Kabarett:Das Spiel mit den Rollen

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Fatih Çevikkollu schafft eine Verbindung zwischen Leichtigkeit, saloppem Auftritt und gesellschaftskritischer Tiefe. (Foto: Christian Endt)

Der Comedian Fatih Çevikkollu hat sich seit seinen platten Anfängen mit Atze Schröder weiterentwickelt. In Ebersberg gelingt es ihm, das Publikum aus der Reserve zu locken

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Weißes Hemd, dunkles Sakko, Schlappen an den Füßen und Hip-Hop-Beat: So kommt der Kölner Satiriker Fatih Çevikkollu auf die Bühne. Später wird Çevikkollu sein Hemd öffnen und mit seiner Brustbehaarung angeben. Çevikkollu, der sich auch gerne mal als "Kanake" bezeichnet, überzeichnet Klischees, um dem Publikum das zu zeigen, was es sehen will. Und damit auch rassistische Projektionen zu spiegeln. Das ist erst einmal nichts Neues, funktioniert aber immer noch erstaunlich gut. In einem der Sketche geht es um eine Szenerie beim türkischen Gemüsehändler, das Publikum soll sich eine "türkische Mutti" vorstellen. "Haben Sie ein Bild im Kopf?" Viele im Publikum nicken verhalten. Klar: "Klein, dick, rund und ein Kopftuch, damit man weiß, wo oben und unten ist". Das Lachen ist verhalten und ein wenig verdruckst. "Ich kenne dieses Lachen, es ist politisch korrektes Lachen", analysiert Çevikkollu die Situation. "Trauen Sie sich ruhig!"

"Ich arbeite mit dem, was ich hab", sagt Çevikkollu und meint das Publikum. Sein Programm ist solide Comedy, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Stärke von Çevikkollu liegt im Umgang mit dem Publikum, in der Spontaneität seines Humors. Der auch sehr rau sein kann. "Ich hau schon mal drauf, um die Leute aus der Reserve zu locken", wird Çevikkollu nach der Vorstellung sagen. Es gelingt ihm an diesem Abend. Und mit der Zeit fangen einige an, zurück zu pöbeln. Das Gepöbel kennt, wer sich an den alten Çevikkollu erinnert, den, der in der Comedy-Serie "Alles Atze" den "Murat" gespielt hat. Wie Çevikkollu zu diesem Job gekommen ist? "Die haben halt einen Türken gebraucht und haben dann gemeint ,wir nehmen den da', sehn ja eh alle gleich aus".

Ein Motiv, das sich durch die zweieinhalb Stunden zieht, in denen Çevikkollu auf der Bühne steht, ist Identität. Immer wieder spricht er von "uns", er meint damit das Publikum und sich selbst, stellvertretend für die deutsche Bevölkerung. "Wen meint er, wenn er von ,uns' redet, werden sie sich fragen", sagt Çevikkollu und lacht. "Ja, ich bin Deutscher, so sehen die heute aus". Wahrgenommen aber werde er anders, doch er, Çevikkollu, versuche spielerisch mit Ressentiments umzugehen. Und die Wahrnehmung ändere sich, von Ort zu Ort, von Publikum zu Publikum. "Wenn ich im Westen bin, dann bin ich ein Kanake. Wenn ich im Osten bin, ein Wessi. Ich weiß gar nicht, was schlimmer ist."

Angefangen hat alles an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst, wo Çevikkollu studierte. Dann kam die Rolle bei "Alles Atze", einer Sendung, die man mit viel gutem Willen noch als platt, mit weniger gutem Wille aber als dumpf und sexistisch bezeichnen muss. Seither hat Çevikkollu zusammen mit Sheila Mysorekar das Buch "Der Moslem-TÜV" und andere Bücher geschrieben, in Filmen mitgewirkt und eben Kabarett gemacht. "Emfatih" heißt Çevikkollu neues Programm - ein Wortspiel aus seinem Vornamen Fatih und Empathie. Auftritt wie auch Intention haben sich seit der Rolle "Murat" stark gewandelt. Der Çevikkollu, der da heute auf der Bühne steht, hat sich in den zehn Jahren Bühnenleben zu einem Comedian hochgearbeitet, der auch durchaus für seine gesellschaftskritische Tiefe beliebt ist. Er schafft eine Verbindung zwischen Leichtigkeit und saloppem Auftritt, er verschmilzt die humoristische Schwere eines Volker Pispers mit der spielerischen Leichtigkeit des "Murat".

Da dürfen dann Themen wie Pegida oder die Kölner Silvesternacht nicht fehlen, Çevikkollu will für Rollenbilder sensibilisieren, dazu gehören auch Geschlechterrollen. Er berichtet auf der Bühne, wie er kürzlich mit seiner zehnjährigen Tochter im Kino war, wo er in Tränen ausgebrochen sei. "Das ist der Papa von heute", sagt Çevikkollu, das ist ernst gemeint, keine Ironie. Und dann berichtet er von einem Aufmarsch von Tausenden rechtsradikalen Hooligans, die vor einigen Monaten durch die Kölner Innenstadt zogen. "Ich pass bei denen ja ins Beuteschema", sagt Çevikkollu grinsend, aber auch das ist nicht satirisch gemeint. Und es lacht auch niemand. Als die Rechten durch Köln zogen, randalierten und Migranten angriffen, da habe er sich ansatzweise vorstellen können, wie es sich "damals" angefühlt haben muss. Çevikkollu hält kurz inne, die Stille im Raum ist bedrückend.

Doch Çevikkollu schafft es, die Stimmung innerhalb von Sekunden wieder herumzureißen, als er erklärt, was er einem Kind antworten würde, das fragt, was es mit dem Aufmarsch auf sich habe: "Kein Angst, das ist ein Fußballverein. Und das Kind dann so: Warum sind die so sauer? Hm... weil sie verloren haben! Gegen wen denn? Gegen FC Alliierte."

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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