Serie "Die Welt dahoam in Ebersberg":Flagge zeigen für die alte Heimat

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Mit seiner Familie ist Hans van Sorge als Jugendlicher nach Ebersberg gezogen. Inzwischen hat er hier längst Wurzeln geschlagen. (Foto: Christian Endt)

Hans van Sorge spricht Bairisch und liebt Ebersberg, wo er seit mittlerweile 50 Jahren lebt. Aber wenn es im niederländischen Königshaus etwas zu feiern gibt, holt er den orangefarbenen Wimpel vom Speicher - und den Käse bezieht er selbstverständlich aus Holland

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Wenn in den Niederlanden ein großer Festtag ansteht, dann erkennen das die Anwohner der Bürgermeister-Eichberger-Straße sofort. Dann flattert nämlich vor dem Haus ihres Nachbarn Hans van Sorge festlich die rot-weiß-blaue Flagge des Nachbarlandes. Und wenn der Anlass der Feier irgendwie mit dem Königshaus zu tun hat, gibt es noch einen orangefarbenen Wimpel obendrauf. "A bisserl a Gaudi", sagt Hans van Sorge in astreinem Bairisch und lacht.

Zuletzt hat er seine Flagge rausgehängt, als das niederländische Königspaar zu Gast in Bayern war, denn die beiden schätzt der 65-Jährige sehr. Ein "ganz gwandter sympathischer Kerle" sei Willem Alexander, seine Frau nicht nur schön, sondern auch unkompliziert und offen und in den Niederlanden extrem beliebt. Hans van Sorge selbst muss nicht nachschauen, wann "Koningsdag", also der Geburtstag von Willem Alexander, wäre, das hat er im Kopf - obwohl er selbst schon seit 50 Jahren nicht mehr in den Niederlanden lebt.

Ressentiments gegen die Deutschen hatte die Familie nicht - obwohl es gute Gründe gegeben hätte

So lange ist es auch her, dass er erstmals vom Ebersberger Forst aus die Kreisstadt erblickte und sein Vater ihm versprach, dass man von hier aus manchmal die Alpenkette sehen könnte. "Ich konnte das gar nicht glauben", erinnert sich Hans van Sorge an jenen heißen Augusttag. Seither hat er oft erlebt, das sein Vater recht hatte. Heute jedoch, so schimpft er, verschandelten ja "greisliche Industriebauten" den einstmals schönen Ausblick.

Der Umzug aus Bunnik bei Utrecht ins Oberbayerische war für die ganze Familie des damals 16-Jährigen ein großer Schritt. Ein gutes Jobangebot in München für den Vater war der Auslöser dafür. Ressentiments gegen die Deutschen hatte die Familie nicht, obwohl es gute Gründe gegeben hätte: Im Krieg war der Vater von Hans van Sorge als Zwangsarbeiter in Deutschland gewesen, hatte das Bombardement von Hamburg erlebt, später für die Firma Messerschmitt arbeiten müssen. "Er hat schlimme Dinge erlebt", sagt Hans van Sorge, doch später habe der Vater immer gesagt: "Diese Zeiten sind vorbei."

In den Sommerferien 1966 kam die Familie in Ebersberg an, im September ging es dann für den jungen Niederländer aufs Gymnasium Grafing. "Da waren wir die ersten Ausländer", erzählt er. Der Direktor habe ihn persönlich begrüßt, auch die Mitschüler seien sehr nett gewesen. "Nur das Bairische war etwas schwierig", sagt van Sorge, das hinderte aber nicht daran, schnell Freundschaften zu knüpfen.

Und mehr als Freundschaft war es dann ein paar Jahre später, als der damals 20-Jährige ein hübsches 18-jähriges Mädchen auf einer Faschingsparty kennenlernte. Beide waren zwar eigentlich mit jemandem anderen da, doch am Ende des Abends war es Hans van Sorge, der Gudrun heimbrachte. Seither sind die beiden zusammen: "Wir haben uns blendend verstanden, und das hat sich nie geändert", sagt er heute, 45 Jahre später. Auch im Job fasste der IT-Fachmann Fuß, seit langem ist er im Verschönerungsverein und im Gartenbauverein aktiv.

"Die Bayern schauen erst einmal: Was ist denn das für einer"

Er hat also schnell feste Wurzeln geschlagen in seiner Wahlheimat, die doch zu seinem Heimatland recht unterschiedlich ist, wie er festgestellt hat. Liberal, frei, locker, aufgeschlossen, so kennt er die Niederländer. "Die Bayern schauen erst einmal: Was ist denn das für einer", hat van Sorge festgestellt. Der Bayer lasse sich nicht gern in die Karten schauen, er sei vorsichtig. "Wenn man ihn gut kennt, merkt man, er ist sehr empfindsam. Aber erst einmal zeigt er das nicht." In die Niederlande wollte van Sorge dennoch nie zurückkehren, auch heute käme ihm das nicht in den Sinn. "Zu eng, zu voll, ein gigantischer Verkehr, das macht keinen Spaß", sagt van Sorge. Sogar im Urlaub war er in den Niederlanden zuletzt im Jahr 2001.

Das ändert nichts daran, dass er seiner ersten Heimat nach wie vor sehr verbunden ist; wenn er sich mit seiner Schwester Annette trifft, wechseln beide auch sofort ins Niederländische. Früher, so erinnert sich der Ebersberger, habe er auf Holländisch geflucht, auch Kopfrechnen ging schneller in seiner Muttersprache, das ist heute nicht mehr so. Sogar einen holländischen Stammtisch gab es bis vor ein paar Jahren in Ebersberg, doch einige Mitglieder sind weggezogen, andere gestorben, deshalb hat sich das nun weitgehend zerschlagen.

Einmal wollte Hans van Sorge die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, doch das scheiterte

Doch es gibt ja auch noch das Internet, hier liest Hans van Sorge nach, was sich in den Niederlanden so tut, chattet mit anderen in Foren über dies und das - und bestellt Lebensmittel, die es eben nur in seinem Heimatland gibt: Rauchwurst, die zu Grünkohl serviert wird, Gewürze aus Indonesien, der früheren niederländischen Kolonie - und, natürlich, Käse. Genießerisch erzählt der 65-Jährige über den wunderbaren Komijnekaas, also den Kümmelkäse, den er im Netz bezieht. Diese Spezialität gebe es hier fast gar nicht, und wenn dann sehr teuer, sagt van Sorge.

Trotz solcher Defizite seiner Wahlheimat hat van Sorge sogar einmal versucht, zusätzlich zu seiner niederländischen Staatsbürgerschaft die deutsche zu beantragen. Das scheiterte aber an der Unfreundlichkeit der zuständigen Sachbearbeiterin im Landratsamt. "Die hat getan, als ob ich ein Depperl bin", empört sich van Sorge noch heute.

Doch wichtig ist ihm der deutsche Pass heute nicht mehr; dass er aus ganzem Herzen ein niederländisch-bayerischer Ebersberger ist, zeigt er auf andere Weise. "Huismus" steht auf einem Holzschild neben seiner Haustür, es war ein Stück Treibholz, das die Familie 1966 bei ihrer Abschiedstour durch die Niederlande aus dem Meer fischte und mit nach Ebersberg brachte. Huismus heißt wörtlich übersetzt Haussperling, in der freien Interpretation werden so Menschen genannt, die sich da, wo sie sind, einfach wohl fühlen.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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