Ebersberg:Auf der Kippe

Lesezeit: 6 min

Die Stimmung im Landkreis hat sich gewandelt. Politiker und Helferkreise erhalten anonyme Drohungen, bei manchen Bürgern wächst die Sorge

Von Annalena Ehrlicher, Johanna Feckl, Korbinian Eisenberger und Wieland Bögel, Ebersberg

Angesichts der nach wie vor hohen Flüchtlingszahlen und der Vorfälle in der Silvesternacht in Köln wächst im Landkreis die Sorge. "Die Stimmung ist am Kippen", so die Einschätzung von Landrat Robert Niedergesäß (CSU). Ein ähnliches Fazit ziehen auch andere. Ein Überblick:

Die Politik

Oft kommt die Wut per Post oder per Fax. Die meisten Schreiben nähmen inzwischen Bezug auf die Flüchtlingsproblematik, stellt Landrat Niedergesäß fest. Dabei gebe es durchaus Zuschriften, aus denen keine fremdenfeindliche Gesinnung, sondern einfach Sorge und Verunsicherung sprechen. Niedergesäß versucht, möglichst mit den Absendern ins Gespräch zu kommen - was natürlich nur geht, wenn die Post nicht anonym kommt. "Wenn mir jemand mit offenem Visier ins Gesicht sagt, was ihn stört, davor habe ich Respekt und da kann ich auch in einen Dialog eintreten." Mancher Zweifler lasse sich überzeugen, wenn man mit ihm spricht.

Anonyme Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen versucht er zu ignorieren. Gelegentlich wird so etwas aber ein Fall für die Justiz. Niedergesäß zeigt ein besonders krasses Schreiben. Darin wird nicht nur wüst auf alle möglichen Politiker, von Merkel über Obama bis zum Landrat selbst, geschimpft, der anonyme Absender ruft auch zum "Bürgerkrieg" auf und verweist auf immer mehr Waffen im Land, bald werde "aufgeräumt". Das "haben wir gleich an die Polizei weitergeleitet", sagt Niedergesäß.

Auch im Alltag der Behörde lasse sich ein Stimmungsumschwung beobachten. "Wir bekommen keine Angebote für Unterkünfte mehr", sagt der Landrat. Bis vor einigen Wochen hätten sich immer wieder Privatleute gemeldet, die Wohnungen oder Häuser für Flüchtlinge vermieten wollten. Doch ziemlich genau mit Jahresbeginn seien neue Angebote so gut wie ausgeblieben, sagt Stefanie Geisler, im Landratsamt zuständig für Asylfragen, "es werden auch Zusagen zurückgezogen."

Eine Erfahrung, die auch Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) machen musste. Ein örtlicher Unternehmer hatte den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in der Mühlenstraße beantragt. Eine Reihe von Anwohnern hatte daraufhin so massiv gegen das Projekt Stimmung gemacht, dass der Bauwerber seinen Antrag zurückzog.

Nicht neu sind für Obermayr aggressive oder beleidigende Briefe und Faxe. Bei der Polizei angezeigt hat die Bürgermeisterin nur einen, in dem offen mit Brandstiftung gedroht wurde. Die meisten anderen Zuschriften seien "nicht schön", aber eben auch nicht strafwürdig. Wer die anonymen Absender sind, darüber kann Obermayr nur spekulieren: "Was mir aber aufgefallen ist: Je schlimmer die Beschimpfungen, desto schlimmer ist auch die Rechtschreibung."

Dass die Hemmungen fallen, hat auch Poings Bürgermeister Albert Hingerl (SPD) festgestellt. Er bekam eine Mail, weil er die Flüchtlingshelfer der Gemeinde ausgezeichnet hatte. Das mache ihn zum "Mittäter", der Menschen unterstütze, die sich illegal im Land aufhielten, wetterte ein Bürger aus einem Nachbarort.

Die Polizei

"Wir gehen dem natürlich offensiv nach", sagt Hendrik Polte, Inspektionsleiter der Ebersberger Polizei, in Bezug auf Droh- und Schmähbriefe. "Aber es ist auch nicht so, dass wir da ständig etwas Neues bekommen." Sein Poinger Kollege Manfred Winter stellt fest, dass bei vielen Leuten die Hemmschwelle sinke, die Polizei zu rufen. "Viele Leute sind beunruhigt", sagt er. Im Umfeld der Massenunterkünfte wie in Vaterstetten oder Poing komme es gelegentlich zu Beschwerden.

