Spendenaktion:Damit auch Eltern einmal Schwäche zeigen können

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Im Landkreis versuchen einige Vereine mit Unterstützung des SZ-Adventskalenders, Angehörigen von kranken oder behinderten Kindern zu helfen.

Von Valerie Schönian, Ebersberg

Einige Menschen bleiben für immer Kind. Einfach, weil sie ein Leben lang auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen sind. So geht es Roland und Heidi. Beide sind Spastiker, sitzen im Rollstuhl und brauchen Hilfe beim Anziehen, beim Essen, beim Ins-Bett-gehen. Die übernehmen die Eltern. Seit 40 Jahren. "Krank werden? Das darf nicht passieren", sagt Gertrude Krieger, die Mutter des 40-jährigen Roland. Seit seiner Geburt pflegt sie ihn, Vollzeit, gemeinsam mit ihrem Mann.

Mittlerweile sind die beiden mehr als 60 Jahre alt. Auch Angelika Merxmüller, 63 Jahre und die Mutter der 39-jährigen Heidi, weiß das. Vor einigen Jahren hatte sie einen Hörsturz. Nach Wochen erst schaffte sie es zum Arzt. Der sagte ihr, dass sie sofort hätte kommen müssen. Sie fragte ihn: "Wer hätte sich dann um die Heidi gekümmert?"

Gerhard Schönauer kennt die Geschichten. "Die Eltern schwerbehinderter Kinder setzen ihre Gesundheit aufs Spiel", sagt der Leiter des ambulanten Dienstes für Menschen mit Behinderung beim Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Die Awo fährt ein paar Mal im Jahr mit den großen Kindern weg, um den Eltern etwas Freizeit zu geben. Der Verein springt auch ein, wenn die Erziehenden einen Termin haben. Zumindest, wenn das langfristig angekündigt ist. Denn: Familie Krieger wohnt in Aßling, Familie Merxmüller in Frauenneuharting. Im Süden des Landkreises hat die Awo aber zu wenige Freiwillige und kann nicht spontan helfen. Nicht einmal in Krankheitsfällen, sagt Schönauer: "Dafür fehlt uns die Struktur."

Abseits bestimmter Organisationen ist die Gesellschaft eben noch nicht auf kranke oder behinderte Kinder eingestellt. Das weiß auch Helga Bogensperger, Leiterin der Kinderkrebshilfe (KKH) in Ebersberg: "Wenn ein Kind krank wird, bricht das ganze System zusammen." Das sei für betroffene Familien eine riesige emotionale Belastung, aber auch eine finanzielle. Bogenspergers Verein versucht zumindest letztere abzufedern: durch finanzielle Hilfen in den Familien und indirekt durch Unterstützung von Forschungsstellen und dem Haunerschen Kinderspital in München.

Eine Frau, die erfahren musste, wie wichtig die Arbeit der Kinderkrebshilfe hier im Landkreis Ebersberg ist, ist Uschi Gilg aus Ebersberg. Im Jahr 2012 erkrankte ihre damals vierjährige Tochter an dem Myelodysplastischem Sydrom, das heißt, ihr Körper produzierte keine funktionstüchtigen Blutzellen mehr. Nur eine Stammzellentransplantation konnte ihr helfen. Mittlerweile ist die Tochter wieder gesund, auch dank der Unterstützung der Kinderkrebshilfe: Sie hatte für die Familie Gilg gemeinsam mit der Aktion Knochenmarkspende Bayern (AKB) eine Spendenaktion gestartet. 1000 Menschen kamen, um für das erkrankte Mädchen eine Speichelprobe abzugeben. Eine Probe kostet 40 Euro, das macht 40 000 Euro insgesamt. "Das hätten wir nie im Leben zahlen können", sagt Uschi Gilg. Deswegen sei die Kinderkrebshilfe eingesprungen.

Ein weiteres Problem für Familien mit kranken oder behinderten Kindern: Selbst wenn sie berechtigt sind, Gelder zu bekommen, müssen sie sich erst durch den Bürokratiedschungel der Krankenkassen kämpfen. Angela Lettl, Leiterin des integrativen Kindergartens "Die Arche", kennt die Situation: "Der Gutachter sagt, das Kind braucht die Therapie, die Kita und der Arzt sagen das auch, nur die Kassen sagen nein." Reittherapien beispielsweise werden nicht übernommen - für Lettl unverständlich. Denn viele Familien könnten das aus eigener Tasche nicht bezahlen. "Für sie wären 500 Euro für ein paar Therapiestunden ein Geschenk des Himmels", sagt sie. Der SZ-Adventskalender möchte diese Familien mit einer Spende unterstützten, um ihr Leben ein wenig zu erleichtern.

Aber es geht nicht nur ums Geld. Gerd Schönauer von der Awo sucht dringend Freiwillige: "Wir müssen einen Helferkreis im Süden des Landkreises aufbauen." Damit die Eltern von Heidi und Roland auch mal krank werden können. Freiwillige müssten nicht ständig Zeit haben, brauchen aber eine gewisse körperliche Kraft und ein bisschen Geduld. "Denn er kann ja auch nicht sagen, was er braucht", sagt Rolands Mutter Gertrude Krieger. "Dafür kann er sich freuen", sagt Schönauer. Und das richtig.

© SZ vom 29.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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