Asylbewerber:Kollegen aus dem Kriegsgebiet

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Viele der im Landkreis ankommenden Flüchtlinge sind gut qualifiziert oder wollen eine Lehre beginnen. Dies könnte eigentlich den Fachkräftemangel beheben, doch es fehlt an Deutschkursen für die neuen Mitarbeiter.

Von Christian Endt, Ebersberg

Das Thema Flüchtlinge beherrscht seit Monaten die Nachrichten. So geriet manch anderes Problem etwas in Vergessenheit, darunter auch der zeitweise viel beschworene Fachkräftemangel. Dabei passen die beiden Themen eigentlich wunderbar zusammen.

Die Arbeitslosenquote im Landkreis Ebersberg ist seit Langem auf sehr niedrigem Niveau. Im Juli waren 2,1 Prozent ohne Job, im August stieg die Quote trotz Hochsommer gerade einmal auf 2,2 Prozent. Bei der Agentur sind 890 offene Stellen gemeldet. Viele Betriebe suchen erfolglos nach Fach- oder Hilfskräften. Währenddessen kommen jeden Monat junge, motivierte und häufig gut ausgebildete Flüchtlinge in die Region. Die zuständigen Behörden machen sich daher viele Gedanken, wie sich diese Menschen an den Arbeitsmarkt vermitteln lassen. "Es ist unser Interesse, dass die Menschen, die wahrscheinlich bleiben können, möglichst bald arbeiten", sagt der Hermann Schmidbartl, Geschäftsführer des Jobcenters Ebersberg.

Nicht jeder Flüchtling darf arbeiten, die Rechtslage ist kompliziert. In den ersten drei Monaten ab der Ankunft in Deutschland gilt grundsätzlich ein Arbeitsverbot. Anschließend ist eine Vorrangprüfung vorgeschrieben: Die Asylbewerber dürfen eine Stelle nur antreten, wenn dafür kein Deutscher oder EU-Bürger infrage kommt. Erst wenn über den Asylantrag entschieden wurde und der Aufenthalt gesichert ist, fällt die Prüfung weg. Berufsausbildungen sind grundsätzlich zustimmungsfrei. Dort ist der Bedarf besonders groß: Im Landkreis sind aktuell 236 Lehrstellen unbesetzt.

Andreas Skaletz von der Ausländerbehörde im Landratsamt erklärt das Verfahren: "Der Asylbewerber sucht sich eine Arbeitsstelle. Oft wird er dabei von Ehrenamtlichen begleitet und unterstützt. Der Arbeitgeber muss dann eine Stellenbeschreibung erstellen, die bei uns im Ausländeramt abgegeben wird." Von dort geht der Antrag an die Agentur für Arbeit. "Zusammen mit Kollegen in München prüfen wir, ob es Deutsche oder EU-Bürger gibt, die auch für die Stelle infrage kommen", sagt Agenturleiterin Inge Boockmann. Außerdem werde geprüft, ob der Mindest- beziehungsweise Tariflohn eingehalten wird. Das ganze Verfahren dauere zwei bis drei Wochen.

Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt im Landkreis besteht in der Regel keine Gefahr, dass die Flüchtlinge irgendjemandem einen Arbeitsplatz wegnehmen. "In den weitaus überwiegenden Fällen genehmigen wir die Anträge", bestätigt Boockmann, "Wir betreuen ja die ganzen Stellenangebote im Landkreis und wissen daher auch, ob es andere Kandidaten gibt." Häufig geht es um einfache Arbeiten, bei denen nur eine kurze Einarbeitung nötig ist. "Gesucht werden Leute vor allem im Baugewerbe. Aber auch im Hotel- und Gaststättenbereich, also zum Beispiel Küchenhilfen, Spülkräfte."

Eine Qualifikation ist für fast jede Arbeit nötig: grundlegende Sprachkenntnisse. "Wichtig ist, dass die Bewerber zumindest ein bisschen Deutsch verstehen und sich artikulieren können", sagt Boockmann. "Damit sie Anweisungen folgen und mal was nachfragen können." Wenn dieser Schritt geschafft ist, kann sich aus dem Einstieg als Hilfsarbeiter durchaus mehr ergeben. Boockmann erzählt von einem Eritreer, der gerade als Küchenhilfe arbeitet und in seinem Betrieb nächstes Jahr eine Lehre zum Koch beginnen möchte. Die Ersten haben den Weg in die Ausbildung schon geschafft. Schmidbartl vom Jobcenter kennt den Fall eines Syrers, der jetzt im September begonnen hat, den Beruf des Einzelhandelskaufmann zu erlernen, bei einem Betrieb in Ebersberg. Gleich drei junge Flüchtlinge würden im Landkreis eine Dachdeckerlehre anfangen.

Gerade aus Syrien kommen viele Flüchtlinge mit guter Ausbildung, auch Akademiker sind darunter. Diese ausländischen Qualifikationen müssen jedoch in Deutschland zuerst einmal anerkannt werden. Das kann ziemlich lange dauern. Vor allem dann, wenn nicht alle erforderlichen Unterlagen vorliegen, etwa weil sie auf der Flucht verloren gingen oder sich noch im Heimatland befinden. Schmidbartl erzählt von einem syrischen Mediziner, bei dem es noch vergleichsweise schnell ging: "Das hat ein halbes Jahr gedauert, seitdem arbeitet er hier als Arzt. Es ist deshalb sinnvoll, möglichst frühzeitig die erforderlichen Unterlagen zusammenzutragen."

Asylbewerber haben es in Deutschland mit einer verwirrenden Vielzahl von zuständigen Behörden zu tun. Erste Anlaufstelle vor Ort ist das jeweilige Ausländeramt. Über den Asylantrag entscheidet zentral das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dazu kommen je nach Verfahrensphase und Situation Arbeitsagentur, Jobcenter, bei Minderjährigen das Jugendamt. Die verschiedenen Stellen im Landkreis sprechen sich möglichst gut ab, geben Unterlagen untereinander weiter. Vieles wird elektronisch gemacht, um die Abläufe zu beschleunigen. Außerdem kommt den ehrenamtlichen Helferkreisen als Wegweiser durch die Bürokratie eine wichtige Rolle zu. Wenn der Asylantrag geprüft und anerkannt ist, wird das Jobcenter zum alleinigen Ansprechpartner. Es kümmert sich dann um Lebenshaltungskosten, Wohngeld, Deutschkurse und Arbeitsvermittlung.

Doch die Asylverfahren dauern häufig sehr lange. "Unser Ziel ist es, dass alle Schritte möglichst früh einsetzen", sagt Schmidbartl. Sinnvoll wäre es daher, dass Angebote wie etwa eine Berufsberatung die Flüchtlinge schon vor Abschluss des Asylverfahrens erreichen. "Wen wir einfach reinschieben in eine Ausbildung, der wird scheitern."

Ganz wesentlich dabei sind aber die Sprachkenntnisse. "Es ist ja kontraproduktiv, wenn jemand in der Berufsschule nicht folgen kann und die Ausbildung wieder abbrechen muss", sagt Skaletz. Staatlicherseits sind Deutschkurse nur für anerkannte Flüchtlinge vorgesehen. Gerade bei Asylbewerbern, bei denen die guten Bleibechancen von Anfang an klar sind, geht so wertvolle Zeit verloren. "Während des Verfahrens können die Asylbewerber nur begrenzt Sprachkurse machen", sagt Skaletz. "Das wird fast alles über die ehrenamtlichen Helfer abgedeckt. Das ist natürlich gut, reicht aber bei der Anzahl der Asylbewerber nicht aus. Das stellt uns alle vor große Herausforderungen." Daher überlege man inzwischen, so ist aus dem Landratsamt zu hören, für Asylbewerber etwa aus Syrien schon früher mit den Sprachkursen anzufangen. Das ist eine Kostenfrage, aber auch geeignete Lehrkräfte zu finden sei inzwischen schwierig geworden. Skaletz appelliert an den Gesetzgeber, diese sogenannten Sprachintegrationskurse frühzeitig anzubieten. "Wenn die Sprachkenntnisse da sind", ergänzt Schmidbartl, "kann man auch über andere Bildungsmöglichkeiten reden, vielleicht das Nachholen eines Schulabschlusses oder bei manchen die Aufnahme eines Studiums."

Den Betrieben empfiehlt Jobcenterchef Schmidbartl, das Thema ernst zu nehmen: "Da steckt eine Chance, den Bedarf nach Fachkräften zu decken. Wir haben einen Verteilungskampf um Lehrlinge. So können die Firmen natürlich auch zur Integration beitragen. Und wenn man sieht: Da profitiert die Wirtschaft, dann sorgt das für Akzeptanz."

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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