Hilfsaktion in Nordafrika:"Ich weiß, dass es Tote geben könnte"

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Tobias Vorburg aus Markt Schwaben geht am Donnerstag an Deck des Rettungsschiffs "Sea Eye". Vor der Küste Libyens will sich der Sanitäter zwei Wochen lang ehrenamtlich um Flüchtlinge in Seenot kümmern.

Interview von Korbinian Eisenberger

Dienstagvormittag, Tobias Vorburg sitzt am Check-in-Schalter des Münchner Flughafens, gleich hebt seine Maschine ab. Hier beginnt die Reise des 27-Jährigen nach Nordafrika, an die Küste Libyens, wo das deutsche Schiff Sea Eye seit 19. April Flüchtlinge aus dem Meer rettet. Der Sanitäter aus Markt Schwaben wird am Donnerstag mit einer achtköpfigen Crew in See stechen. Er soll bis 8. Juli Flüchtlinge als Ersthelfer versorgen, Sekunden können dann über Leben und Tod entscheiden. Vor dem Abflug bleiben noch ein paar Minuten für ein Telefonat.

SZ: Herr Vorburg, seit fast einer Woche weht an der libyschen Küste ein starker Nordwind, weswegen keine Schiffe fahren konnten. Jetzt soll das Wetter umschwenken, es wird erwartet, dass sich in den kommenden Tagen Tausende Flüchtlinge aufs Meer begeben, um nach Sizilien oder Lampedusa zu gelangen. Wissen Sie, was da auf sie zukommt?

Tobias Vorburg: Genau kann ich das ehrlicherweise nicht sagen. Wie die meisten Menschen in Bayern kenne ich die verstörenden Bilder aus der Zeitung. Ich kenne aber auch die Erzählungen der Flüchtlinge, die wir im Markt Schwabener Helferkreis betreuen. Für mich war klar, dass ich meine Dienste jetzt vor Ort anbieten muss.

Am 14. Juli entdeckte die Sea Eye per Zufall ein völlig überfülltes Boot mit über 130 Flüchtlingen und meldete es der italienischen Küstenwache. Noch bevor das Boot kenterte, konnten so alle gerettet werden. Meistens müssen die Menschen aber aus dem Wasser gezogen werden, oft leblos. Sind Sie auf so etwas vorbereitet?

Ich weiß, dass es Tote geben könnte, das ist für mich nichts Neues, weil ich seit sechseinhalb Jahren im Rettungsdienst arbeite. Ich weiß, was in einem vorgeht, wenn man einen Motorradfahrer von der Straße kratzt.

Jetzt sind Sie nicht mit dem Sanka unterwegs, sondern auf einem Schiff. Haben Sie damit auch schon Erfahrung?

Wir hatten ein Vorbereitungsseminar für Sea Eye in Regensburg. Da haben wir in der Donau Rettungsinseln aufgeblasen und geübt, Leute aus dem Wasser zu ziehen.

Was genau wird von Donnerstag an Ihre Aufgabe sein?

Geplant ist, dass ich als medizinische Hilfskraft eingesetzt werde. Das heißt, ich stelle fest, ob die Vitalfunktionen der Geborgenen aktiv sind, überprüfe Blutdruck, Puls und ob jemand bei Bewusstsein ist oder offensichtliche Verletzungen hat. Dann ist es wichtig, den Kreislauf zu stabilisieren. Dazu habe ich Wasser, Medikamente, und Infusionen aus Kochsalz, Elektrolyten und Zucker.

Tausende Flüchtlinge wagen die gefährliche Überfahrt von Libyen nach Italien - meist in maroden oder zu kleinen Booten. (Foto: Sea-Eye e.V.)

Versorgen Sie die Menschen ausschließlich auf dem Deck der Sea Eye, oder müssen Sie dafür auch in das Beiboot steigen?

Es kann sein, dass ich mit dem kleinen Boot raus muss, das hängt von der Dramatik der Situation ab. Dann tragen wir Schwimmwesten und versorgen die akutesten Fälle gleich im Beiboot.

Was ist, wenn Sie feststellen, dass jemand nicht mehr atmet?

Wenn bei jemandem der Kreislauf zusammengebrochen ist, gilt es abzuschätzen, ob eine realistische Überlebenschance besteht. Wenn dies nicht der Fall ist, wird die Person gekennzeichnet. Es wird dennoch dafür gesorgt, dass sie aus dem Wasser geborgen wird. Alle Geborgenen werden der Küstenwache übergeben.

Dass Sie Anfang Juli eine Sitzung des Markt Schwabener Gemeinderats verpassen, dürfte zu verschmerzen sein. Aber wie geht Ihre Familie damit um, dass Sie sich auf hohe See begeben?

Ich habe meiner Tochter erklärt, dass es Menschen gibt, denen es nicht gut geht. Und denen hilft der Papa jetzt, das hat sie mit ihren drei Jahren schon verstanden. Als Glücksbringer habe ich ein Bild von ihr dabei, eine handgenähte Ledertasche eines Freundes und einen Schutzengel von meiner Großmutter.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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