Grafinger Flüchtlinge:Umzugsdrama beendet

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Sieben Männer, Drei Frauen und ein Kleinkind haben am Mittwochnachmittag als letzte die Notunterkunft in Grafing verlassen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Landratsamt bringt die Räumung der Container am Grafinger Gymnasium mit Geduld und Sensibilität über die Bühne. Mehrere Flüchtlinge protestieren, doch eine Eskalation bleibt diesmal aus.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Vor der Schule sonnen sich die Schüler im Gras, in der Ferne spielt eine Blaskapelle, kaum zu glauben, diese Idylle. Sie passt so gar nicht zu den Bildern, die sich ein paar Meter weiter vor einem Metallgitter abspielen. Zwei Polizisten, Schlagstock, Pistole, geleiten einen jungen Mann aus Senegal durch das Tor. Er pfeffert seinen Rucksack auf die Pflastersteine, schimpft auf Englisch. "Ich bin kein Krimineller", blafft er einen Polizisten an.

Harmonische Szenen waren kaum zu erwarten, an diesem Mittwoch, an dem das Landratsamt Ebersberg das Grafinger Umzugsdrama beendete, das Ende Mai begonnen hatte. Anders als vor drei Wochen, als ein 20-jähriger Flüchtling aus Protest gegen die Räumung auf ein Containerdach geklettert war, hatten die Beamten die Situation diesmal unter Kontrolle. 15 Polizisten, mehrere Sozialarbeiter und Mitarbeiter des Landratsamtes eskortierten die Gruppe ohne Körperkontakt vom Gelände. Dafür wurde es diesmal laut. Unter Protesten verlassen am Nachmittag sieben Männer, drei Frauen und ein Kleinkind das Grafinger Schulgebäude.

Bewohner fühlen sich unverstanden

Der Mann, der sich an diesem Nachmittag besonders lautstark gegen die Räumung wehrt, ist Familienvater, neben ihm steht seine Frau. Sie hat ein Kleinkind im Arm, blaue Söckchen, Schnuller. Er habe den Eindruck, sagt er, dass seine Position nicht gehört werde. Dass niemand verstehe, dass er und die anderen sich in den vergangenen 14 Monaten eingelebt hätten in Grafing. "Ihr habt kein Recht, uns so zu behandeln", schimpft er in die Runde.

Er ist nicht der Erste, dem es schwer fällt, den deutschen Rechtsstaat zu verstehen. Wer gegen seinen Willen ausziehen muss, durchläuft einen emotionalen Härtetest. Menschen aus Syrien dürfte es da kaum anders gehen als Einheimischen, wie ein Räumungsdrama in Frauenneuharting im vergangenen Jahr zeigte. Eine Bauernfamilie musste ihren Hof verlassen - und mobilisierte ein ganzes Dorf, um zu verhindern, was in den eigenen Augen wie Unrecht aussah.

Verlegungen finden derzeit in ganz Bayern statt

Dass Flüchtlinge aus Notunterkünften wie den Grafinger Schulcontainern in permanente Wohnsituationen verlegt werden, passiert derzeit in ganz Bayern. So spektakulär wie in Grafing, wo vor drei Wochen neben Polizei auch Feuerwehr und Sondereinsatzkräfte angerückt waren, geht es jedoch anderswo selten zu. Beim ersten Umzugstermin ließ sich letztlich nur ein Teil der 32 Flüchtlinge zum Auszug bewegen. "Es war eine besonders homogene Gruppe", sagt ein Helfer.

Von der Kirche tönt der 15-Uhr-Schlag, die Polizei hat das Tor jetzt versperrt. Die Männer stehen mit Koffern, Plastiktüten, Rucksäcken und verknoteten Schuhen über der Schulter vor dem Gitter. Ein Mann mit Baseball-Kappe versucht, den noch immer aufgebrachten Familienvater zu beruhigen. Etwas abseits füllen drei Männer in Flip-Flops Formulare aus, Mitarbeiter des Landratsamts verteilen Fahrtgutscheine.

Landratsamt verhindert Eskalation

Die sieben Grafinger Flüchtlinge sollen auf vier Unterkünfte in ganz Bayern verteilt werden, darunter die Hansa-straße in München. Ein Mann in Jeans und Hemd hat seinen Rucksack umgeschnallt, den Koffer in der Hand. Sein Blick ist traurig, er gehe nicht freiwillig, sagt er. Die Eskalation bleibt diesmal aber aus.

"Wir haben seither viele Gespräche mit den Männern geführt", sagt Andreas Stephan, Leiter der Abteilung Zentrales im Landratsamt. Anders als üblich, wenn Unterkünfte geschlossen werden, habe man darauf verzichtet, Strom und Wasser abzudrehen. "Wir wollten nicht, dass es weiter eskaliert", sagt Stephan. Die Männer sollen jetzt in Großunterkünften unterkommen, derzeit gibt es dazu bayernweit kaum Alternativen - es sei denn, Privatleute oder Helferkreise wie etwa in Kirchseeon vermitteln auf eigene Faust Wohnungen. In den leeren Containern des Grafinger Gymnasiums will das Landratsamt künftig vier Klassenzimmer einrichten. Dort sollen 80 der landkreisweit 240 Flüchtlinge im Berufsschulalter unterrichtet werden.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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