Landshut:Taktische Milde des Gerichts

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Eine Frau, die ihre Tochter einem Kinderschänder überließ, kommt mit Bewährung davon. Sie hatte gestanden

Von Florian Tempel, Landshut/Ebersberg

Wie die Urteile im Prozess zum mehrfachen sexuellen Missbrauch eines kleinen Mädchens, das 2006 und 2007 von seiner eigenen Mutter einem Pädophilen zur Verfügung gestellt worden war, in etwa ausfallen würden, war längst klar. Das war schon vor drei Wochen von den Prozessbeteiligten abgemacht worden. Am Mittwoch verurteilte die Jugendschutzkammer des Landgerichts Landshut nun die 43-jährige angeklagte Frau aus dem Landkreis Ebersberg zu 21 Monaten Gefängnis auf Bewährung. Der 46 Jahre alte Angeklagte aus dem Landkreis Erding erhielt, inklusive einer früheren Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs, eine Gesamtstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten. Die Mutter des heute 16 Jahre alten Opfers hatte eine so milde Strafe gewissermaßen per Kronzeugenregelung zugesagt bekommen. Da sie ein volles Geständnis ablegte, war damit auch der angeklagte Mann überführt. Dieser gestand daraufhin ebenfalls die Taten.

"Wir stehen am Ende eines ungewöhnlichen Verfahrens", sagte der Vorsitzende Richter Oliver Dopheide in der Urteilsbegründung. Der Fall war tatsächlich in vielfacher Hinsicht besonders. Dass eine Mutter ihre eigene Tochter einem Kinderschänder überließ und ihm bei der Ausführung seiner abscheulichen Taten half, "wühlt einen durchaus auf", sagte Dopheide.

Die alleinerziehende Frau hatte den Mann 2005 im Internet kennengelernt. Dieser konnte sie offenbar mit verbalen Mitteln so manipulieren, dass sie zur Mittäterin in einem verabscheuungswürdigen Verbrechen wurde. Die umfangreiche Kommunikation der zwei Angeklagten per Chat und E-Mails, die dem Gericht vorlag, machte das "auch für uns deutlich", sagte Richter Dopheide. Anders als durch besondere manipulative Fähigkeiten ist sowieso kaum zu erklären, wie die Angeklagte dazu kam, dem Mann ihr Kind für Kindesmissbrauch zur Verfügung zu stellen. Diese erschütternde Mithilfe lasse es auf den ersten Blick durchaus als abwegig erscheinen, räumte Richter Dopheide ein, dass die Frau nicht ins Gefängnis müsse, sondern mit Bewährung davonkomme.

Zur Anklage kamen sieben Fälle zwischen Mai 2006 und Mai 2007, in denen sie ihre Tochter, zum Teil mit Baldriantropfen sediert, dem Angeklagten überließ. Die zweite große Besonderheit des Falles lag in diesem Umstand. Da das Mädchen stets im Tiefschlaf missbraucht worden war, "wusste die Geschädigte schlicht und ergreifend nichts von den Taten", sagte Richter Dopheide. Das Opfer erfuhr erst Ende 2014 durch die Ermittlungen der Kripo Erding davon, dass es Jahre zuvor als Kind missbraucht worden war, unter Mithilfe seiner Mutter von einem ihm fremden Mann. "Möglicherweise wäre es für die Geschädigte besser gewesen, sie hätte nie davon erfahren", sagte Dopheide - und fügte schnell an, dass das "nicht als Kritik an den Ermittlungsbehörden gemeint" sei.

Die Polizei war bei Nachermittlungen zu einem anderen Fall - der Angeklagte hatte eine 13-jährige Schülerin missbraucht, wofür er 2014 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde - ohne Hinweis von außen auf den mehrfachen Missbrauch gestoßen. Bei der Auswertung des Computers des Mannes waren drei verdächtige E-Mails aufgefallen, die zur Angeklagten führten. Auf deren Rechner fanden sich dann belastende Chat-Unterhaltungen.

Die Anklage basierte schließlich allein auf dem Inhalt der Chats und weiterer E-Mails. Fotos und Videoaufnahmen des Missbrauchs solle es zwar auch gegeben haben. Es gelang aber nicht, verdächtige Dateien zu öffnen. Die Beweislage war zu Prozessbeginn nicht aussichtslos, aber auch nicht eindeutig. Die Angeklagten stritten zunächst alles ab und gaben an, die Chats gäben nur Fantasien wieder. Sie hätten sich nur über Kindesmissbrauch unterhalten, er sei jedoch nie real gewesen. Richter Dopheide sagte, "wir hatten es mit einem reinen Indizienprozess zu tun".

Dann aber bauten Staatsanwaltschaft und Gericht der Frau eine goldene Brücke: Sie werde eine Bewährungsstrafe bekommen, wenn sie ein Geständnis ablege. Der erwünschte Nebeneffekt war, dass auch für den Angeklagten somit Leugnen zwecklos wurde. Er gestand letztlich wohl vor allem, um nicht noch länger ins Gefängnis zu müssen. Ohne Geständnis hätte er wohl zehn Jahre Haft erhalten.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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