Literatur:Wozu kämpfen?

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Engagiertes Projekt: Senioren und Jugendliche setzten sich bei einer szenischen Lesung mit existenziellen Fragen auseinander. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Oberpframmerner gestalten eine gelungene szenische Lesung von Bertolt Brechts "Die Gewehre der Frau Carrar"

Von Julian Carlos Betz, Oberpframmern

Einmal mehr ist es klar geworden: Man kann sich dem, was um einen herum geschieht, nicht entziehen. Schon gar nicht, wenn Bürgerkrieg herrscht, so wie 1937 zwischen General Franco und der Zweiten Spanischen Republik. Damals wurde das Stück "Die Gewehre der Frau Carrar" von Bertolt Brecht in Paris uraufgeführt und anschließend häufig gespielt. Heute eher vergessen, gelangte es nun im Pfarrheim Oberpframmern zur Aufführung, eine szenische Lesung, an der Senioren wie Jugendliche beteiligt waren.

Die Idee dazu hatte Bernd Kaiser von der Reihe "Sammelsurium", die in Oberpframmern immer wieder kulturelle Veranstaltungen bietet. Mit Barbara Huber, Leiterin der Gemeindebücherei, und Marianne Koschmann, stellvertretende Leiterin des kulturpolitischen Arbeitskreises der Verdi-Senioren München, bildete Kaiser für Brecht ein Regie-Trio.

Als Darsteller konnten sie auch Studenten aus dem ehemaligen "Ministrantentheater" gewinnen. Nur drei Mal habe man geprobt, erzählt Huber stolz, denn die jungen Mimen hätten nun nicht mehr allzu viel Zeit für ihr schauspielerisches Hobby. Von Kaiser stammte auch die Idee, den Gewerkschaftschor zu integrieren.

Wer das "Solidaritätslied" Brechts kennt, dem wird sofort einleuchten, wie stimmungsvoll und eindringlich diese heute eher verborgene Sprache sozialistischer und kommunistischer Ideale wirken kann. Der Chor "Eulenschrei" der Verdi-Senioren sang eben dieses Lied zu Beginn und sorgte so für einen effektvollen Einstieg in die Vorführung. Die Hoffnung auf ein gemeinsames, von sozialen Ständen und gesellschaftlichen Verwerfungen unabhängigen Rechts auf ein Leben ohne Unterdrückung und Not begleitet und bewegt den Zuschauer bis zuletzt.

Die Inszenierung kommt dabei mit bescheidenen Mitteln aus und beschränkt sich auf das Nötigste. Keine Kostüme oder aufwendige Darstellungen, die schlichte Kulisse zeigt eine Fischerhütte. Kaiser, der die Regieanweisungen beisteuert, erfreut mit angenehm sonorer Stimme, die Darsteller tragen ihren Text mit fester Stimme und Verve vor. Dabei geht es immer wieder um die quälende Frage, ob man tatsächlich zu den Waffen greifen muss, oder nicht vielmehr, wie es der Geistliche im Stück mehr unsicher als überzeugt dartut, in stiller Neutralität verharren sollte.

Die titelgebende Frau Carrar aus Andalusien hat bereits ihren Mann im Krieg verloren und will nun die übrig gebliebenen Gewehre nicht herausgeben. Auch verbietet sie ihren Söhnen Juan und José strengstens, an den Kämpfen teilzunehmen. "Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen." Immer wieder erklingt das Geräusch von Trommeln hinter der Bühne und erinnert an den Kanonenlärm der nahen Gefechte. Nach eingehenden Diskussionen erhält die Familie die Nachricht, dass Juan auf seinem Fischerboot von vorüberfahrenden, franquistischen Soldaten erschossen wurde, trotz seiner Unschuld. Daraufhin ändert Frau Carrar ihre Meinung, die Familie bricht auf, um die Kämpfer zu unterstützen.

Besonders auffallend an dem Stück ist, wie sich das Radio immer wieder einmischt mit hetzerischen Reden, Anfeindungen und Gerüchten, die von den Figuren nur teilweise als Propaganda entlarvt werden können. Auch die Zeitungen kommen nicht gut weg. Die allgemeine Unsicherheit darüber, welche Verbrechen von welcher Seite begangen wurden, und was das für die eigene Haltung zu bedeuten hat, ist deutlich spürbar. Doch für Frau Carrar steht mit dem Tode des Sohnes fest, dass es gar nicht so sehr darum geht, das eigene Leben zu schützen, sondern in einer durch Tod und Gewalt bedrohten Zeit seinen Beitrag zu leisten.

Die Hauptfigur Brechts akzeptiert also, wie es auch der Standpunkt des Autors war, dass ihr keine andere Wahl mehr bleibt - und selbst "das Gute einmal zur Waffe greifen muss". Die Notwendigkeit, in Freund-Feind-Mustern zu denken, erscheint hier als unabwendbar angesichts der übermächtigen Bedrohung durch den Faschismus. Für den heutigen Zuschauer vielleicht ungewohnt, erinnert dieses Stück daran, dass fern von differenzierter Weltanschauung und reflektierter Zurückhaltung auch eine andere Realität existiert, in der die Entscheidung zwischen Leben und Tod keine Handlungsvariante ist, sondern bitterer Zwang zur kompromittierenden Tat.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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