So funktioniert Integration:Ganz normale Nachbarn

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Seit knapp drei Jahren leben in der 1500-Einwohner-Gemeinde Emmering Asylbewerber. Die Dorfbewohner haben sie offen und hilfsbereit aufgenommen. Probleme gab es noch nie, sagt der Bürgermeister.

Von Georg Reinthaler

Mitten in Emmering haben 16 Asylbewerber vorübergehend eine neue Heimat gefunden. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Sie stammen aus Nordafrika oder dem mittleren Osten und sind meist auf gefährlichen Wegen nach Bayern gelangt: Asylbewerber befinden sich auf der Flucht vor Krieg und Elend, müssen notgedrungen ihre Heimat verlassen und haben nicht selten traumatische Erlebnisse im Gepäck. 16 von ihnen leben derzeit in zwei benachbarten Quartieren in der idyllisch gelegenen kleinen Gemeinde Emmering.

Halt! Ausgerechnet dort, wo es noch feste Familienbande und einen engen sozialen Kontakt zwischen den Einheimischen gibt, wo jeder jeden kennt und man selbst schon "Zuagroaste" aus der Stadt offen kritisch beäugt, soll ein guter Platz für Flüchtlinge aus fremden Kulturen sein? Ja, denn es sind die Emmeringer selbst, die den Hilfe suchenden zur Seite stehen und versuchen, sie so gut wie möglich ins alltägliche Dorfleben mit einzubinden. Angefangen von der spontanen Kleiderbörse bis hin zum Stammplatz in der Fußballmannschaft - in der 1500-Einwohner-Gemeinde macht die gelebte Nächstenliebe keinen Unterschied zwischen Nationalitäten.

Bürgermeister Max Maier (CSU) muss schlucken und eine Pause beim Sprechen einlegen. Er erinnert sich an eine Situation aus dem vergangenen Jahr, die ihn und viele Emmeringer Bürger sehr bedrückt hat: "Da war diese junge Flüchtlingsfamilie aus einem afrikanischen Land. Ihre kleinen Kinder hatten sogar schon feste Plätze in der Krabbelgruppe unseres Kindergartens und wurden zusammen mit dem einheimischen Nachwuchs betreut. Und ganz plötzlich, von heute auf morgen, kam die Abschiebung." Vermutlich hätten die Eltern es schlichtweg versäumt, weitere Anträge zu stellen, um nicht wieder, gesetzlich legitimiert, in das von ihnen zuerst betretene EU-Land Italien zurückgeschickt zu werden. "Die Familie war hier bei uns wirklich schon sehr gut integriert, und die Angelegenheit ist nicht nur mir an die Nieren gegangen", berichtet Maier. Es stimme ihn äußerst nachdenklich, wenn er sich die Situation von heimatlosen Familien vorstelle, die "einfach wie eine Ware wieder in ein anderes Land weitergeschoben werden". Man müsse sich deshalb die Frage stellen, welchen Rückhalt und welche Form der Hilfe man in dieser Lage selbst benötigen würde, sagt er.

Viele Emmeringer haben nicht erst seit kurzer Zeit ganz offensichtlich die richtige Antwort gefunden. Knapp drei Jahre ist es nun her, dass mitten im traditionellen Ortskern mit Gasthaus, Kirche, Kramerladen und Maibaum erstmals Asylbewerber in eine Unterkunft eingezogen sind. Doch anstatt mögliche Ressentiments aufkommen zu lassen oder gar zu befeuern, sind Menschen aus allen Altersgruppen aktiv geworden, wie Maria Niggl bestätigen kann. Sie betreibt den kleinen Kramerladen an der Hauptstraße, der so etwas wie die zentrale Informationsstelle im Ort ist. Hier treffen sich die Bürger und tauschen sich neben dem üblichen Dorfklatsch auch über wichtige Angelegenheiten aus. "Natürlich ist die Situation der Asylbewerber ein Thema. Sie wohnen schließlich ja auch in der unmittelbaren Nachbarschaft." Zwei Kinder aus einer der Familien schauten beinahe täglich auf einen kurzen Besuch im Laden vorbei und berichteten über kleinere und größere Probleme, mit denen ihre Eltern zu kämpfen hätten. "Mal wird dringend ein gebrauchter Kühlschrank zur Lagerung von Lebensmitteln benötigt, und wenn es sein muss, organisieren Mütter aus Emmering auch ganz spontan eine Kleidersammlung. Die Hilfsbereitschaft ist eben groß, und bei Spezialanliegen brauche ich ja nur meine Kunden fragen", erklärt eine sichtlich stolze Maria Niggl.

