Zorneding:Im Ausnahmezustand

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Ein einziges Lächeln und Winken: Zorneding feiert sein 1200-jähriges Bestehen mit einem historischen Festzug. Neben den örtlichen Vereinen laufen auch Teilnehmer aus der neuen Partnergemeinde Cappella Maggiore mit

Von Carolin Fries

Höhepunkt der Festlichkeiten im Rahmen der 1200-Jahrfeier war der Festzug durch die Gemeinde. Foto: Peter Hin-Rosin (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Sebastian Gruber gibt nur spärliche Regieanweisungen. "Einfädeln" zum Beispiel oder "Auf geht's." Der 72-Jährige steht im dunkeln Trachtenanzug mitten auf der ehemaligen Bundesstraße in Zorneding. Immer wieder blickt er auf ein paar DinA4-große Zettel, die er in der Hand hält. Hat er sich selbst vor wenigen Minuten noch als "scho a bissl aufgeregt" bezeichnet: Man merkt es ihm jetzt nicht an, kein bisschen. Mit anscheinend stoischer Ruhe managt Gruber den historischen Festzug, der an diesem Sonntagnachmittag den Höhepunkt der Festlichkeiten im Rahmen der 1200-Jahrfeier bildet. Nur als die Abordnung aus Zornedings frisch besiegelter Partnergemeinde Cappella Maggiore nicht so recht aufschließen will, ruft er ein leicht ärgerliches "ein bisschen flotter" hinüber. Die Italiener lachen ihn fröhlich an, winken. Sie haben kein Wort verstanden.

Ein einziges Winken und Lächeln. Die Menschen stehen am Straßenrand oder auf ihren Balkonen und winken. Sie sitzen auf ihren Terrassen, Kinder sind in die Bäume geklettert. Ihr Winken und Lächeln wird lächelnd von den Teilnehmern des Zuges eingefangen - hin und wieder von einem leichten Nicken begleitet - und schließlich mit einem Zurücklächeln und -winken bedankt. Landrat Robert Niedergesäß (CSU) lächelt mit, die Pfarrer und der Altbürgermeister. Zornedings Bürgermeister Piet Mayr grinst mehr in seiner Festkutsche als er lächelt. "Perfekt" sagt er. Und: "Ich hole mir jetzt einen Winkarm." Der Wetterdienst hatte die Regenwahrscheinlich für den Sonntag in der vergangenen Woche auf 90 Prozent geschätzt und nur drei regenfreie Stunden vorausgesagt. Das hatte zur Folge, dass einige Zornedinger, darunter auch Piet Mayr, in der vergangenen Woche nach Altötting pilgerten. "Wir wären mehr als zufrieden, wenn diese drei Stunden um 14 Uhr beginnen würden", hatte Festorganisator Peter Ohlberger ein paar Tage vor dem Festwochenende gesagt. Als sich die Sonne nun am frühen Sonntagnachmittag Stück für Stück den Himmel eroberte, wussten sie: Ihre Gebete wurden erhört.

Es wäre auch nicht fair gewesen, dieses wunderschöne und mühevoll gestaltete Gesamtkunstwerk, an dem sich alle Zornedinger Vereine und Institutionen beteiligt haben, auch nur einem Regentropfen auszusetzen. Also die Festkapelle Münsing voraus und den Wagen mit der Gründungsurkunde im XXL-Format hinterher. Es folgen Wägen, Kutschen und Abordnungen zur Fuß in regem Wechsel, drei historische Automobile ergänzen den Zug. "Wir zeigen den wahrscheinlich ältesten Pflug Zornedings", meint Roland Zinke vom Eigenheimerverein. Auf dem Dachboden eines örtlichen Bauers habe man das alte Gerät gefunden, darüber hinaus Dreschflegel, Sensen und einen alten Mahlstein. "Wir wollen zeigen, wie das Leben des Menschen im neunten Jahrhundert ausgesehen hat", sagt Hermann Bielmeier. Also habe man für den Wagen eine kleine Holzhütte zusammengebaut und junge Hasen "organisiert". Die Attraktion aber sind die dottergelben Küken, die in einem kleinen Stall mit dabei sind. "Die sind erst am Freitag geschlüpft."

Der Trachtenverein Edelweiß präsentiert sich in Miesbacher Tracht, der Stopselclub stellt das Haberfeldtreiben dar, D'Bianga widmen sich der Jagd und tragen das Fell eines Wildschweines durch die Straßen. Vor allem aber die Kinder begeistern die vielen hundert Schaulustigen am Straßenrand. Das Zornedinger Kinderhaus etwa widmet sich den siebziger Jahren, die Naturkinder aus Pöring erscheinen als Burgfräulein oder im Ritterkostüm. Dabei rufen die Kinder jubelnd "Juhu, wir dürfen auf der Straße laufen", was eine Begleiterin mit dem Wort "ausnahmsweise" kommentiert.

Ganz Zorneding ist an diesem Sonntag ein einziger Ausnahmezustand. Bürgermeister Piet Mayr hält insgesamt sechs Festreden, die Bürgersteige sind zugeparkt und nahezu jede Zaunlatte hat ein Jubiläumsfähnchen, einen Buchs- oder Birkenzweig verpasst bekommen. "Das Dorf ist wirklich zusammengewachsen", sagt Mayr auf seiner Kutsche und wenn man bedenkt, dass er damit liebevoll die fast 10 000 Einwohner große Vorstadtgemeinde umschreibt - konnte man nur Lächeln.

Sebastian Grubers Regiearbeit dauerte übrigens keine dreißig Minuten. Nachdem er die knallgelbe Postkutsche auf den Weg geschickt hatte, nahm der die Arme herunter, verstaute die Zettel und folgte dem Zug. Ein leiser, unauffälliger Triumphmarsch.

© SZ vom 01.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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