Szenario:Von der Kunst, daheim zu sein

Lesezeit: 2 min

Neugierig warten 15o Besucher im Foyer des Schlosses auf die Eröffnung der Jahresausstellung der Künstlervereinigung Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Vernissage zur neuen KVD-Ausstellung "Trautes Heim" im Dachauer Schloss zeigt auf, wie vielfältig und individuell der Begriff "Heimat" heute besetzt ist

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Sonntag elf Uhr: Im Foyer des Dachauer Schlosses drängen sich etwa 150 Besucher und warten auf die Eröffnung der Jahresausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) "Trautes Heim". Die vielen Besucher und die etwa 30 beteiligten Künstlerinnen und Künstler mischen sich vor dem dicken, schwarz-weißen Vorhang aus Schaumstoff vor der Treppe, der noch den Zugang zur Ausstellung verwehrt, zu einem bunten Bild. Die Damen in gemusterten, oft ärmellosen Kleidern, die Herren ebenfalls in leichter Sommerkleidung. Alle sind neugierig auf den Umgang der Künstler mit diesem vielschichtigen Thema. Nach dem gelungenen Gastspiel im vergangenen Jahr im MD-Verwaltungsgebäude ist die KVD ins Schloss zurückgekehrt und nutzt diese Rückkehr, um der Frage nachzugehen, wo denn nun das traute Heim der KVD tatsächlich ist. Der Vorsitzende Johannes Karl stellt in seiner Begrüßung die Frage: "Ist es das Schloss, unser Qualitätsanspruch oder sind es die tollen Stellwände, die wir von der Baselitz-Ausstellung übernommen haben?"

Gastredner Norbert Göttler, Fördermitglied der KVD und als Bezirksheimatpfleger bestens vertraut mit solchen Fragen, wirft zunächst einen Blick auf die verschiedenen Aspekte des Heimatbegriffs - von der Ortsverbundenheit bis hin zur Utopie. Jahrzehntelang sei der Heimatbegriff verpönt gewesen, "heute ist er in aller Munde", so Göttler. Jeder habe dabei allerdings etwas anderes im Hinterkopf. Norbert Göttler bespiegelt den Heimatbegriff zunächst von seiner historischen Seite, der lange Zeit ein reiner Rechtsbegriff war. Wer nicht das Heimatrecht erworben hatte, durfte nicht heiraten und musste in der Kirche mit den hinteren Plätzen Vorlieb nehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird Heimat emotional besetzt und topografisch verankert. "Aber auch schon damals ging man weg, weil man es Zuhause bedrückend und spießig fand", so Göttler.

Der Begriff Heimweh ist ebenfalls zu dieser Zeit entstanden. "Heute sind wir pausenlos unterwegs und haben nicht mehr viel Beziehung zu dem Ort, an dem wir geboren sind", führt Göttler aus. Umso mehr könne in der globalen Welt die Kunst zu einem Ort werden, an dem wir uns zuhause fühlen. Für manche sei der sonntägliche Besuch einer Ausstellung ritualisiert wie früher der Kirchgang. Der Publizist und Regisseur Göttler zitiert abschließend Ludwig Thoma, für den Heimat so stark war, dass sie keine Bedrohung darstellte.

Konträr dazu erwähnt er Ödön von Horváth, der sagte, er habe keine Heimat und wolle auch keine. "Kunst kann dazu beitragen, neue Wurzeln zu schlagen", sagt Göttler. Der KVD rät er, das Schloss als künstlerische Heimat beizubehalten und gleichzeitig auch andere Ausstellungsmöglichkeiten zu nutzen: "Das eine tun und das andere nicht lassen."

Wie wohl sich die KVD im angestammten Renaissancesaal fühlt, zeigt die gelungene Ausstellung von 17 Dachauer Künstlern und elf Gästen. Die fast vier Meter hohen Stellwände erinnern keineswegs mehr an die kürzliche Baselitz-Ausstellung und bieten durch die Anordnung zu Karrees wunderbare Räume, um die Begrifflichkeit "Trautes Heim" satirisch, ernst oder kritisch aufzubrechen.

Was empfinden Künstler und Besucher denn nun beim Gedanken an Heimat? Die aus Tokio stammende Künstlerin Mayumi Yamakawa ist mit einem Deutschen verheiratet und lebt seit 2008 in Haimhausen. Sie hat in den USA studiert, ihre Familie lebt in Haimhausen und München. Sie sagt: "Es ist schwierig, aber eigentlich bin ich zu hundert Prozent Japanerin." Die Dänin Mette Therbild wohnt seit 17 Jahren in Haimhausen. Davor lebte sie 15 Jahre lang in England, ihre Kindheit verbrachte sie in Grönland. "Für mich ist Heimat, wo meine Familie ist. Aber tief drinnen bin ich Dänin." Die aus Amerika stammende Regisseurin Karen Breece sagt: "Zuhause ist man dort, wo man sich mit Menschen verbunden fühlt."

Unter den Gästen ist auch der Dachauer Hans-Jörg Berghammer. Er fällt auf in der Dachauer Tracht mit Lederhose und bestickter Weste. Die Kunst zeige, wie vielseitig der Heimatbegriff sein könne, so der 24-jährige Student. "Für mich ist er positiv. Heimat ist auch, das anziehen zu können, worin man sich gut fühlt."

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: