Kandidaten für den Tassilo 2018:Glitzerndes Wunder

Lesezeit: 3 min

  • Die Bigband Dachau wurde mit einem der drei Tassilo-Hauptpreise ausgezeichnet.
  • Dieser ist mit 2000 Euro dotiert.

Von Gregor Schiegl

Man muss nur in die Gesichter der Leute sehen, die zum ersten Mal bei einem Konzert der Bigband Dachau sind. Erst die Verblüffung, dieses Stirnrunzeln, was für einen Sound die mit ziemlich viel Glitter auftretende junge Band ihrem Publikum entgegen schmettert. Dann ungläubig aufgerissene Augen und offene Münder, die schnell einem seligen Lächeln weichen, begleitet von ekstatischen Zuckungen der Gliedmaßen, insbesondere von Hüften, Armen und Beinen.

Diese Symptome sind nicht nur in heimischen Gefilden zu beobachten, sondern auch auf internationaler Bühne, bei der Expo in Mailand 2015 oder im Juli 2017 beim legendären "Montreux Jazz Festival", bei dem sich die Dachauer binnen einer Stunde die Herzen von 400 neuen Fans im Sturm eroberten. Zwei amerikanische Jazz-Fans fuhren sogar dem Tourbus der Band hinterher, um den Musikern zu attestieren, so einen Sound hätten sie noch von keiner Bigband gehört, nirgendwo auf der Welt.

"Die Band hat sich gefunden"

Ihr Mix aus stampfenden Techno-Beats - analog, aber hochpräzise eingedroschen auf zwei Schlagzeugen - schnurrenden Hip-Hop-Rhythmen mit volltönender Bläser-Klangtapete, einem wummerndem funky Bass und überraschenden Überleitungen, die sich auch gern mal bei anderen Genres bedienen - bei Polka, Pop, Beethoven und Balkan-Beat - ist schon eine besonders raffinierte Rezeptur. Natürlich musste sich dieser Stil erst einmal entwickeln und reifen.

2017, diesem magischen Jahr mit Auftritt in Montreux - ist die Band erwachsen geworden oder, wie es Band-Leader Tom Jahn ausdrückt: "Die Band hat sich gefunden." Und das merkt man auch: Alles ist nun noch stimmiger, konzentrierter und druckvoller. "Wir konnten den Schwung gut mitnehmen", sagt Schlagzeuger Jan van Meerendonk.

Das Besondere an der in Vollbesetzung etwa 30 Musiker starken Formation ist, dass dieses musikalische Wunderwerk zwar einige Talente und auch vereinzelt echte Profis vorzuweisen hat, im Wesentlichen aber aus Laien besteht. Ein Großteil sind Musikschüler und -studenten oder Leute, die einmal ein Instrument gelernt haben und einfach gerne mit anderen zusammen spielen. Der Altersschnitt beträgt knapp über 20, jüngstes Mitglied ist der talentierte Keyboarder Maxim, 16 Jahre alt. Und doch wirken die Auftritte souverän und inzwischen wie aus einem Guss. Die Musikersektionen, Rhythmusgruppe, Bläser, Trompeter und Saxofonisten treffen sich regelmäßig in Arbeitsgruppen, um ihr Gesamtwerk noch feiner aufeinander abzustimmen. Band-Mitglieder feilen ebenfalls immer wieder an den Arrangements.

Dass die Bigband Dachau gleichzeitig so gut geerdet, so publikumsnah und zugleich so herrlich durchgeknallt ist, hat sicherlich auch etwas mit ihrer Historie zu tun. 2010 wurde sie unter dem Dach der Knabenkappelle Dachau gegründet, der ein durch und durch traditionsbewusster Verein ist. Aber manchmal bricht gerade aus diesen konservativen Biotopen etwas subversiv Neues hervor, und in diesem Fall ist es gar nicht so verwunderlich: Begründer der Bigband ist Jazztrompeter Jörg Hartl, den viele als Bandmitglied von LaBrassBanda kennen; die spielen bekanntermaßen auch eine ziemlich wilde Mischung nach der Devise: "Sich nix scheißn, dann passt des scho."

"Die Jugend trägt die Liebe in die Welt"

Im Prinzip gilt das auch für die Bigband Dachau, nur ist das bei einer Gruppe, die die Bezeichnung "Dachau" im Namen trägt und damit quer durch Europa tingelt, dann doch nicht so einfach. Dachau ist nicht nur eine bayerische Kreisstadt mit 45 000 Einwohnern, sondern der Ort, an dem die Nazis 1933 ihr erstes Konzentrationslager errichteten. Wie keine andere Stadt steht Dachau für das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. So tragen die jungen Musiker auch das Bild eines jungen Deutschland hinaus in die Welt, das aus seiner Geschichte gelernt hat, das sich gewandelt hat, das bunt und auf eine sympathische Weise verrückt ist und dass statt Horror nun Lebensfreude erzeugt. "Die Jugend trägt die Liebe in die Welt", sagt Band-Leader Tom Jahn. Das sind große Worte, aber wer mal dabei war, wie diese Band sich und ihr Publikum in einen Glücksrausch spielt, findet das gar nicht mehr so kitschig und dick aufgetragen.

So ist die Bigband Dachau gleich aus drei Gründen etwas ganz Besonderes: Da ist zum einen der musikpädagogische Ansatz, der jedem einen Platz in der Band zuweist, die seinen Fähigkeiten angemessen ist, ihm aber auch Freiräume zur Weiterentwicklung einräumt; die zeitgemäße Weiterentwicklung des Bigband-Sounds, die selbst gestandenen Musikern wie dem britischen Schlagzeuger Pete York Respekt abnötigt - er vergleicht die Wucht der Bigband Dachau mit einem herandonnernden Güterzug; und dann die integrative Kraft ihrer Auftritte, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl aller Musikfreunde schafft und ein Signal setzt gegen alle Tendenzen der Abgrenzung.

Jede dieser Leistungen für sich genommen würde schon Anerkennung verdienen. Dass der Bigband Dachau all diese Dinge auf einmal gelingen und das auch noch verbunden mit jeder Menge Spaß, ist mehr als ein Lichtblick. Es ist ein glitzerndes, erhebendes Wunder.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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