Schöffen:"Man sieht den Angeklagten, man sieht die Eltern"

Lesezeit: 3 min

Bei einem Verbrechen oder einer anderen schwerwiegenden Tat wird ein Gericht mit einem Berufs- und zwei Laienrichter, den Schöffen, einberufen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Schöffen haben keine juristische Ausbildung. Trotzdem helfen sie Richtern beim Urteil. Eine Kirchseeonerin und ein Grafinger erzählen, wie kompliziert das ist.

Von Franziska Langhammer, Kirchseeon/ Grafing

Manchmal kann eine Sekunde über ein Menschenleben entscheiden. Etwa, wenn sich ein Jugendlicher im Rausch ans Steuer setzt und losfährt. Wie schuldfähig ist er, wenn er dabei einen Bekannten überfährt, der wenige Stunden später seinen Verletzungen erliegt? Wie hoch am besten das Maß seiner Strafe? "Man muss in jedem Fall neutral bleiben", sagt Barbara Burgmayr-Weigt, "auch wenn man weiß, dass jemand dabei gestorben ist, darf man niemanden vorverurteilen."

Seit 2014 ist sie als Jugendschöffin am Landgericht Ebersberg tätig; ein Ehrenamt, das nicht nur Menschenkenntnis voraussetzt. Ihr erster Fall hat Burgmayr-Weigt, wie sie sagt, sehr bewegt. Ein junger Mann hatte auf Alkohol und Speed mit seinem Auto einen Unfall verursacht, der einem anderen Jugendlichen das Leben kostete. "Man sieht den Angeklagten, man sieht die Eltern", sagt Burgmayr-Weigt, "man sieht Trauer und Ängste." Die Verhandlung sei sehr anstrengend gewesen und hätte den ganzen Tag gedauert. Letztlich war das Strafmaß von zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt worden, und der Angeklagte musste sich einer Therapie unterziehen. Die Richterin betonte damals: "Die Schuld, die Sie haben, wird Sie nicht loslassen."

Barbara Burgmayr-Weigt arbeitet seit Jahren als ehrenamtliche Schöffin. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schöffen haben im Gegensatz zum Richter keine juristische Ausbildung; als "Stimme des Volkes" sollen sie den Richter bei der Urteilfindung unterstützen. Um ein gerechtes Urteil über ein Strafmaß fällen zu können, sei es wichtig, die ganze Geschichte hinter dem Fall zu kennen, sagt Burgmayr-Weigt. Gab es etwa vorher schon einmal Auffälligkeiten? Welche Ausbildung hat der Jugendliche? Welchen familiären Hintergrund? Jeder junge Mensch, findet sie, habe die Chance verdient, wieder auf die richtige Bahn zu kommen. Aber Mitgefühl? Barbara Burgmayr-Weigt schüttelt den Kopf. Mitgefühl darf man nicht haben. "Sonst kann man nicht neutral bleiben", sagt sie.

Bevor sie als Jugendschöffin anfing, war Burgmayr-Weigt zwei Perioden lang als ehrenamtliche Richterin am Verwaltungsgericht München tätig. Sozial eingestellt war sie schon immer, sagt sie; außerdem findet sie es wichtig, sich für die Gesellschaft einzusetzen. Neben dem Orts-Vorsitz der CSU in Kirchseeon hat Barbara Burgmayr-Weigt auch das Amt der Zweiten Bürgermeisterin in der Gemeinde inne. Gerade junge Menschen liegen der Mutter zweier erwachsener Töchter am Herzen: "Ich bin einfach gerne unter jungen Menschen. Sie beleben immer alles."

Die ersten Fälle, bei denen er vor Gericht seine Meinung über einen Täter aussprechen musste, wird Schöffe Hans Hörner nie vergessen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Geldstrafen für Jugendliche übernehmen oft die Eltern

Als disziplinarische Maßnahme findet sie es zwar auch wichtig, Jugendliche, die sich etwas zuschulden kommen haben lassen, finanziell zu belangen. "Aber das übernehmen meistens die Eltern", weiß Burgmayr-Weigt. Sinnvoller sei es, Sozialstunden abzuleisten. "Damit der Jugendliche lernt, dass es in der Gesellschaft Menschen gibt, die auf Hilfe angewiesen sind", sagt sie, "und dass er seine eigenen Bedürfnisse einmal zurückstecken muss."

Mit dem Jahr 2018 endet die laufende Amtsperiode der Laienrichter; derzeit läuft die Auswahl der Schöffen für die Zeit von 2019 bis 2023. Auch Hans Hörner hat sich für die nächsten fünf Jahre als Jugendschöffe beworben; momentan ist er noch in Strafsachen für Erwachsene als Laienrichter tätig. Auch er kann sich noch gut an seinen allerersten Fall erinnern.

Es ging um schwere Körperverletzung und Vergewaltigung in einer Beziehung. Neun Stunden dauerte die Verhandlung. "Damals war ich überrascht, wie detailliert alles dargelegt wird", erzählt Hörner. Als der Richter die Schöffen dann angesprochen habe: "Haben Sie noch Fragen?", sei er regelrecht erschrocken. Er hatte nicht gewusst, dass er auch Fragen stellen und mitreden durfte - ein Recht, von dem er seitdem dann regelmäßig Gebrauch gemacht hätte.

Die Jahre als Schöffe, sagt Hörner, haben sein Menschenbild insofern verändert, als dass er bis dato von derartigen Straftaten nur aus Zeitung und Fernsehen erfahren habe. "Wenn du einem Straftäter gegenübersitzt, siehst, wie er schaut, hörst, wie er spricht", sagt Hörner, "dann gibt das schon einen kleinen Rutsch." Dann habe die Tat Gesicht, Stimme, Leben. Besonders bei älteren Angeklagten, die schon eine lange Liste an Vorstrafen mit sich herumtragen, sei man geneigt zu denken: "Der lernt's nimmer", sagt Hörner. Trotzdem sei es wichtig, sich bei jedem Fall aufs Neue zu fragen: Was machen wir jetzt mit dem?

Während es für Jugendliche und junge Menschen oftmals gute Maßnahmen zur Resozialisierung gebe, sei das bei älteren Straftätern schwierig, so Hörner: "Da fehlt ein Konzept in der Gesellschaft." Davon, Straftäter einfach nur einzusperren, hält er nicht viel: "Die kommen krimineller aus dem Gefängnis wieder raus, als sie rein gekommen sind."

Hörner ist Geschäftsführer einer Garten- und Landschaftsbaufirma. Oft beschäftigt er Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Dies, so sagt er, befähige ihn, Menschen realistisch einzuschätzen und trotzdem noch Mensch zu sein. Während sich der Richter in den Gesetzes-Paragraphen auskenne, müssten die Schöffen für das lebensnahe Gegengewicht sorgen. Manchmal brauche es hitzige Diskussionen, um auf einen Nenner zu kommen: Hörner erinnert sich an einen Fall, in dem ein Mann Ende Fünfzig mit einer riesigen Menge an Marihuana und einer im Vergleich dazu geringen Menge an THC erwischt worden war.

Trotzdem lag der Anteil an THC leicht über der Normalmenge, sodass eine Freiheitsstrafe drohte. "Der Mann war Schmerzpatient, er hat das Cannabis für sich selbst angebaut und hat sich bis dahin nie etwas zu Schulden kommen lassen", sagt Hörner, "ich hab gesagt: Dem würde ich nichts tun." Schließlich war der Angeklagte mit einer Strafe auf Bewährung und einer Geldstrafe davon gekommen.

Seine Zeit als Schöffe, sagt Hans Hörner, sei eine "supergute Zeit" gewesen. Er hofft, in den nächsten fünf Jahren als Jugendschöffe arbeiten zu dürfen: "Ich glaube, da kann man noch mehr bewirken."

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Ebersberg
:Recht gewöhnlich

Eine Verhandlung vertagt, einen Einspruch abgewiesen, drei Angeklagte verurteilt und einen frei gesprochen - so sieht ein ganz normaler Arbeitstag von Richterin Vera Hörauf am Ebersberger Amtsgericht aus

Von Jan Schwenkenbecher

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: