SZ-Adventskalender:Ums Erbe gebracht

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Ivan Dalibor lebt von Sozialhilfe, obwohl ihm seine Mutter Geld hinterlassen hat. Doch das schanzte der Vater des 78-Jährigen seiner Geliebten zu

Von Christina Seipel, Ebersberg

Ivan Dalibor (Name geändert) sitzt an seinem Stammplatz, gleich hinter der Kuchentheke. Ein Mann betritt das Café beim Supermarkt. Dalibor ruft ihm ein freundliches "Grüß Gott" zu. "Das war der Mann, der meine orthopädischen Schuhe anfertigt", erzählt er. Viele kennen ihn hier schon. Einmal in der Woche, manchmal auch zweimal kommt der 78-Jährige in den Supermarkt mit der angrenzenden Bäckerei. An diesem Ort fühlt er sich wohl. Bis zu sieben Stunden verbringt er dort. Es ist eine Art Zuhause für ihn geworden.

In seinem spartanisch eingerichteten Zimmer hält sich der gebürtige Kroate mit deutschen Wurzeln nur äußerst ungerne auf. "Es ist wahnsinnig, wie es da aussieht." Trotzdem lebt Ivan Dalibor nun schon seit eineinhalb Jahren dort. "Ich habe noch nie so gewohnt", wie der 78-Jährige mit einem Hauch von Verzweiflung erzählt. Als Untermieter ist er den Schikanen seines Vermieters, mit dem er sich die Wohnung teilt, hilflos ausgeliefert. "Er ist unverschämt und beleidigt mich." Einen Großteil des Kleiderschrankes, der in seinem Zimmer steht, hat der Vermieter in Beschlag genommen. "Mir gehört nur ein kleiner Teil, alles andere liegt auf Stühlen", wie Dalibor berichtet. Die monatlich 400 Euro Miete bezahlt das Sozialamt. Weil seine Rente mit knapp 300 Euro nicht zum Leben reicht, muss er sie durch die staatliche Grundsicherung aufstocken. Nur etwa 460 Euro stehen dem Rentner im Monat zur Verfügung.

Ivan Dalibor (Name geändert, die Aufnahme ist ein Symbolbild) kommt finanziell kaum über die Runden. Dazu kommen noch gesundheitliche Probleme. (Foto: Catherina Hess)

"Ich muss viel sparen, dass ich damit auskomme", sagt der 78-Jährige. Dabei hebt er die schief sitzende Brille an und schiebt sie routiniert nach hinten. Die großen, dicken Gläser seien eigentlich zu schwach. Doch für eine neue Brille fehlt das Geld. 400 Euro kostet ein neues Modell mit getönten Gläsern, die er wegen seiner lichtempfindlichen Augen braucht. "Ich habe sie schon mindestens zehnmal geflickt", sagt er. Dabei zeigt er auf die Stellen, an denen die Gläser mit Superkleber am Gestell fixiert sind. Der Nasensteg ist dick mit einem schwarzen Klebeband umwickelt. Der gelernte Maschinenbauer ist nicht nur handwerklich geschickt, sondern weiß sich auch zu helfen.

Im März 1961 kam der gebürtige Kroate nach Deutschland. In seiner Heimat, dem ehemaligen Jugoslawien, fühlte er sich unerwünscht. Als Beschäftigter bei der jugoslawischen Bundesbahn hätte er der kommunistischen Partei in Jugoslawien beitreten müssen. "Ich hatte eine andere Meinung", sagt Dalibor, und wenn er von dieser Zeit erzählt, verfinstern sich seine sonst so freundlichen grauen Augen hinter der großen Hornbrille.

Als der junge Mann sein Elternhaus in Vinkovci verließ, nahm sein Vater ein Mädchen aus Bosnien auf, die zunächst im Haushalt half und später auch seine Geliebte wurde. Die Bosnierin sollte eine schicksalhafte Rolle im Leben von Ivan Dalibor spielen. 1983 starb seine deutsche Mutter, und mit ihrem Tod begannen die Streitereien um ihr Erbe. Im Testament habe sie das Haus mit einem geschätzten Wert von 80 000 Euro ihrem einzigen Sohn zugesprochen. Was aber weder sie noch Dalibor wussten: Sein Vater hatte das junge Mädchen aus Bosnien adoptiert. Die Unterschrift der Mutter soll er im Adoptionsdokument gefälscht haben. In einem grafologischen Gutachten habe er ihm den Betrug nachgewiesen, behauptet Dalibor. Die Wahrheit über seinen Vater sei: "Er hat mich schon als Kind nicht gern gehabt."

Auch Korruption sei im Streit um das Erbe der Mutter im Spiel gewesen. Von 1983 bis 2013 liefen die Gerichtsverhandlungen. Die vielen Fahrten nach Kroatien sind ins Geld gegangen. Vor zwei Jahren fiel die endgültige Entscheidung: Das Haus erbte die Adoptivtochter. Dalibor ging leer aus: "Ich habe gar nichts geerbt."

Heute ist er gebrechlich, mittellos und allein. Ein eigenes Auto kann Ivan Dalibor nicht finanzieren. Da er ohne fremde Hilfe aber seine Wohnung nicht verlassen kann, hat ihm das Sozialamt eine Einkaufshilfe organisiert, die ihn die eineinhalb Kilometer bis zum Supermarkt fährt. "Das ist die einzige Möglichkeit, dass ich rauskomme." Wichtige Dinge wie seinen Reisepass hat er immer dabei. Er wühlt in seinem hellblauen Rucksack und kramt eine Plastiktüte voll mit verschiedenen Tabletten hervor: "Meine Medikamente." Weil er Probleme mit dem Herzen hat, muss er Tabletten zur Blutverdünnung einnehmen. Vor zehn Jahren wurde außerdem Altersdiabetes diagnostiziert.

Die Zeit nach dem Einkaufen verbringt der 78-Jährige meist im Café. Manchmal geht er spazieren, auch wenn ihm das sehr schwer fällt. Wegen eines Knorpelschadens an der Hüfte ist sein rechtes Bein vier Zentimeter kürzer als sein linkes. Von einer Operation habe man ihm jedoch abgeraten: "Weil ich ja keine Schmerzen habe." Orthopädische Schuhe mit Einlagen, die auf seine Bedürfnisse angepasst werden, sind aber teuer. Die Krankenkasse übernimmt nur einen Teil der hohen Kosten. Seit etwa sieben Jahren schon läuft Ivan Dalibor mit Krücken. In seiner gebückten Haltung und mit der nach außen stehenden Hüfte kommt der 78-Jährige nur mühsam vorwärts.

Da er sich das Essen im Café und der angrenzenden Gastronomie nicht leisten kann, hat er immer auch etwas dabei. Seit sein Vermieter ihn nach einer Meinungsverschiedenheit nicht mehr in die gemeinsame Küche lässt, bereitet sich Dalibor Essen auf einem kleinen elektrischen Kocher im Zimmer zu. "Schmutziges Geschirr und Besteck wasche ich im Bad." Das Sozialamt sucht nun nach einer neuen Bleibe, "dass ich mal wieder vernünftig wohnen kann." Der alte Kühlschrank in seinem Zimmer ist defekt. "Was kaputt geht, bleibt kaputt", sagt er. Einen neuen kann sich Ivan Dalibor von seiner mickrigen Rente nicht leisten. Verderbliches Essen lagert er nun draußen auf dem Fenstersims. Sein bescheidener Wunsch: ein gebrauchter Kühlschrank.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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