Rassismus im Alltag:Widerspruch ist Widerstand

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Thies Marsen, Experte für neofaschistische Umtriebe, spricht über den richtigen Umgang mit rassistischen Tönen im Bekanntenkreis.

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Es sollte um den Extremismus der Mitte gehen. Etwa um die Frage, ob sich rassistisches Gedankengut seit Pegida auch im Mainstream breitmacht? Ob sich Neonazis dadurch im Recht fühlen, Gewalt auszuüben - als Ausführende dessen, was die schweigende Mehrheit denkt? Stattdessen hat Thies Marsen, der als einer der profiliertesten deutschsprachigen Journalisten zum Neofaschismus gilt, von freien Kameradschaften erzählt, dem NSU-Prozess und darüber, wie Neonazis Heimat- und Umweltthemen durch die völkische Brille sehen. Wer das in einem Schulaufsatz macht, der muss sich nachher vom Lehrer anhören, an der Fragestellung vorbeigeschrieben zu haben.

Anknüpfungspunkte hatte Marsen, der auf Einladung von "Bunt statt braun" und der Ebersberger VHS eben diese besuchte, eigentlich zuhauf mitgebracht. Das Foto von führenden Neonazis inmitten Münchner Pegida-Demonstranten: Wie reagierten die Veranstalter? Mit Teilnahmslosigkeit? Mit Willkommensgesten? Solche Fragen hätten ein Einstieg in die Diskussion sein können. Oder Anti-EU-Banner auf Pegida-Demos, die wortgleich auf NPD-Demonstrationen zu sehen waren. Zu dieser Debatte kommt es aber nicht, weil Marsen gleich das nächste Foto zeigt und von Polizeisprechern erzählt, die Nazi-Schmierereien als Dumme-Junge-Streiche abtun. Das mag in den Kontext gehören, liefert aber keine Erkenntnisse über ein mögliches Wechselspiel von gesellschaftsfähigem Rassismus, Neonazis und Gewalt.

Wo endet eine gerechtfertigte Meinung? Wo beginnt Rassismus?

Dass es darum auch in der Diskussion nach dem Vortrag nicht ging, könnte Zeichen sein, dass die Fragestellung vielleicht eine zu soziologische ist. Und bei den gut 50 Besuchern erst einmal andere, nämlich alltagspraktischere Fragen drängen. So erzählt ein Besucher, wie sehr er bei der Diskussion über Flüchtlinge auch im Bekanntenkreis an seine argumentativen Grenzen stoße. Bis wohin sei eine Aussage noch eine gerechtfertigte Meinung? Wo sei die Grenze zum Rassismus? Er wisse oft nicht, wie angemessene Reaktionen auf rassistische Untertöne aussehen könnten. "Bei mir sind dadurch echt Freundschaften zerbrochen", sagte er. Einer Frau geht es ähnlich. "Manchmal bin ich sprachlos, was ich auch im Bekanntenkreis höre."

"Immer widersprechen", empfiehlt Marsen. Natürlich, das koste Überwindung. Blieben rassistische Untertöne aber unwidersprochen, sei das für denjenigen, der sie ausspricht, de facto Bestätigung. "Mit kritischem Nachfragen, mit dem ständigen Einfordern von ganz konkreten und belastbaren Beispielen kommt man auf jeden Fall weiter." Zwar lasse sich nicht jeder sofort umstimmen. "Aber es führt vielleicht zu einem Gedankenanstoß, selber genauer hinzuschauen, selber Beispiele zu suchen. Und wenn er keine findet, kann vielleicht ein Umdenken beginnen."

Krude Neonazi-Behauptungen in der Mitte der Gesellschaft

Die Diskussion führt dorthin, wo sie an dieser Stelle so oft hinführt: Wie es soweit kommen konnte, dass krude Behauptungen aus dem Neonazi-Milieu plötzlich aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu hören sind? Der Neoliberalismus der Nullerjahre habe eine Grundhaltung nach dem Motto "jeder gegen jeden" gefördert, sagt Marsen. Jemand anderes mutmaßt: "Die Bindungskraft der Gesellschaft ist geringer geworden." Die Mittelschicht habe Angst, bald Unterschicht zu sein. Und wer Angst habe, der nehme es nicht mehr so genau mit den Thesen. Daher: mehr Bildung, mehr Lehrer, mehr Sozialwohnungen.

Schließlich meldet sich ein junger Mann. Ob man es sich mit solchen Forderungen denn nicht ein bisschen arg einfach mache? "Vor 15 Jahren gab´s noch kein Hartz IV - und trotzdem gab es gleich um die Ecke in Aßling regelmäßige neonazistische Umtriebe." Nicht nur ein Rassismus der Mitte müsse kritisch hinterfragt werden. Sondern auch die vermeintlichen Gegenrezepte.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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