"Manchmal rufen Leute an, weil ihnen ein Flüchtling nicht aus dem Weg gegangen ist, oder sie angestarrt wurden", berichtet er. "Ernst nehmen wir die Vorwürfe auf jeden Fall", so Winter. Könne man den Täter ermitteln, dann werde eine "Gefährder-Ansprache" gehalten, in der "wir erklären, dass aufdringliches Verhalten nicht geduldet wird." Bleiben die Ermittlungen erfolglos, werden die Beschwerden an die Asylhelferkreise weitergegeben. "Bisher war noch kein Fall dabei, der einen Strafbestand erfüllt hätte", sagt Winter. Häufiger komme es vor, dass die Polizei in größeren Unterkünften zwischen streitenden Asylbewerbern für Ruhe sorgen muss.

Das Internet

In den sozialen Netzwerken sind Anfeindungen gegen Politiker längst Usus. Wenn etwa auf der Facebook-Seite des CSU-Landtagsabgeordneten Thomas Huber geschimpft wird, dann richtet sich die Wut meist gegen die große Politik, gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auffällig ist: Wie er selbst auch, halten sich die wichtigsten Landkreispolitiker auf Facebook und Twitter mit kontroversen Meinungsäußerungen zurück.

Poings Bürgermeister Albert Hingerl (SPD) teilte einen Zeitungsartikel über rechtsradikale Parolen-Schmierer in Poing zwar mit dem eindeutigen Hinweis, "Dafür haben wir keinen Platz" - und bekam dafür ausschließlich Zuspruch, eine solche Stellungnahme aber ist eher die Ausnahme. Landrat Robert Niedergesäß postet zwar regelmäßig zum Thema Asyl, meist jedoch, ohne zu kommentieren oder zu bewerten. Eine Plattform für Anfeindungen bietet er damit nicht.

Dass es anders geht, zeigen Beispiele aus anderen Landkreisen. Der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch (CSU) etwa äußerte sich kontrovers über Flüchtlinge, kritisierte, dass sie sich über die Zustände eines Asylheims beschwert hatten. Auf seiner Seite sammelten sich innerhalb kürzester Zeit Hunderte Anfeindungen gegen Flüchtlinge - aber auch gegen ihn selbst. Ähnliche Beispiele gibt es im Netz zuhauf - kaum jedoch auf den Seiten der wichtigsten Ebersberger, Kreis-, Landes- und Bundespolitiker.

Anwohner verhinderten, dass auf diesem Grundstück an der Mühlenstraße in Grafing eine Asylbewerberunterkunft entsteht. (Foto: Christian Endt)

Die Helferkreise

Bei den Ehrenamtlichen in den Helferkreisen ist die Solidarität nach wie vor ungebrochen. Die Reaktionen, die von außen herangetragen werden, bekommen jedoch einen aggressiveren Tonfall. Bei einigen sind anonyme Briefe eingegangen, persönlich an sie adressiert. Das Prinzip war immer dasselbe, obwohl die Briefe bei verschiedenen Personen und in unterschiedlichen Helferkreisen aufschlugen: ausgeschnittene Artikel und Leserbriefe aus diversen Zeitungen mit Markierungen der für signifikant befundenen Stellen, manchmal mit handschriftlichem Kommentar versehen. Einer der Zeitungsbeiträge handelt von einem Eritreer, der unter dem Verdacht stand, eine Vergewaltigung begangen zu haben.

Elisabeth Stanglmeier vom Helferkreis Anzing zeigt sich verständnislos: "Was will man mir damit sagen?", fragt sei. "Das ist eine andere Dimension, wenn man auf einmal anonyme Briefe bekommt und man den Menschen nicht gegenüber steht", sagt einanderer Betroffener. Bei einer persönlichen Konfrontation könne man miteinander sprechen, aufeinander reagieren, den Skeptiker einmal einladen, sich selbst eine Bild von der Arbeit der Helferkreise zu machen. Da stecke eine gewisse Feigheit dahinter, kritisiert Stanglmeier. Und darüber hinaus: eine konfuse Logik. An den Helferkreis in Zorneding richtete sich zum Beispiel eine E-Mail, in der die Ehrenamtlichen für den Flüchtlingsstrom direkt verantwortlich gemacht wurden, wie Angelika Burwick erzählt. Wenn es keine Asylhelferkreise mehr gäbe, würden auch keine Flüchtlinge mehr kommen.

