Dichter-Kalender:Poeten im Stadtbild

Lesezeit: 3 min

In der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt sind besonders viele Straßen nach Dichtern und Denkern benannt. Die Geschichtswerkstatt hat den Literaten nachgespürt und einen Kalender zusammengestellt

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Wie poetisch das Viertel ist, hat die Geschichtswerkstatt Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt auf mehreren Veranstaltungen im Sommer gefragt. Herausgekommen ist eine Sammlung von Dichtern, die jetzt als Kalender in dem im Viertel ansässigen Franz-Schiermeier-Verlag erschienen ist. Ginge es nach den Straßennamen, würde ein Drittel des Stadtviertels dichten, behauptet Beate Bidjanbeg von der Geschichtswerkstatt. Vor allem um die Theresienwiese und zwischen Südfriedhof und Isar sind Poeten im Straßenbild gut vertreten - jedenfalls auf den Schildern. Es gibt die Goethe-, die Schiller-, die Paul-Heyse-Straße, Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Rückert - insgesamt 30 Dichter hat der siebenköpfige Kreis der Stadtviertel-Historiker ausgemacht. Einige sind dabei, die in München lebten und starben, wie Franz von Kobell, Franz Graf von Pocci oder Paul Heyse.

Als Statue steht Schiller in München am Maximiliansplatz. (Foto: Robert Haas)

Viele allerdings haben mit München zwar irgendwie zu tun, sind aber nie hier gewesen oder nur einen Tag wie Johann Wolfgang von Goethe - auf der Durchreise nach Italien. Er stieg damals unter dem Decknamen Möller und als "Kaufmann aus Leipzig" im Gasthof Schwarzer Adler in der Kaufingergasse ab, besuchte einige Museen und stieg auf den nördlichen Turm der Frauenkirche. Goethe wollte offenbar sehen, wo sich die 17-jährige Fanny aus Ickstatt aus Liebeskummer heruntergestürzt hatte. Vor ihrem Freitod soll Fanny in den "Leiden des jungen Werthers" einige Stellen angestrichen haben. Die Hauptfigur in dem Briefroman tötet sich auch aus Liebeskummer selbst.

Straßenschilder mit Schillers Namen hängen an der Ecke Bayer- und Schillerstraße, hier ein Bild aus dem Jahr 1912. (Foto: Stadtarchiv München)

Solche Details sind in dem Kalender erwähnt, die Geschichtswerkstatt hat die München-Bezüge der Poeten recherchiert. Dass die meisten Dichter um die Theresienwiese zu finden sind, liegt an der Entstehungszeit des Wiesnviertels, die ebenfalls in dem Kalender aufgezeigt wird. Die Stadt wuchs enorm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1882 wurde ein Bebauungsplan für die Theresienwiese erstellt. Nur der westliche Teil, rund die Hälfte der Fläche der damaligen Theresienwiese, die als Ort der Erholung und der frischen Luft galt, sollte frei von Gebäuden bleiben. Eine Ringstraße mit radial auf die Bavaria zuführenden Stichstraßen wurde geplant. Außerhalb der Ringstraße sollten vornehme Villen entstehen.

Steht ebenfalls als Statue am Maximiliansplatz: Johann Wolfgang von Goethe. (Foto: Robert Haas)

Das Villenviertel im Halbrund um die Theresienwiese steht teils heute noch. Aus den Plänen, die neuen Straßen nach Fürsten, Feldherren und verdienten Bürgermeistern zu benennen, wurde damals allerdings nichts. Zunächst ergänzte der Magistrat einige Dichter- und Musikernamen, Prinzregent Luitpold wechselte dann weitere Namen aus. Als die Straßenbenennungen umgesetzt wurden, waren vor allem Dichter vertreten. Das entsprach dem Zeitgeist: Dichter und Denker wurden damals in ganz Deutschland verehrt - mit Denkmälern, Festen und Straßen.

Straßenschilder mit Goethes Namen finden sich am Goetheplatz. (Foto: Stadtarchiv München)

Einige Münchner Dichter haben es - zumindest auf den Straßenschildern - bis nach vorne an die Theresienwiese geschafft: zum Beispiel der Mineralologe, Musiker und Dichter Franz Ritter von Kobell, der die "G'schicht vom Brandner Kaspar" schrieb. Der Professor an der Ludwigs-Maximilians-Universität war befreundet mit Franz von Pocci, nach dem ebenfalls eine der Stichstraßen zur Bavaria hin benannt wurde. Von Pocci, der nicht nur Dichter und Karikaturist und unter anderem Hofmusikintendant war, stammt der aufsässige Kasperl Larifari, der all das sagen darf, was nicht opportun ist. Der humor- und fantasievolle Pocci prägte stark das gesellschaftliche Leben der Stadt. Paul Johann Ludwig von Heyse baute sich dann später in München sogar zum Dichterfürsten auf. Heyse, der den meisten Münchnern vor allem als Namensgeber der als grauenvoll angesehenen Paul-Heyse-Unterführung bekannt ist, erhielt im Jahr 1910 als erster deutscher Autor belletristischer Werke den Nobelpreis für Literatur.

Den Mitgliedern der Geschichtswerkstatt hat es besonders Goethe angetan, seine umfangreiche Gedichtsammlung "West-östlicher Diwan". Der Diwan sei "in der Goethestraße Realität geworden", meint Beate Bidjanbeg. Wie in keiner anderen Straße im Viertel träfen dort Orient und Okzident aufeinander. Das Hotel Goethe symbolisiere dies mit einem Halbmond aus der türkischen Flagge im "o" von Goethes Namenszug auf der Hotelfassade. Der Kalender gibt auch dazu Details wieder: Bei Goethe findet man ein Gedicht von Hafis mit vier Übersetzungen. Die Werke des orientalischen Dichters haben Goethe zu seinem "Diwan" inspiriert.

"Dichter im Viertel", Kalender der Geschichtswerkstatt Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, Franz-Schiermeier-Verlag, Präsentation am Donnerstag, 30. November, 19 Uhr, Café Retrobar, Goethestraße 20

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: