Asylbewerber in München:Kunst wirkt - auch in der Flüchtlingsarbeit

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Egal, welche Sprache die Flüchtlinge sprechen - Einrichtungen wie das Museum Fünf Kontinente beeindrucken über Grenzen hinweg. Doch nicht jeder ist für Kunst zu begeistern.

Von Thomas Jordan

Die vielen Muster, Farben und Stoffe haben es ihm angetan. "Exotisch", sagt Solomon Mussanah, als er vor einer Vitrine in der Pazifik-Abteilung des Münchner Museums Fünf Kontinente steht und einen hellen Rindenbast aus Samoa betrachtet. Der Herzog von Leuchtenberg, ein Günstling des bayerischen Königs Maximilian I. hatte den Faserstoff mit dem filigranen Zweigmuster im 19. Jahrhundert in die Landeshauptstadt gebracht.

Ein Museum, das nicht Nationalkunst ausstellt, sondern den Blick für die künstlerische Vielfalt weltweit öffnet, das kannte Mussanah noch nicht. "Ich lerne ständig dazu", sagt der Asylbewerber aus Uganda, der in Mukono nahe der ugandischen Hauptstadt Kampala als Stoffdesign-Künstler gearbeitet hat. Während er durch die schummrigen Säle des ehemaligen Völkerkundemuseums schlendert, winkt er immer wieder den Reporter zu sich. "Sehen Sie diesen Creme-Ton", fragt er. "So etwas gibt es bei uns in Ostafrika nicht. Die Baumfasern sind dort viel brauner."

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Solomon Mussanah spricht ein fein akzentuiertes Englisch, bei dem jede einzelne Silbe betont ist. "Das Wichtigste ist, dass man geduldig bleibt", hatte der nachdenkliche 38-Jährige schon auf dem Weg von der Flüchtlings-Erstaufnahmeeinrichtung ins das Museum an der Maximilianstraße gesagt. Oft höre man monatelang nichts von den Behörden, dann könne es sein, dass man über Nacht in eine andere Stadt verlegt werde. "Viele halten das nicht aus, sie rennen dann nervös durchs Camp, fangen an zu trinken und schreien herum."

Mussanah, der vor der Ein-Parteien-Regierung in Uganda geflohen ist, hat sich stattdessen in der Flüchtlingsunterkunft ein Stück Holz und einen alten Karton gesucht und eine Art deutsch-ugandischer Friedensmonstranz gebaut: Oben, in der linken Ecke einer hölzernen Herzform, sind die Farben Schwarz-Rot-Gold aufgemalt, rechts unten die Farbkombination Schwarz-Gold-Rot, die Nationalfarben Ugandas. Dazwischen steht in blauer Schrift: "Peace". Das Ganze ruht auf einem blauen Karton-Sockel mit einem großen, grünen Kreuz.

Für den bildenden Künstler Mussanah ist die Münchner Museenlandschaft ein Glücksfall. "Ugandische Kunst besteht vor allem aus Aufführungen, in Museen wird immer alles auf einmal gezeigt, Malerei, Theater, Tanz", sagt er, "In München hat jede Kunstrichtung ihr Museum. Ich kann mich ganz ohne Worte auf das Gefühl konzentrieren, das ein Ausstellungsstück bei mir auslöst." Serena Widmann, die ehrenamtliche Freizeitkoordinatorin der Bayernkaserne, der größten Erstaufnahmeeinrichtung in München, geht noch einen Schritt weiter: "Ich habe noch nie gehört, dass einer sagt, diese Fülle an kulturellen Angeboten wie in München, das kenne ich von mir daheim. Nicht mal, wenn Franzosen oder Spanier dabei sind."

Ehrenamtliche motivieren die Flüchtlinge

Für Lucia Hitzler, eine andere Ehrenamtliche, bietet Kunst die Gelegenheit, mal vom Alltag abzuschalten, sich zu entspannen. Eigentlich. Denn im Moment ist davon nichts zu spüren. Seit einer halben Stunde hetzt die freiberufliche Controllerin durch die engen Flure der Flüchtlingsunterkunft "Am Moosfeld" im Münchner Osten. Nicht jeder ist so leicht für Kunst zu begeistern wie Solomon Mussanah. Pausenlos klopft sie an Zimmertüren und weicht dabei geschickt den Kindern aus, die johlend mit ihren Tretrollen zwischen den Beinen der Erwachsenen durchsausen.

