Menschen mit Behinderung:So hilft der Flughafen Passagieren ins Flugzeug

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Ranfahren an den Flieger: Philip Brendel (li.), Betriebsleiter bei Aicher Ambulanz Union, steuert mit dem Hublifter auf eine Passagiermaschine zu. (Foto: Marco Einfeldt)
  • Rund 200 Menschen kümmern sich im Mobility Team des Münchner Flughafens um Passagiere, die im Rollstuhl sitzen, seh- oder gehbehindert sind und Hilfe brauchen.
  • Die Betreuer stehen unter enormem Zeitdruck - doch moderne Technik hilft ihnen bei ihren Aufgaben.
  • Jeder Fluggast finanziert das System über den Ticketpreis mit.

Von Marco Völklein

Sechs Rollstühle haben Philip Brendel und seine Leute mal vorsorglich bereitgestellt, direkt an die Position 201 am Terminal 2. Dort wird gleich die Mittagsmaschine der Lufthansa aus Los Angeles ankommen. Mehrere hundert Passagiere werden aussteigen; darunter auch einige, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Oder die gar nicht laufen können, etwa weil sie querschnittsgelähmt sind. Dann sind sie ein Fall für Brendel und seine Mitarbeiter.

Brendel leitet den "Mobility Service" am Flughafen. Fluggäste, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, Reisende, die keine langen Wege mehr gehen können, oder auch Sehbehinderte, die sich in den weitläufigen Terminals alleine nicht zurechtfinden - um all diese Personen kümmert sich die gut 210 Mitarbeiter starke Truppe. Und die hat gut zu tun: 600 bis 700 Passagiere betreuen Brendel und seine Mitarbeiter pro Tag. Und weniger werden es auf keinen Fall: Im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der betreuten Passagiere um 25 Prozent. Heuer wird das Plus bei 15 Prozent liegen.

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Das Team betreut immer mehr Fluggäste

Als Grund dafür nennt Brendel zum einen den demografischen Wandel: Immer mehr Ältere oder in ihrer Mobilität Eingeschränkte sind auf Reisen. "Zum anderen spricht sich unser Service aber auch verstärkt herum", sagt Brendel. Zu den Nutzern des Angebots, das vom Münchner Unternehmen Aicher Ambulanz Union organisiert wird, zählt auch Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Die blinde Ex-Sportlerin fliegt regelmäßig - und hat bislang "fast nur gute Erfahrungen" mit den Leuten vom Mobility Service gemacht, wie sie sagt. Bentele mag es, dass die Mitarbeiter in München sie nach ihren Wünschen fragen - und sie nicht einfach am Arm nehmen und mitziehen.

Zugleich stünden die Dienstleister auch unter enormem Zeitdruck, wie Bettina Schubarth vom Sozialverband VdK Bayern ergänzt. Denn bevor eine Crew mit dem Einsteigen der Fluggäste beginnen kann, müssen die mobilitätseingeschränkten Passagiere an Bord sein - und gerade bei Umsteigern kann es da mitunter eng werden. Deshalb hat das Unternehmen auch technisch aufgerüstet: Neue Busse fürs Vorfeld wurden angeschafft. Hinzu kamen zwei "Großraum-Hublifter", drei weitere sollen noch folgen. Mit diesen Fahrzeugen können die Aicher-Leute bis zu 15 eingeschränkte Personen (oder fünf Rollstuhlfahrer) direkt zu den Einstiegstüren der Jets heben - auf maximal 5,60 Meter Höhe. Das Fahrzeug funktioniert ähnlich wie die Liefer-Lkw der Caterer - nur dass dort Passagiere hinaufgehoben werden und keine Waren. Deshalb ist der fast achteinhalb Meter lange Hublifter auch mit Fenstern und komfortablen Sitzen ausgestattet.

Außerdem stehen in den Terminals gut 200 Rollstühle bereit. Dazu 32 Kleinbusse, die auf dem Vorfeld unterwegs sind. Und 27 Golfwägelchen mit Elektroantrieb für den Transport in den Terminals. Bezahlt wird das Ganze über eine Umlage aller Fluggäste: 49 Cent gehen aus der bei jedem Flugticket fälligen Steuer an die Mobility-Service-Dienste der Flughäfen, erläutert Marion Linkert von der Flughafenbetreibergesellschaft FMG. Bei etwa 20 Millionen Fluggästen, die von München aus jedes Jahr abheben, ergibt sich somit ein Budget von zehn Millionen Euro pro Jahr.

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Flexible Mitarbeiter mit Fingerspitzengefühl

Bei aller Technik allerdings "kommt es vor allem auf die Mitarbeiter an", sagt Betriebsleiter Brendel. Die müssten sich um jeden einzelnen Fluggast mit Behinderung oder Einschränkung kümmern. "Wichtigste Voraussetzung für den Job ist daher Fingerspitzengefühl." Und eine gehörige Portion an Flexibilität: Denn nicht immer treffen seine Leute auf exakt die Menge an hilfsbedürftigen Fluggästen, die von den Fluggesellschaften gemeldet wurden.

So komme es immer wieder vor, dass mehr Hilfsbedürftige erwartet wurden, als dann beim Ausstieg am Gate tatsächlich die Helfer ansprechen. Über eine "wundersame Heilung über den Wolken" spotten dann manche. Tatsächlich allerdings könne es auch sein, dass ein Reisender, der auf einem besonders weitläufigen Flughafen in den USA noch Hilfe benötigte, von sich aus sagt, dass er den relativ kurzen Umsteigeweg in München alleine schafft. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass sich viel mehr Leute bei den Helfern am Gate melden, als ursprünglich erwartet. Dann müssen Brendels Leute reagieren - und per Funk rasch weitere Helfer anfordern.

Für den Lufthansa-Flug aus Los Angeles indes werden dann doch nur vier Rollstühle benötigt, zwei können wieder weg. "Jeder Tag, jeder Flug ist anders", sagt Brendel. "Das macht es so interessant."

Mit dem Hublifter an Bord: Mit solchen Rollfeld-Aufzügen können die Helfer vom "Mobility Service" jeweils fünf Rollstuhlfahrer zum Flieger bringen. (Foto: Marco Einfeldt)
© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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