Oktoberfest:Wahnsinn vor der ersten Mass

Lesezeit: 4 min

Ob Münchner Kindl, Bierkrug oder ein Wiesnzelt, das eigentlich ein Lokal ist: Publicityträchtig ist alles. (Foto: Stephan Rumpf)

Vor- und After-Wiesn-Events, Bierproben und Last-Minute-Trachten für Flüchtlinge: Schon vor dem Anstich versucht jeder, vom Glanz des Oktoberfests einen Schein abzubekommen.

Von Franz Kotteder und Andreas Schubert

Ja ist denn heut' schon "Ozapft is"!? Mit zwei souverän geführten Schlägen treibt Bürgermeister Josef Schmid (CSU) den Wechsel ins Fass und spricht die rituellen Worte, Applaus brandet auf, die Obermüller Musikanten spielen "Ein Prosit der Gemütlichkeit". Es ist zwar noch eine Woche hin, im Hofbräu Obermenzing an der Verdistraße wird aber trotzdem schon einmal Wiesn gespielt.

Man befindet sich hier kurz vor der Auffahrt zur Stuttgarter Autobahn, und im Bewusstsein der Stadt ist das von der Theresienwiese ähnlich weit entfernt wie das brasilianische Blumenau, das ebenfalls ein Oktoberfest hat und deshalb auch heuer wieder eine Delegation zum Anzapfen schickt. Auf die Wiesn, nicht nach Obermenzing. Tatsächlich ist das Obermenzinger Hofbräu ein sehr schönes Wirtshaus, und 100 Liter Freibier gibt es auch. Da drängt sich die scheinheilige Frage an den Bürgermeister auf, ob das Anzapfen hier nicht eigentlich viel schöner sei als im Schottenhamel-Zelt? Da lacht Schmid nur laut und grinst sich eins.

Gemunkelt und geschunkelt

In sechs Tagen erst geht es los auf der Theresienwiese, aber drumherum tobt der Wiesnwahnsinn schon seit Anfang September. Die Brauereien müssen ja auch ihr frischgebrautes Festbier jeweils einzeln bei einer Verkostung vorstellen und alle zusammen dann noch einmal bei einer gemeinsamen Bierprobe. Stadt, Wirtevereinigungen und einzelne Zelte präsentieren ihre Schmuckkrüge. Alles, was außer Bier sonst noch zum Oktoberfest gehört, wird vorher umfänglich beworben. Man kann sagen: Vorher ist fast genauso viel geboten wie während der Wiesn.

Oktoberfest 2017
:Zeltplan auf der Wiesn

Wo sind die Oktoberfest-Eingänge? Wo steht welches Festzelt? Und welche U-Bahn-Stationen oder Taxistände sind in Wiesn-Nähe? Mit unserem Zeltplan finden Sie sich auf der Wiesn zurecht.

Und wer sich richtig auf die Wiesn vorbereitet, denkt auch schon an das Danach. Das wissen zum Beispiel Wiesnwirt Christian Schottenhamel und der Event-Impresario Philip Greffenius, die alle Jahre wieder zum "Wiesnzelt" im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz laden - der ältesten Afterwiesn-Sause, die noch dazu einen Tag vor der Eröffnung des Oktoberfests beginnt. Zur Präsentation am Donnerstag sind sie extra mit dem Pferdegespann angekarrt. Das Münchner Kindl Laila Nöth durfte bei der Gelegenheit nicht fehlen.

Was die Veranstalter versprechen, ist Feiern mit DJ bis in die Morgenstunden, und zwar (so steht es wirklich in der Ankündigung), "was Dirndl und Lederhosen hergeben" , dabei werde auch auf Bänken getanzt sowie "gemunkelt und geschunkelt". Was auch immer man sich darunter vorzustellen hat, wer mehr wissen möchte, wird unter www.daswiesnzelt.de tiefer informiert.

Der Nockherberg des Wiesnadvents

Abends dann der Vorwiesnevent, der - mal abgesehen von der kabarettistischen Qualität dieses Jahr - so etwas wie der Nockherberg des Wiesnadvent ist. Stadträte, Wiesnwirte, sonstige Honoratioren ließen sich die Vorstellung der Hofbräu-Wiesnkrugs nicht entgehen. Gestaltet hat ihn dieses Jahr der TV-Produzent Oliver Berben, der ein Schulfreund von Hofbräuzelt-Wirt Ricky Steinberg ist und an dem Abend nur per Skype-Liveschaltung aus Dänemark dabei sein kann.