"Wir gehen heute in ein Museum, wollt ihr mitkommen", fragt die Schwäbin, die seit 1979 in München lebt, mit geübt-motivierender Stimme. "Heute?" So kommt es schläfrig von dem afghanischen Asylbewerber zurück, der in Schlappen in der Tür des Mehrbettzimmers steht. "In zehn Minuten fahren wir", ist die forsche Antwort. "Wenn ich nicht Einsammeln gehe, dann kommen wir zu spät an", sagt Hitzler, die seit zwei Jahren alle zwei Wochen Kulturausflüge für Flüchtlinge in München anbietet, darunter Klassikkonzerte, Kinobesuche und Museen.

Hitzler ist eine von vielen ehrenamtlich Engagierten. Auch der Münchner Verein "Kulturraum", der an Menschen mit niedrigem Einkommen kostenlos Theater- und Ausstellungskarten vergibt, hat seit kurzem ein eigenes Programm aufgelegt, bei dem ehrenamtliche "Kulturpaten" mit Flüchtlingen die Münchner Kunstszene erleben können. Neben den vielen Freiwilligen bieten allein bei dem sozialen Hilfswerk "Innere Mission" 37 Hauptamtliche Kulturausflüge für geflüchtete Kinder und Jugendliche an. "Wenn wir fordern, dass sich Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, integrieren, dann müssen wir ihnen die Chance geben, zu erfahren, was wir mit unserer Kulturlandschaft meinen", sagt Barbara Likus, die Koordinatorin der Kulturarbeit für junge Geflüchtete bei der Inneren Mission.

Eine Stunde nach ihrem Dauerlauf durch die Flüchtlingseinrichtung "Am Moosfeld" steht Lucia Hitzler endlich mit einer 15-köpfigen Gruppe in der Afrika-Abteilung des Museums Fünf Kontinente. Morteza Hosseini strahlt über das ganze Gesicht: Er kann seinen Vaterstolz gerade nicht mehr verbergen. Der Motorradmechaniker aus der zentralafghanischen Provinz Daikondi war schon öfters bei Hitzlers Kulturausflügen dabei: "Ferne Welten" heißt die interaktive Tour, die sie heute gebucht hat.

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Das Museumspädagogische Zentrum München hat sie extra für Flüchtlinge ausgearbeitet, besonders anschauliche Exponate aus nicht-europäischen Erdteilen werden besichtigt, es gibt exotische Beeren zu probieren. Zwischen malischen Ahnenskulpturen und westafrikanischen Elfenbeinschnitzereien hat die Museumspädagogin Susanne Bischler gerade einen Tuareg-Schal um den Kopf von Hosseinis vierjährigem Sohn Amir gewickelt. Auch in Afghanistan ist das die traditionelle Kopfbekleidung für Männer.

"Mein Sohn trägt heute zum ersten Mal Turban", sagt der 30-Jährige, der mit der ganzen Familie vor den Taliban geflohen ist. Der 14-jährige Ramin, der schon vor sechs Jahren mit seiner Familie aus Afghanistan kam, übersetzt, was den Motorradmechaniker, der meist ein verschmitztes Grinsen im Gesicht hat, immer wieder in Münchner Ausstellungen zieht: "Mir gefällt es, im Museum in die Vergangenheit zurückzuschauen, um zu erfahren, wie es wirklich gewesen ist."

Im letzten Raum der Orient-Abteilung im Museum Fünf Kontinente ist eine traditionelle arabische Lounge nachgebaut. Dicke, verzierte Polster sind aufeinandergestapelt, davor stehen niedrige Holztischchen, auf einer Leinwand läuft ein Film über die Schönheit der afghanischen Natur. "Am Ende der Führung sind wir alle immer froh darüber", sagt Hitzler. Viele Flüchtlinge steuern meistens zielstrebig auf die bequemen Diwan-Kissen zu.

Aus einem Interessierten wird ein Künstler

Heute ist das anders. Wenige Meter von der Lounge entfernt steht eine Holzstaffelei, darauf liegt Blockpapier. Und auf einmal nimmt Solomon Mussanah den orangen Buntstift in die Hand, der mit einer Schnur an der Staffelei befestigt ist, und fängt an zu zeichnen. Mit wenigen Strichen entstehen die Umrisse eines Frauenprofils auf dem Papierblock. Morteza, Ramin und die anderen nähern sich neugierig und umringen den 38-Jährigen. Sie kratzen die paar Brocken Deutsch, die sie schon gelernt haben zusammen und fragen ihn interessiert: "Künstler?"

Mussanah ist erst seit wenigen Wochen in München, er spricht so gut wie kein Deutsch. Jetzt aber schaut er vom Zeichenblock auf und ein Lächeln breitet sich in seinem sonst so nachdenklichen Gesicht aus. Er nickt, die anderen lachen, loben die Skizze und klopfen ihm auf die Schulter.

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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