Wohngemeinschaft:Gemeinsam leben, einander helfen

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Wohngemeinschaft: Samuel Flach sitzt seit seinem 20. Geburtstag im Rollstuhl. Jetzt ist er 25. An seinen Zukunftsplänen hält er fest.

Samuel Flach sitzt seit seinem 20. Geburtstag im Rollstuhl. Jetzt ist er 25. An seinen Zukunftsplänen hält er fest.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der 25-jährige Samuel Flach plant ein besonderes Projekt: Bei "Gemeinwohlwohnen" sollen Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung und Studierende in einer WG wohnen und voneinander profitieren.

Von Mariam Chollet

Samuel Flach liegt in seinem Bett. Er starrt die Decke an. Er schaut auf die Uhr. Eigentlich müsste sein Assistent schon längst da sein. Er fischt nach seinem Handy. Akku leer. Alleine aufstehen kann er nicht. Samuel ist querschnittsgelähmt. "So eine Situation ist scheiße, so richtig, richtig scheiße. Alltag ist das nicht, aber es kann passieren, zum Beispiel wenn mein Assistent in der U-Bahn feststeckt."

Samuel lebt in einer Wohngemeinschaft mit einer Mitbewohnerin, die ihm hilft und bei ihm angestellt ist. Eigentlich ein super Prinzip, aber wenn einer mal länger weg bleiben will oder seine Mitbewohnerin mal nicht da ist, ist es schwierig. Deswegen kam Samuel auf die Idee, dass es besser wäre, mit mehr Menschen zusammenzuwohnen.

Als er dann auch noch zufällig auf Alejandro Hünich traf, der sich in einem Projekt engagiert, in dem Flüchtlinge und Studierende gemeinsam leben, entstand die Idee zu einem ganz besonderen Wohnprojekt: Gemeinwohlwohnen, ein Projekt, in dem Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung und Studierende zusammenleben sollen. "Alle Mitbewohner und Mitbewohnerinnen, ob mit oder ohne Behinderung, könnten von dem Wohnkonzept profitieren und selbstbestimmter leben", sagt Samuel. Von dieser Idee ist er überzeugt.

Samuel sitzt seit seinem 20. Geburtstag im Rollstuhl. Jetzt ist er 25. Damals hatte er ein Jahr Zivildienst in Uganda gemacht und fuhr zum Abschluss und zur Feier seines 20. Geburtstages nach Sansibar, einer kleinen Insel vor Tansania. Direkt nach der Ankunft rannte er über den Strand und machte einen Hechtsprung ins Meer. Dabei stieß er mit dem Kopf vermutlich gegen eine Sandbank. Ein Halswirbel zersplitterte.

"Ich würde sagen, es war ziemlich knapp", sagt Samuel. "Ich war ja bei Bewusstsein, aber ich kam halt nicht raus und hatte auch nicht mehr viel Luft." Aber Einheimische am Strand sahen ihn, zogen ihn sofort aus dem Wasser und holten Leute von der ansässigen Tauchschule. Mit Plastikflaschen wurde sein Kopf stabilisiert, damit nicht noch mehr kaputt gehen konnte. Er musste schleunigst operiert werden, so viel stand fest. Aber es gab keinen Hubschrauber auf der Insel.

Letztendlich organisierte und bezahlte ein tansanischer Manager einen Safari-Hubschrauber, der Samuel nach Daressalam flog. Dort wurde er untersucht und weiter nach Nairobi gebracht, wo er operiert werden konnte. Nach zehn Tagen kam Samuel nach Deutschland in die Unfallklinik in Murnau, wo er ein halbes Jahr verbrachte.

Seine Stimme ist leiser geworden, während er über seinen Unfall redet. Aber genauso fest. "Ich habe das schon so oft erzählt", sagt er. "Immer wieder fragen mich Leute mit mitleidigem Blick, was mir denn passiert sei. Die können sich einfach nicht vorstellen, dass der Rollstuhl für mich inzwischen Alltag ist." Er sitzt in seiner Küche am Tisch. Bunt kariertes Hemd, Haare zurückgebunden. "Klar war das ein Bruch in meinem Leben", sagt er, überlegt kurz und widerspricht sich dann: "Nein: Mein Leben ist mein Leben."

Nach dem Aufenthalt in der Klinik in Murnau war er wiederholt in einer Reha in Pforzheim. Sie versprachen viel. Sogar, dass Querschnittsgelähmte wieder laufen könnten. Bei ihm passierte das nicht. Nach fast einem Jahr Reha beschloss er zu studieren: "Ich wollte nicht länger mein Leben damit verbringen, nach einem Ziel zu streben, dass ich vermutlich nie erreichen würde", sagt er. "Es ist jetzt einfach so. Ich sitze im Rollstuhl. Mittlerweile ist das normal geworden."

Er wohnt seit vier Jahren in München, hat gerade seinen Bachelor in Ethnologie gemacht. Jetzt hat er sich für einen Bachelorstudiengang Statistik angemeldet. Um ganz was anderes auszuprobieren, wie er sagt. Er engagiert sich viel, macht bei einem inklusiven Theaterprojekt an Mittelschulen mit und ist aktiv in dem Verein für Jugendaustausch, mit dem er selbst in Uganda war. Außerdem reist und schreibt er viel. Aber auch sein Projekt Gemeinwohlwohnen nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch. Allein zwei bis drei Tage pro Woche beschäftigt er sich ausschließlich mit dieser Idee.

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