Bei der Gelegenheit beglich Senior Günter Steinberg auch gleich eine alte Schuld. Vor 32 Jahren war ihm auf der Wiesn das Bier ausgegangen, und Wirtskollege Richard Süßmeier hatte spontan mit 200 Litern ausgeholfen. Die bekam er an dem Abend zurück, und weil Bier heute fast viermal so viel kostet wie 1983, kommentierte Süßmeier: "Es ist gut, wenn man was derwarten kann."

"Da müssten die Wiesnwirte eigentlich Bischofsmützen tragen"

Auch die Welt der Kunst kommt natürlich nicht herum um das weltbewegende Ereignis namens Wiesn. Der Fotokünstler Michael von Hassel hat alle 14 großen Bierzelte nachts, wenn sie leer sind, fotografiert und die Serie "Oktoberfest Cathedrals" genannt. Nun sind sie in der Rathausgalerie am Marienplatz ausgestellt. Dass die früher mal die städtische Kassenhalle war, passt irgendwie, schließlich heißt es ja gelegentlich, so ein Wiesnzelt sei eine Gelddruckmaschine. Bei der Eröffnung am Freitagabend geht es dort beinahe so laut zu wie in einem richtigen Bierzelt.

Oktoberfest
:Wenn Festzelte zu Kathedralen werden

Eigentlich sollte Michael von Hassel die Menschenmassen auf dem Oktoberfest fotografieren. Dann entdeckte er die Nächte.

Von Franz Kotteder

Bürgermeister Schmid, der in diesen Tagen sehr viel in Sachen Wiesn unterwegs ist, weil er ja als Wirtschaftsreferent auch dafür zuständig ist, spricht von "sakralen Konstrukten" und "Orten magischer Stille, ganz im Gegensatz zum Saal hier". Kulturreferent Hans Georg Küppers (SPD) spinnt den Kirchen-Gedanken weiter und meint: "Kathedralen sind ja Bischofssitze, da müssten die Wiesnwirte eigentlich Bischofsmützen tragen." Diese Freude machen die Wiesnwirte Christian Schottenhamel, Günter Steinberg und Stephanie Spendler dem Kulturreferenten freilich nicht, sie sind ganz in Zivil gekommen. Überhaupt ist einiges an Prominenz da, Großkünstler Markus Lüpertz etwa, Szenekoch Stefan Marquard und Schauspielerin Maria Furtwängler.

Kaum jemand in Tracht

Ein bisschen erstaunlich ist, dass kaum jemand hier Tracht trägt. Dabei tut alle Welt so, als wäre das gesetzlich vorgeschrieben. Jedenfalls Samstagnacht im Lenbachpalais. Dort haben die Modedesigner der Firmen Almliebe und Samtherz zur Dirndl- und Lederhosenparade geladen. Die Musik dazu liefert ein rappender und jodelnder Alphornbläser namens Loisach Marci. Almliebe und Samtherz stellen hauptsächlich Fantasiedirndl zu ebensolchen Preisen für jugendliche Hipster her.

Es geht natürlich auch günstiger. Am Hauptbahnhof sind neben den Zelten für die ankommenden Flüchtlinge auch schon wieder solche mit Last-Minute-Trachten aufgebaut, ein Transparent verkündet ungelogen: "Dirnd'l 29,99". Die aktuelle Lage geht übrigens auch am Hochpreissegment nicht vorbei. So hat der Designer Tian van Tastique allen Ernstes ein Dirndl in den Nationalfarben von Syrien, Irak und Afghanistan entworfen, das mit den Worten "Refugees welcome - We are one world" bestickt ist. 590 Euro kostet es, zehn Prozent gehen an die Flüchtlingshilfe.

So versucht derzeit halt ein jeder, vom Glanz des Oktoberfests einen Schein abzubekommen. Selbstverständlich auch Finanzminister Markus Söder (CSU). Als oberster Dienstherr der staatlichen Hofbräu-Brauerei lädt er an diesem Montagmorgen in die Brauerei nach Riem ein. Er will dort verkünden, dass im kleinen Bierzelt Velodrom auf der Oiden Wiesn jetzt Hofbräubier aus echten Holzfässern ausgeschenkt wird. Glücklicher Freistaat, dem so etwas eine Pressekonferenz wert ist!

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Oktoberfest-Aufbau
:Der Löwe hockt schon da, brüllt aber noch nicht...

... und das Riesenrad steht nur zur Hälfte, deshalb dreht es sich nicht. In wenigen Tagen beginnt die Wiesn. Bis dahin muss noch viel gehämmert und geschraubt werden.

Von Birgit Goormann-Prugger und Florian Fuchs

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: