Kammermusik:Wien bleibt Wien

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Dem Walzer in verschiedenen Ausprägungen widmet sich das "Linos Ensemble" beim Konzert des Kulturvereins Zorneding-Baldham. (Foto: Christian Endt)

Das "Linos Ensemble" musiziert im Zornedinger Martinstadl mit allerhand Schmäh

Von Peter Kees, Zorneding

Wien, 27. Mai 1921: Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern geben ein Konzert. Zu hören: keine Zwölftonmusik der Zweiten Wiener Schule, vielmehr Arrangements verschiedener Strauß-Walzer, die jene Komponisten für ein Benefizkonzert in eigener Sache - im Rahmen des "Vereins für musikalische Privataufführungen" - ersonnen haben. Die Neutöner wollen an diesem "außerordentlichen Abend" mit einer Versteigerung ihrer handschriftlichen Manuskripte der Walzer-Bearbeitungen die finanziellen Mittel ihres Vereins zur Pflege Neuer Musik aufstocken. Vier Walzer von Johann Strauß Sohn stehen auf dem Programm.

Zwei davon waren nun in der legendären Besetzung für Streichquartett, Klavier und Harmonium im Martinstadl Zorneding zu hören: "Wein, Weib und Gesang", op. 333, arrangiert von Berg und "Rosen aus dem Süden", op. 388 in der Fassung von Schönberg. Zu Gast beim Konzert des Kulturvereins Zorneding-Baldham war das renommierte Linos Ensemble, das im vergangenen Jahr seinen 40. Geburtstag feierte, im Laufe der Jahre zahlreiche Auszeichnungen erhalten und eine CD mit diesen Walzerbearbeitungen herausgebracht hat. Winfried Rademacher (Violine), Sidsel Garm-Nielsen (Violine), Matthias Buchholz (Viola), Mario Blaumer (Violoncello), Jörg Linowitzki (Kontrabass), Konstanze Eickhorst (Klavier) und Ryoko Morooka (Harmonium) spielten die beiden Johann-Strauß-Bearbeitungen in Zorneding ausnehmend temperamentvoll, durchaus mit Wiener Schmäh. Beiden Werken hört man natürlich die Handschriften nicht nur des Walzerkönigs, sondern auch die ihrer Bearbeiter an. "Wein, Weib und Gesang" beginnt mit einer deftigen, romantisierten Einleitung, ehe der Dreivierteltakt erklingt. "Rosen aus dem Süden" könnte stilistisch fast auch Schönbergs früher Schaffensphase zugeordnet werden, begann dieser doch seine Karriere unter anderem mit dem Komponieren von Walzern und Polkas. Auffallend ist der Einbezug eines Harmoniums: Das Zungeninstrument soll die Blasinstrumente ersetzen; Klänge die man heute kaum mehr kennt. Ein Original aus der Wiener Walzerzeit hatte das Linos Ensemble auch mitgebracht: Joseph Lanners "Steyrische Tänze", op. 165, aus dem Jahr 1841. Und schon fühlte man sich beim Heurigen in Grinzing oder in einem der Wiener Kaffeehäuser des 19. Jahrhunderts.

Etwa hundert Jahre vor jenem legendären Wiener Benefizkonzert komponierte der 19-jährige Franz Schubert, ebenfalls in Wien, im März und April des Jahres 1816 drei Sonaten für Violine und Klavier, darunter seine Sonatine D-Dur (D384), die häufig im Violinunterricht, seltener im Konzertsaal zu hören ist. Der Primarius des Ensembles Winfried Rademacher trug sie zwischen den Walzern gemeinsam mit der Pianistin Konstanze Eickhorst vor. Zum mitunter perlenden Klavier gesellte sich hier ein zarter Geigenklang.

Fast orchestral wurde es nach der Pause, denn da schlossen sich dem Streichquintett drei Bläser an: Rainer Müller-van Recum (Klarinette), Frank Forst (Fagott) und Paul van Zelm (Horn). Man blieb im Wien des 19. Jahrhunderts; auf dem Programm: Schuberts Oktett F-Dur (D 803). Wir schreiben das Jahr 1824; Schubert stirbt vier Jahre später 31-jährig. Die acht Instrumentalisten musizierten mit impulsiver Tongebung, zugleich angenehm durchsichtig, eine Mischung aus feiner Kammermusik und groß angelegtem Orchesterklang. Schubert wollte sich mit dieser Besetzung "den Weg zu großen Sinfonie bahnen". Wie sehr auch er mit der Welt des Walzers zu tun hat, wurde spätesten mit den Ländler-Anklängen in den Mittelsätzen deutlich. Wien bleibt eben Wien. Die Reise in das dortige 19. und frühe 20. Jahrhundert im Zornedinger Martinstadl wurde übrigens von BR-Klassik aufgezeichnet.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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