Poing/Anzing:Die Meisterschützen aus Anzing

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Dass Jutta und Ingo Schweinsberg so gut wie nichts hören, ist am Schießstand kein Problem. Die beiden gehören weltweit zu den Besten in ihrem Sport. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ingo und Jutta Schweinsberg sind gehörlos, dennoch halten sie mit der Sportler-Elite in Deutschland problemlos mit

Porträt von Korbinian Eisenberger, Poing/Anzing

Gerade sind die Pistolenschützen am Werk, 25 Meter, große Kaliber. Wer funktionierende Ohren hat, dem würde es wahrscheinlich nach ein paar Schuss das Trommelfell zerfetzen, deswegen haben die Leute hier Ohrenschützer auf. Alle, bis auf zwei. Sie tragen rote Stirnbänder über dem Kopf, ein Gewehr im Arm, und zucken nicht, weder mit der Schulter noch mit den Wimpern. Es ist Vorbereitungszeit, in ein paar Minuten beginnt der Wettkampf, und schon jetzt rumst und kracht es um sie herum. Die Szenerie am Schießstand erinnert an einen Cowboy-Film mit zwei Stirnband-Indianern. Zwei, denen das wilde Geballer um sie herum nichts anhaben kann.

Ob Pfeil oder Patrone, Armbrust, Pistole oder Gewehr. Es gibt wohl kaum ein Duo in Deutschland, das so gut mit Schusswaffen umgehen kann wie Ingo und Jutta Schweinsberg. Die beiden Anzinger zählen zum Besten, was es im europäischen Schießsport gibt, zusammen haben sie deutsche Meistertitel gesammelt, Medaillen bei Europameisterschaften und internationalen Turnieren geholt.

"Wichtig ist das Miteinander", sagt Ingo Schweinsberg

Das Besondere daran ist, dass die Schweinsbergs Gehörlosensportler sind und dennoch zur Elite in der Konkurrenz mit den funktionierenden Ohren zählen. Denn: Wer nichts hört, hat beim Zielen einen Nachteil, weil Hören den Gleichgewichtssinn unterstützt, das fehlt den Schweinsbergs. Oder vielleicht doch nicht?

Ein Freitagabend im Schützenverein Hubertus in Poing, Wettkampftag für Jutta und Ingo Schweinsberg, Aufwärmphase. Ingo Schweinsberg hat ein Grinsen auf dem Gesicht, er lässt es locker angehen, jetzt, mit 48 Jahren. Die große internationale Bühne hat er mit seiner Frau vor zwei Jahren verlassen, und so geht es heute gegen die zweite Mannschaft von Hubertus Eglharting, "wichtig ist das Miteinander und um der Spaß", sagt Ingo Schweinsberg. Dann legen die Schützen los, zehn Meter, stehend, Luftgewehr. 7er- und 8er-Treffer, bei beiden Teams. Nur bei Ingo und Jutta Schweinsberg, da leuchtet fast immer die 10 auf, die 10 heißt: Volltreffer.

Der Schießstand verbindet, das sieht man Ingo und Jutta Schweinsberg an. Sie sind wie sonst auch im Partnerlook unterwegs, gleiches Stirnband, gleicher Anzug, nur beim Gewehr, da hat jeder so seine eigenen Vorlieben. Jutta Schweinsberg schwört seit Jahren auf ein ziemlich altes Gerät, ihr Mann hat sich ein neueres Modell zugelegt.

"Am Ende kommt es aber auf den Schützen an", sagt er. Wie gleicht man den Nachteil mit dem Gleichgewicht aus? "Man muss einfach ganz bei sich sein", sagt Ingo Schweinsberg, alles andere ausblenden, es gibt dann nur noch das Zielrohr und die Scheibe, mit dem ein Millimeter dünnen Zielpunkt, den man treffen muss, damit am Ende die 10 aufleuchtet.

Man mag bezweifeln, wie Waffen Menschen vereinen sollen, und doch, so wirkt es an diesem Abend am Poinger Schießstand, geht es hier genau darum. Es gibt hier keinen, der die Schweinsbergs in der Szene nicht kennt, der Vereinsvorstand kommt rein, gibt Ingo Schweinsberg einen Klaps auf den Bauch, "das ist unser Ritual", sagt Ingo Schweinsberg.

Wenn er spricht, bewegt sich das ganze Gesicht, er hat viel trainiert dafür, dass er heute so sprechen kann, dass man ihn so gut versteht. Wer ihn was fragt, dem schaut Schweinsberg genau auf den Mund, "weil ich die Leute manchmal nicht verstehe", sagt er, etwa wenn jemand recht leise spricht oder nuschelt. Ingo Schweinsberg hat Restgehör, seine Frau Jutta ist hingegen taub.

Die beiden haben große Turniererfolge erzielt

Wieder ein Zehner, es ist alles wie früher, nur dass die Schweinsbergs nicht mehr gegen die besten Athleten des Landes antreten, sondern gegen Hobby-Sportler. Der Schützenverein Hubertus Poing führt die Tabelle in der A-Klasse souverän an, gegen die Schweinsbergs geht es nicht ums Gewinnen, "es ist eine Ehre, gegen sie antreten zu dürfen", sagt einer der Gegner aus Eglharting. Am Ende gewinnt Poing klar und deutlich, aber darum ging es hier eigentlich von vorn herein nicht wirklich.

Sportlich haben die Schweinsbergs so gut wie alles erreicht: Ingo Schweinsberg war auf sechs Deaflympics, den olympischen Spielen für Schwerhörige, dabei hat er sechs Gold-, fünf Silber- und vier Bronzemedaillen geholt, dazu kommen elf Europameistertitel, 18 Weltrekorde - das ist seine Bilanz im Schwerhörigenbereich, dazu kommen eine Silber- und eine Bronzemedaillen bei den Deutschen Meisterschaften der Hörenden. Jutta Schweinsberg hat ebenfalls jahrelang große Siege eingefahren, sie kommt auf vier Europameistertitel bei den Gehörlosen - und vor allem: Sie wurde zweimal Deutsche Meisterin der Hörenden.

Seit zwei Jahren ist der Sport nun in den Hintergrund gerückt, zumindest der Leistungssport. "Es gibt auch noch was anderes", sagt Ingo Schweinsberg. Er und seine Frau sind Großeltern geworden, und erst kürzlich hat das Leben der Schweinsbergs eine weitere Wendung bekommen: Vor einigen Monaten wurde Jutta Schweinsberg operiert, sie hat nun ein Gerät, das ihre Gehörgänge mit dem Gehirn verbindet. Dadurch kann sie jetzt zum ersten Mal Dinge hören, deren Ton sie sich vorher nur vorstellen konnte.

Kurze Pause, Jutta Schweinsberg hat das Gewehr zur Seite gelegt, sie bewegt den Mund, und es kommen Töne heraus. "Kaffeetasse" ist zu verstehen. Sie könne jetzt hören, wie es klingt, wenn man einem Löffel in der Flüssigkeit rührt und den Porzellanrand berührt. Die vielen Siege, all die Medaillen, das war ihr immer wichtig, und ist es noch. Ohrenschützer braucht sie wegen den Klängen der Tasse lange noch nicht, aber wenn man nach all den Jahren plötzlich hört wie Metall im Wasser klingt, sagt sie, dann ist das ein starkes Glücksgefühl. Während sie das sagt, weiten sich ihre Pupillen, ein Ruck geht durch ihr Gesicht, so als wäre vor ihr die Sonne aufgegangen.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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