Freimann:Des Himmels wilde Abendfeuer

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"Spuren" - die Mezzosopranistin Sabine Hüttel trägt in der Mohr-Villa einen Liederzyklus nach Texten von Rachel Knobler vor

Von Andrea Schlaier, Freimann

In einer Seifenblase siedelte einst mein Städtel, von Regenbogen lilamondsilbrig umspült./ Sumpfrosenweich dufteten die Tage,/ des Himmels wilde Abendfeuer trugen auf Froschgesang/ Nachtviolensüße den Liebenden entgegen./ Auf sanften Nebeln segelten die Fluren:/ des Weizens Tiefe goldgelb, des Roggens Kühle silbergrau. (. . . )

Rachel Knoblers Gedichte vermögen es, Landschaften zu halluzinieren, die verlorene Heimat so eindringlich und vielfarbig heraufzubeschwören, als komponiere hier eine die Seelenbilder einer untergegangenen Welt. Einer Welt, vor der Ermordung des Großteils der eigenen Familie. Rachel Knobler ist diejenige, die überlebt hat. Das Mädchen, das 1924 im Schtetl von Slomniki geboren und mit 17 ins nahe Krakauer Ghetto verschleppt wurde. Sie hat es überlebt, wie auch die Konzentrationslager von Birkenau und Auschwitz. Nicht aber ihre kleine Schwester Meira, nicht der Vater. Die Mutter wurde nach dem Krieg von einem polnischen Nationalisten erschossen.

"Schabbath bei Vetter Cha'ml" heißt das bunte, filigrane Hinterglasbild. (Foto: privat)

Rachel selbst ist nach 1945 in München gelandet. Sie blieb. Hier wurde sie zur Komponistin, Dichterin und Malerin. Die Mohr-Villa widmet der "Überlebenskünstlerin" an diesem Samstag einen Konzertabend mit ihrem eigenen Liederzyklus "Spuren". Die Mezzosopranistin Sabine Hüttl ist seit 30 Jahren befreundet mit Rachel Knobler. Sie wird die Lieder und Texte der inzwischen 91-Jährigen interpretieren, zusammen mit Michael Weiß am Violoncello und Barbara Thalhammer am Klavier. "Obwohl Rachel Knobler so viel Schreckliches erlebt hat, habe ich sie nie schlecht gelaunt erlebt oder gar verbittert. Sie ist immer dialogbereit." Hüttl schwärmt vom "sonnigen, jugendlichen" Gemüt der Künstlerin, deren Lieder sie zumeist uraufgeführt hat.

"Schabbath bei Vetter Cha'ml" - so nennt Rachel Knobler eines ihrer bunten, filigranen Hinterglasbilder. (Foto: Toni Heigl)

Der Liederzyklus "Spuren", der in der Mohr-Villa zu hören sein wird, ist ein Wechsel aus Gebeten, Gedichten entlang der Jahreszeiten als Metapher auf das menschliche Leben. Es sind mitunter sehr persönliche Zeilen, etwa im "Zwiegespräch mit Gott": " Mit sämtlichen Geißeln werden wir geschlagen. Und du schweigst dazu. Ist's Gleichmut oder Schwäche? Dennoch komm ich zu dir. Denn wem soll ich danken?" Knoblers Lyrik geht auf in Melodien, die geprägt sind von der jüdischen Tradition, sie fließen wie die Niggun-Gesänge der Synagogen ineinander. Spätromantische Anmutungen, in die sich die Singstimme ausladend bettet. "Das harmoniert sehr schön mit dem Cello", sagt Sabine Hüttl. Zu hören sind an diesem Abend auch Lieder von Rachel Knobler nach Texten des Autors und Dramaturgen Walter Meckauer und hochexpressive Werke von Ernest Bloch, der als Begründer der neujüdischen Musik in Amerika gilt. Der Abend gibt auch Zeugnis ab vom Selbstverständnis der 91-jährigen Münchnerin: "An erster Stelle fühle ich mich als Mensch, an zweiter als Jüdin und dann als polnische Jüdin." Rachel Knobler selbst, sagt Sabine Hüttl, wird aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Konzert erscheinen können. Aber die Sängerin und Freundin wird ein Hinterglasbild von der Frau mitbringen, die sich als "Weltbürgerin" begreift: Ikonengleiche Arbeiten, diesmal der Malerin Knobler.

Liederzyklus "Spuren", Samstag, 12. März, 19 Uhr, Mohr-Villa, Situlistraße 75. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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