Einrad-Weltmeisterschaft:Langsam, langsamer, Weltrekord

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Sonst macht sie es sich stundenlang auf dem Einrad bequem: Europameisterin Ana Schrödinger (Foto: Claus Schunk)

65 Minuten und 13 Sekunden: Mit dieser Zeit hat Ana Schrödinger die WM in der Disziplin Einrad-Stillstand gewonnen. Dass sie noch besser werden will, macht Veranstalter nervös.

Von Alexander Mühlbach, München

Am Ende kam sogar ein Kamerateam und filmte Ana Schrödinger. So etwas ist ihr in ihrer Karriere noch nie passiert. Was auch daran liegen mag, dass Einrad-Weltmeisterschaften von überschaubarem Interesse fürs Fernsehen sind. Und wenn, dann stehen die anderen Disziplinen im Fokus, die spektakuläreren: die Einradsprinter, die Down-Hill-Fahrer.

Aber bei der WM 2014 in Montreal stand Ana Schrödinger im Blickpunkt, wie sie einfach nur auf ihrem Einrad stand und die Balance auf einer Holzplatte hielt, die kaum größer als ein Smartphone war. Seit unglaublichen 50 Minuten. Immer mehr Zuschauer strömten in die Halle und hielten den Atem an, während die Veranstalter langsam nervös wurden. Wer konnte schon damit rechnen, dass diese Münchnerin so lange auf dem Einrad stehen kann ohne abzusteigen? Schrödingers alter Weltrekord lag bei vier Minuten, nun brachte sie den ganzen WM-Zeitplan durcheinander.

Ein Buch lesen und Einrad fahren - das geht nicht

Schrödinger interessierte der ganze Trubel nicht, sie war höchst konzentriert: "Man kann nicht das Einrad in Balance halten und gleichzeitig ein Buch lesen oder Fernsehen schauen." Immer wieder musste sie mit ihren Armen das Gleichgewicht ausbalancieren, was intuitiv geschieht, wie sie erklärt: "Das geht nur mit Erfahrung."

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Die hat sie. Die 21-Jährige fuhr quasi schon Einrad, bevor sie überhaupt laufen konnte, ihre Eltern hatten ihr früh eines geschenkt. Sie besuchte jedes Trainingscamp in der Umgebung, verbrachte fortan kaum einen Tag ohne ihr liebstes Fortbewegungsmittel. Bei der WM in Montreal zahlte sich das aus. Schrödinger gewann die Disziplin Einrad-Stillstand mit 65 Minuten und 13 Sekunden. Weltmeisterin, Weltrekord, Welteinradsensation.

Ein Jahr später balanciert Schrödinger in einer Halle im Münchner Süden wieder ihr 20-Zoll-Rad auf einem Holzbrett. Sie hat es extra zugesägt, damit es kleiner ist als bei internationalen Meisterschaften. "Nur so werde ich besser", sagt sie. Die Sportstudentin ist zurückhaltend, wirkt manchmal schüchtern. Aber sobald sie in die Nähe ihres Sportgeräts kommt, wird sie selbstsicher und ehrgeizig.

65 Minuten, in denen man auch gut und gerne von München nach Berlin fliegen könnte, reichen ihr nicht. Sie sagt, dass sie ihre Grenzen austesten will, dass sie sehen will, was noch möglich ist. Dabei muss sie bei der alle zwei Jahre stattfindenden WM mit mehr als 1100 Teilnehmern keine Konkurrenz fürchten. Die Zweitplatzierte in Montreal musste schon nach drei Minuten vom Rad, Schrödinger hatte es sich noch nicht einmal bequem gemacht.

Sie ist bereits zweimalige Weltmeisterin und holte vor sechs Wochen im italienischen Mondovi zwei Europameistertitel. Und stellte dabei zwei weitere Weltrekorde auf: in den Disziplinen Langsam-vorwärts- und Langsam-rückwärts-Fahren. Mehr als zweieinhalb Minuten kann sie auf einem zehn Meter langen Brett von der einen auf die andere Seite fahren, ohne anzukommen. Eine Riesenschildkröte schafft 330 Meter pro Stunde, Schrödinger 240 Meter, die Schildkröte hätte sie locker überholt.

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"Ich will mir keine Grenzen setzen", sagt Schrödinger. Vielleicht hat sie dabei ein Faultier (146 Meter pro Stunde) oder gar eine Schnecke (drei Meter pro Stunde) im Sinn. Während es im Sport gewöhnlich nur um höher, schneller und weiter geht, zählt für Schrödinger das Langsame, das Beständige, das Gleichmäßige. Bloß nicht zu viel in die Pedale treten, bloß nicht zu schnell nach vorne kommen. Wohl der einzige Sport, in dem der Satz "Du bist eine lahme Ente" keine Beleidigung wäre.

Die Balance zu halten, fordert mental heraus

Aber langsam zu sein ist gar nicht so einfach. Schrödinger nennt da gerne den Vergleich mit dem Fahrrad. Jeder könne ja mal ausprobieren, während einer Rotphase an einer Ampel die Balance zu halten, oder nur ein paar Millimeter nach vorne zu rollen. Das sei mindestens genauso anstrengend wie ein Sprint, sagt sie. Nicht körperlich - aber mental. Schrödinger trainiert deshalb mehrmals pro Woche ganz alleine in der großen Halle. Balanciert das Rad, fährt auf zehn Meter langen Brettern so langsam wie möglich vor und zurück, übt Tricks, wo sie sich beispielsweise auf den Reifen stellt, und diesen mit kleinen Schritten in Bewegung setzt.

Einen Trainer gibt es nicht. "Wenn man aus dem Gleichgewicht kommt, muss man mit Gefühl gegensteuern, da könnte der Trainer auch keine Tipps mehr geben", sagt Schrödinger. Sie muss ganz alleine die Nerven behalten, darf nicht zittern oder überhastete Bewegungen machen: "Sonst ist man schnell vom Einrad runter ohne zu wissen, warum", erklärt sie. Ihren Gegnerinnen würde das häufig nach der Hälfte der Strecke passieren, weil ihnen die Kraft ausgeht und der Fokus plötzlich verschwindet.

Natürlich passiert das auch Ana Schrödinger ab und zu, allerdings nur im Training. "Ich schaffe es einfach, zum richtigen Zeitpunkt meine mentale Leistung abzurufen", erklärt sie. Schrödinger benutzt dabei einen Trick, den sie mit einem Mentaltrainer ausgearbeitet hat und natürlich nicht verrät. Sie wird ihn auch bei der WM 2016 im spanischen San Sebastian anwenden. Die Organisatoren sollten gewarnt sein. "Ich werde sehen, was im Stillstand noch möglich ist", sagt Schrödinger. Vielleicht bringt sie den Zeitplan dann noch mehr durcheinander.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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