge Mann in die Türkei fliehen. Die Münchner Fotografin versucht, ihm nun durch Spenden zu helfen. (Foto: Jana Roth)

Roth ist Fotografin, im November 2016 reiste sie für zwei Wochen in den Nordirak und dokumentierte die Situation im Flüchtlingscamp Essian. Noch bis Sonntag, 1. April, hängen ihre Bilder in der Mohr-Villa, daneben kleine Texte. Sie erzählen die Geschichten hinter den abgebildeten Menschen.

Roths Fotos zeigen den Alltag im Camp: Eine Frau beim Putzen, eine andere beim Zigarettendrehen. Ein Kind, das mit leeren Augen in die Kamera blickt, während hinter ihm die Sonne untergeht. Und Jalal, wie er in die Kamera lächelt und mit ein paar Kindern spielt. Die Fotografin porträtiert traurige Gesichter, aber auch fröhliche. Denn trotz der verheerenden Lebensbedingungen gebe es im Camp auch glückliche Momente. "Ich habe dort manchmal mehr zu lachen gehabt als hier", sagt sie. "Sollen die Menschen sich etwa den ganzen Tag selbst bemitleiden und ärgern?" Lachen sei der einzige Weg, es sich etwas leichter zu machen.

Das Flüchtlingscamp Essian liegt etwa 30 Kilometer vom syrischen Mossul entfernt. Zum Zeitpunkt von Jana Roths Reise war das Gebiet dort schwer umkämpft. (Foto: Jana Roth /oh)

Eigentlich wollte Jana Roth schon immer fotografieren, doch der Berufswunsch blieb lange ein Hobby. Als sie sich nach dem Abitur bei einem Fotografen bewarb, sagte der ihr: Nimm die Kamera in die Hand und geh reisen, sonst machst du nur Produktfotografie. Und Roth tat genau das. Sie war in Neuseeland, Mexiko, Südafrika und begann, sich mit Entwicklungshilfe zu beschäftigen. Lange arbeitete sie dann auch für eine NGO. Fotografieren wollte sie weiterhin. Trotzdem entschied sie sich, Politik und Jura zu studieren. Das sei der sicherere Berufsweg, dachte sie sich damals, und man könne vielleicht trotzdem etwas bewegen. In diesem Jahr wird sie ihr Bachelor-Studium abschließen.

Jana Roth studiert Politikwissenschaften und Jura (Foto: Catherina Hess)

Das Camp Essian liegt etwa 30 Kilometer vom zu Zeitpunkt ihrer Reise stark umkämpften Mossul entfernt. "Manchmal hat man die Explosionen gehört", erzählt sie. Für die Geflüchteten dort sei das Normalität gewesen, und auch Jana Roth gewöhnte sich daran. Eigentlich war sie ins Lager gereist, um für ein humanitäres Projekt einer NGO Sachspenden zu verteilen. Das mit den Fotos habe sich zufällig ergeben. Über andere Ehrenamtliche lernte sie Jalal kennen. Zu diesem Zeitpunkt lebte der 27-Jährige schon seit zwei Jahren mit seiner Mutter und drei Geschwistern im Lager. Jana und Jalal wurden Freunde, und er stellte sie den anderen Bewohnern im Camp vor. "Oft hatte ich ein Scheißgefühl, weil sich diese Menschen mir so geöffnet haben und ich nichts zurückgeben konnte." Manchmal habe sie sich fast geschämt, weil ihr Leben in Deutschland so behütet sei. Jalal war der Einzige, mit dem sie dieses Gefühl teilen konnte. "Er hat mir klargemacht: Beide Seiten können nichts für das Leben, das sie führen."

Als Jana Roth nach Deutschland zurückkehrte, blieb das Gefühl der Hilflosigkeit. "Ich wollte weder über das Camp reden, noch die Bilder anschauen", sagt sie. Mehrere Wochen rührte sie die Fotos nicht an. Sie war wütend. "Ich dachte: Hier beschäftigt sich jeder nur mit sich selbst." Nach ein paar Wochen ließ die Wut nach, und Roth kam die Idee zu einer Ausstellung. "Ich dachte mir: Mach doch etwas Sinnvolles aus dem Material." Dass sie damit nicht wirklich etwas verändert, weiß sie. Aber vielleicht bringe es die Menschen wenigstens zum Nachdenken.

Im Ausstellungsraum der Mohr-Villa steht eine Spendenbüchse. Jana Roth hebt sie vom kleinen Tisch hoch und schüttelt sie. Kein Geräusch, nicht ein Cent ist darin. Vor drei Jahren, als viele noch "Welcome" riefen, sagt sie, sei die Bereitschaft für Flüchtlingshilfe größer gewesen. Heute seien die Leute ernüchtert. Roth kann das verstehen. "Es ist ja auch frustrierend, man arbeitet gegen Windmühlen." Dann stellt sie die Spendenbüchse wenige Meter weiter auf den Ofen und sagt: "Auf dem Tisch sieht man die ja auch gar nicht richtig." Die Büchse ist für Jalal, der mittlerweile in die Türkei fliehen konnte.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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