Dass auch der ein oder andere Emmeringer anfangs zunächst "schon mit einer gewissen Vorsicht", wie es eine Anwohnerin formuliert, reagiert habe, will man gar nicht verhehlen. Medienberichte über soziale Spannungen oder möglicherweise steigende Zahlen bei den Straftaten in einzelnen Orten in der Bundesrepublik nehme die für diese Thematik sensibilisierte Öffentlichkeit eben aufmerksam zur Kenntnis. In Emmering habe es bis dato aber keinerlei Probleme gegeben, und die Asylbewerber gingen sehr offen und höflich auf die Einheimischen zu. "Und umgekehrt schauen insbesondere die direkten Nachbarn der zwei Unterkünfte regelmäßig nach den Bewohnern und helfen sofort, wenn Schwierigkeiten, egal welcher Art, auftreten", schildert Maria Niggl.

Die meisten der aus Afghanistan und Libyen stammenden Asylbewerber warten frühmorgens an der Bushaltestelle, um zu ihren Arbeitsplätzen in der Region zu fahren. Je nach Alter besuchen die Kinder derweil die Schule oder den Kindergarten im Ort. "Die Deutschkenntnisse der Kinder, aber auch die ihrer Eltern sind mittlerweile beachtlich, und man spürt richtig, dass diese Menschen unbedingt hier bei uns bleiben möchten", bekräftigt Max Maier. Ein spezielles Projekt, mit dem Emmeringer Bürger gezielt helfen wollen, die Sprachbarrieren abzubauen, stellen seit September regelmäßig stattfindende Treffen von ehrenamtlichen Lesepaten mit interessierten Asylbewerbern dar. Diese Initiative ist der Kirchengemeinde Emmering rund um Ludwig Haimmerer zu verdanken.

Und wer bisweilen am unterhalb der Pfarrkirche Sankt Pankratius gelegenen Sportplatz der "Pfarrabächa" vom TSV Emmering vorbeikommt, kann ganz selbstverständlich zwei afghanische Jungen im grün-weißen Trikot der heimischen Fußballmannschaft beobachten. Der eine neun Jahre alt, der andere 13, sind sie eines Tages am Spielfeldrand gestanden und haben mit leuchtenden Augen beim Training zugesehen. "Wir haben sie eingeladen, einfach mal mitzukicken, dann gleich Spielerpässe beantragt und jetzt sind sie auch bei den Punktspielen als wichtige Bestandteile ihrer Mannschaften eingesetzt", berichtet Armin Fischer, Jugendleiter des TSV Emmering. Die beiden Nachwuchskicker hätten sich längst auch schon die Palette der bayerischen Flüche angeeignet und reagierten damit wie jeder andere auch, wenn er im Training von einem Mitspieler gefoult werde. "Für mich ist die Integration von Kindern aus Asylbewerberfamilien eine ganz natürliche Angelegenheit. Und wir hier in Emmering sind einfach so bodenständig und geerdet, dass wir uns in dieser Angelegenheit von außen nicht in Aufregung versetzen lassen", analysiert Fischer die Gemütslage seiner Mitbürger.

Laut Bürgermeister Max Maier liegt im Rathaus bis dato keine einzige Mitteilung über durch Asylbewerber verursachte Probleme oder Konflikte vor. "Diese Menschen sind doch letztlich genauso wie wir, und nur das gemeinsame Zusammenleben mit gegenseitiger Unterstützung und Wertschätzung zählt." Er garantiere, jeglicher Form einer eventuellen negativen Stimmungsmache seitens einzelner Vertreter aus der einheimischen Bevölkerung gegen die Flüchtlinge sofort und entschieden entgegenzutreten, so Maier.

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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