Barrierefreiheit in Bayern:"Schlusslicht statt Vorbild"

Barrierefreiheit in Bayern: Bei den alten U-Bahnwaggons wird das Einsteigen für Rollstuhlfahrer und Begleiter zum Kraftakt.

Bei den alten U-Bahnwaggons wird das Einsteigen für Rollstuhlfahrer und Begleiter zum Kraftakt.

(Foto: Catherina Hess)
  • Der Sozialverband Vdk kritisiert die Behindertenpolitik in Bayern.
  • In Sachen Inklusion und Barrierefreiheit ist der Freistaat alles andere als mustergültig.
  • Von den Versprechungen, die Ministerpräsident Horst Seehofer vor zwei Jahren in seiner Regierungserklärung gemacht habe, sei nicht mehr viel übrig.

Von Dietrich Mittler

Wenn es um Fortschritte für Menschen mit Behinderung geht, zählt der Freistaat nach Angaben des Sozialverbandes VdK zu den Schlusslichtern der Bundesländer. "Bayern empfindet sich gern als Musterland - aber beim Thema Barrierefreiheit ist es das mit Sicherheit nicht", sagte die VdK-Bundes- und Landesvorsitzende Ulrike Mascher am Mittwoch in München. Was etwa den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung betreffe, belege Bayern den drittletzten Platz in der Länderliste. Kaum besser stehe es um den barrierefreien Ausbau im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. "Nur 360 der insgesamt 1057 Bahnstationen in Bayern sind völlig barrierefrei", sagte die VdK-Vorsitzende.

Hoch seien auch die Barrieren auf dem Arbeitsmarkt: 61 Prozent der Unternehmen in Bayern zahlten lieber eine Ausgleichsabgabe, als die vorgeschriebene Quote an Behinderten zu beschäftigen. Die Ausgleichsabgabe sei mit bis zu 290 Euro pro Jahr und unbesetztem Arbeitsplatz so gering, "dass sie locker aus der Portokasse gezahlt werden kann", sagte Mascher. Sie forderte hier eine deutliche Erhöhung, vor allem für Betriebe, die keinen einzigen Menschen mit Behinderung beschäftigen.

Das Thema kann jeden treffen

Von den Versprechungen, die Ministerpräsident Horst Seehofer vor zwei Jahren in seiner Regierungserklärung gemacht habe, sei nicht mehr viel übrig, sagte Mascher. Die Zusage, Bayern bis 2023 komplett barrierefrei zu machen, sei "angesichts der Summen von 1,3 bis 1,5 Milliarden Euro, die dafür notwendig gewesen wären", im Wesentlichen entkernt. Damit schränke die Staatsregierung bewusst die Grundrechte von nahezu zwölf Prozent der bayerischen Bevölkerung ein. So gehe es aber einfach nicht, sagte Mascher.

"Behindertenpolitik ist keine Minderheitenpolitik, wir reden hier von 1,5 Millionen Menschen, deren rechtmäßige Bedürfnisse aus Haushaltsgründen hintangestellt werden", sagte Mascher. Das werde der VdK Bayern, aktuell mit 642 000 Mitgliedern, nicht hinnehmen. "Wir sind da recht humorfrei und lassen das Argument nicht gelten, für Barrierefreiheit sei kein Geld da", sagte VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder. Das Thema Behinderung könne jeden treffen. Mehr als 90 Prozent der Behinderungen entstünden in der Folge von Krankheiten. "Nur vier bis fünf Prozent aller Behinderungen sind angeboren", so Pausder.

Die frühere Biathletin und Skilangläuferin Verena Bentele, die nun als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung tätig ist, wendete sich insbesondere gegen die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, die hohen finanziellen Unterstützungsbedarf haben. Diese dürfen nicht mehr als 2600 Euro sparen. Nach Benteles Auffassung ist das letztlich verfassungswidrig. "Barrierefreiheit", so betonte sie, "steht wirklich allen Menschen zu." Und davon profitiere auch der Rest der Bevölkerung.

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