Natürlich wisse man, welche Mitbürger Vorbehalte haben, sagt Elisabeth Stanglmeier. Aber: "An uns persönlich tragen das die wenigsten heran." Trotz der unliebsamen Briefe werde im Allgemeinen den Helferkreisen für ihr Engagement immer noch großen Respekt entgegengebracht, sagt Joachim Weikel aus Markt Schwaben. Der Grundtenor bei den Ehrenamtlichen bleibt daher überall derselbe: "Wir werden nie aufhören, für unsere Nächsten da zu sein."

Das sieht man an den Freiwilligen, die beständig zu einem der Helferkreise gehören. In manchen Gemeinden sind das vielleicht nur vier Ehrenamtliche, in anderen oftmals bis zu 20 - je nachdem, wie viele Flüchtlinge in dem Ort leben. Hinzu kommen immer noch zahlreiche Helfer, die bei Bedarf bereitstehen. So überstieg in Anzing und Glonn die Zahl der Hilfswilligen um ein Vielfaches die Zahl der Flüchtlinge.

Das Engagement einiger hat sich im Laufe der Zeit aber auch reduziert. "Manche mussten eben doch feststellen, dass mehrere Stunden sozialer Einsatz neben Beruf, Familie und Freundschaften gar nicht so leicht zu vereinbaren sind", sagt Jutta Gräf aus Glonn. "Das war aber nie der Fall, weil jemand keine Lust mehr hatte", da ist sich Elisabeth Stanglmeier sicher.

Die Einheimischen

"Gesunden Menschenverstand" von Eltern und Schülern, forderte Eberhard Laspe, Rektor der Realschule Ebersberg, in einem Brief an die Eltern im vergangenen Jahr. Man habe "bisher keine negativen Erfahrungen" gemacht - und das solle so bleiben. Direkte Beschwerden hätten ihn nicht erreicht, so der Schulleiter, und doch: Dass "so viele Leute auf einem Platz", nämlich dem Schulgelände, enger zusammenrücken müssen, sorge automatisch für Reibereien.

Der Elternbeirat der Realschule bestätigt das. "Die Schule ist jedoch noch Schutz-Zone", ergänzt Elternbeiratsvorsitzende Mandana Thoma. Die Sicherheit der Schüler müsse gewährleistet werden - vor allem nun, da in die Container vor der Realschule zusätzlich Schüler der Wasserburger Berufsschule einziehen. Diese sind vom Alter her zwischen 16 und 25, deutlich älter also als die Realschüler. "Sicherheit zu gewährleisten ist somit sehr schwer", so Thoma.

Doch nicht nur im schulischen Rahmen steht die Frage nach der Sicherheit im Raum. Wiederholt melden sich Frauen - ganz unterschiedlichen Alters -, die sich unsicher fühlen. Eine der jüngeren Frauen berichtet davon, "angestarrt und verfolgt" zu werden, eine weitere fühlte sich durch einen jungen Asylbewerber bedrängt und wurde an anderer Stelle von einem jungen Mann am Arm angepackt. Obwohl es sich in den geschilderten Fällen nicht um massive sexuelle Belästigung handelte, sei das Gefühl einer wachsenden Unsicherheit sehr stark. Auch dass die Polizei nicht alles kommuniziere und Hinweisen - wie denen der zweiten Dame - nicht nachgehe, kritisieren sie. "Es ist einfach sehr unangenehm", ist ein Satz, der sich bei jeder der Frauen wiederholt.

Eine Ebersberger Mutter berichtet davon, dass viele Mütter ihre Kinder jeden Morgen zur Realschule bringen. Dasselbe gelte für die Grundschule: "Da wird dann eine ganze Gruppe gemeinsam abgeliefert", sagt sie. "Vielleicht ist man auch sensibilisierter und nimmt das mehr wahr." Auch aus ihrem Bekanntenkreis kennt sie Fälle, in der sogar junge Jugendliche wieder in die Schule begleitet werden. "Die Sorge ist einfach da", stellt sie fest.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: