Literatur:Sinnbild ewiger Wanderschaft

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Literarischer Herbst in Zorneding widmet sich dem Mond

Von Rita Baedeker, Zorneding

Von Zeit zu Zeit kommt der Mond der Erde sehr nahe. Viele Menschen fahren dann raus aufs Land, wo sie freie Sicht haben auf den Erdtrabanten, der sich gleich einer riesigen orangeroten Frucht über den Horizont schiebt. Die Faszination dieses Schauspiels löst starke Emotionen aus, Gefühle wie Euphorie, Schwärmerei, Demut. Wie nah und doch so fern der Mond uns Menschen ist, davon zeugen Geschichten, Mythen und Märchen, davon erzählen Malerei, Musik und Poesie, Naturwissenschaft, Magie - und jede Menge Unfug. Einen notwendigerweise unvollständigen, aber klug und unterhaltsam gewählten Ausschnitt aus der lunaren Welt präsentieren Karin Ossig, Carolin Schubert und Peter Wurm vom Verein Pro Christophorus unter dem Titel "Mondsüchtig" am Mittwoch beim Literarischen Herbst in Zorneding. Der Protagonist selbst ist zwar einen Tag vor Neumond abwesend, dafür leuchtet er auf der Leinwand groß und rund.

Den Reigen eröffnet Carolin Schubert mit einer bezaubernden Geschichte von James Thurber: "Ein Mond für Leonore oder die Kunst, das kleine Glück zu finden". Das in drei Teilen gelesene Märchen für Kinder überbringt eine Botschaft, die auch in einem bekannten Aphorismus steckt: "Glück ist, was jeder sich als Glück gedacht." Und so ist es auch mit dem Mond. Für Dichter und Liebende ist er ein fernes Sinnbild der Sehnsucht nach Geborgenheit, etwa in dem Gedicht "Wanderer an den Mond" von Gabriel von Seidl und vertont von Franz Schubert. Dazu ist eine Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau zu hören. Für Naturwissenschaft und Raumfahrt ist er dagegen nah genug, um hinzufahren. Ob sich das lohnt, darüber machte sich 1955, noch vor der ersten Mondlandung, der Sänger und Pianist Paul Kuhn seine Gedanken.

Andere wieder spotten über die ganze Mond-Duselei. Und dichten, so wie Christian Morgenstern, Folgendes: "Als Gott den lieben Mond erschuf, gab er ihm folgenden Beruf: Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen / sich deutschen Lesern zu bequemen, / ein a formierend und ein z - daß keiner groß zu denken hätt./ Befolgend dies, ward der Trabant / ein völlig deutscher Gegenstand." Als deutschen Gegenstand hat auch Kabarettist Dieter Hildebrandt den Mond oder vielmehr das wundervolle Lied "Der Mond ist aufgegangen" von Matthias Claudius behandelt - und den Text im Stil von Helmut Kohl vorgetragen. Die Zuhörer erinnern sich mit viel Gelächter an die gestelzten Reden. Claudius mag verzeihen.

Wenn es um die träumerischen Aspekte des Nachtgestirns geht, öffnet sich ein überreicher Fundus. Da sind die poetischen Zeichnungen des Ottobrunner Illustrators Quint Buchholz, in denen der Mond leichtfüßig durch die Träume der Menschen balanciert. Da rührt das sentimentale Lied "Moon River", das Audrey Hepburn in dem Film "Frühstück bei Tiffany" in den Nachthimmel haucht, zu Tränen. Da sind die Gesichter und Gestalten, vom Mann übers Krokodil bis zum Kaninchen, die Menschen verschiedener Kulturen im Mond zu sehen glauben. Und da ist auch die dunkle Seite des Mondkults, die Karin Ossig in ihren mimisch und stimmlich gespenstisch gestalteten Werwolf-Geschichten beleuchtet.

Schließlich werden dem mittlerweile mondsüchtig gewordenen Publikum auch Astrologie und Physik nicht vorenthalten. Dass der Satellit gerade im Sternzeichen Waage und also für Harmonie und Genussfreude steht, dass der 18. Oktober perfekt sei für Hausputz, Leber-, Gallen- und Hüft-OPs. Vielleicht hat er gerade auch Einfluss auf den Spielverlauf von FC Bayern gegen Glasgow genommen - wer glauben mag, der glaube. Viel wichtiger ist, dass es den Mond gibt. Denn gäbe es ihn plötzlich nicht mehr, so Peter Wurm, bliebe nichts so, wie es ist. Eine gigantische globale Flutwelle würde sich erheben, die Erde geriete ins Trudeln. Doch bis es soweit ist, wird der Mensch noch viele Male den Mond anhimmeln, dichten, schwärmen, Schlaflieder singen. Vielleicht "Lalelu", hier in einer Aufnahme der Pinguin Singers aus Vaterstetten. Oder so wie Goethe empfinden: "Füllest wieder Busch und Thal / Still mit Nebelglanz / Lösest endlich auch einmal/ meine Seele ganz".

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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