SZ-Talentiade:Offensivgeist

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  • Der SV Niederroth erhält bei der Talentiade 2017 den Sonderpreis des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) für seine Inklusionsfußballmannschaft.

Von Horst Kramer, Markt Indersdorf

"Feuereifer". Dieses alte Wort bringt auf den Punkt, was die 22 Buben der Sturmkicker Niederroth auszeichnet: Sie sind mit Feuereifer bei ihrer Sache. Und die ist Fußball. Gerade üben sie Dribbeln: enge Ballführung, Kopf hoch - unter Anleitung ihres Trainers Helmut Graf und dessen Co-Trainern Christian Denk und Nevzat Gündüz. Sehr konzentriert, sehr diszipliniert.

Kürzlich bestritten die Sturmkicker das Vorspiel zum Sparkassen-Cup-Finale zwischen zwei höherklassigen Herrenteams. 300 Zuschauer waren nach Niederroth gekommen, ein wichtiges Spiel also. Dementsprechend engagiert traten die Buben auf. Zur Freude des sachkundigen Publikums. Es gilt nämlich eine alte Regel: Jeder, der selbst einmal gegen den Ball trat, hat einfach Spaß, Kindern beim Kicken zuzuschauen. Als die jungen Niederrother schließlich das Feld verließen, war der Beifall riesig. Glühend vor Stolz und hoch erhobenen Hauptes schritten sie zur Kabine.

Die Sturmkicker sind ein Inklusionsteam, ein Großteil der Kinder und Jugendlichen, die zwischen acht und 16 Jahren alt sind, ist mit einer geistigen Behinderung auf die Welt gekommen. Aber das war während des Matches allen egal. Nicht nur den Akteuren, sondern auch ihren neuen Fans.

"Genau darum geht es uns", erklärt Manuela Knöferl-Graf, die ihren Mann und dessen Kollegen als Betreuerin unterstützt. "Wir wollen die Kinder aus ihrer Ecke herausholen."

Manuela Knöferl-Graf und Helmut Graf kennen diese Welt, die sie Ecke nennen. Denn ihr zwölf Jahre alter Sohn Bastian ist ein Kind mit Down-Syndrom. Sie kennen auch die andere Welt, denn Bastian hat einen älteren, nicht-behinderten Bruder, Tim, 13, ein begeisterter und talentierter Fußballer. Helmut Graf trainierte vor fünf Jahren Tims Team beim SV Niederroth. Bastian war zwar beim Üben dabei, bei Ligaspielen hingegen nur selten. Schließlich ging es um Punkte, also um Erfolg. Man merkte Knöferl-Graf an, dass sie dieses Argument nicht sehr überzeugt. Damals nicht und auch heute nicht. Deshalb gründeten sie und ihr Mann seinerzeit die Sturmkicker.

Helmut Graf unterbricht das Übungsspiel (bei dem er in einem der Tore stand): "Trinkpause!" Manche der Buben erzählen indes lieber von ihren Fußballer-Abenteuern. Leon, elf Jahre alt, erzählt zum Beispiel stolz, dass er eben zwei Ecken getreten habe. Daniel, 13, lässt sich für einen Treffer feiern. Markus, 15, zeigt einen Pokal, den das Team kürzlich gewonnen hat: "Ein Wanderpokal", erläutert er fachmännisch. Ahmed, 12, ein schneller Dribbelkünstler, betont, dass er immer beim Training dabei sei: "Das ist das Beste in der ganzen Woche!" Christoph, 16, widerspricht: "Das Beste sind die Spiele."

Die Sturmkicker nehmen an einer Punktspielrunde mit anderen Inklusionsteams teil, die vom Bayerischen Fußballverband unterstützt wird. Im vergangenen Jahr hat der Verband zudem eine Mini-EM ausgerichtet. Gespielt wurde in der Allianz-Arena. Knöferl-Graf erinnert sich: "Das war schon ein Gänsehautgefühl, als die Buben aus den Kabinen der Profis auf den Rasen der Arena traten." Ihr Mann hat mehr die sportliche Bilanz im Blick: "Eines unserer Teams wurde Dritte, das andere schied erst im Viertelfinale aus." Die Sturmkicker-Eltern sind übrigens nirgendwo zu sehen. "Wir haben nach einer Weile festgestellt, dass die Kinder unbeschwerter aufspielen, wenn ihre Eltern nicht dabei sind", erzählt Helmut Graf.

Tatsächlich sitzen einige Mütter und Väter im kleinen Vereins-Biergarten und tun sich an mitgebrachtem Kaffee und Kuchen gütlich. Barbie Baumgartner, deren Sohn Florian seit den Anfängen bei den Sturmkickern dabei ist, lobt die Arbeit der Grafs und ihrer Assistenten in bewegten Worten: "Die Kinder blühen hier richtig auf!" Zum Beispiel Leander, ein Elfjähriger mit leichtem Autismus. "Am Anfang stand er nur neben dem Feld, inzwischen macht er bei den Spielen richtig mit", freut sich seine Mutter. Die Fußballer haben sich inzwischen zu einem Mannschaftsfoto formiert.

Aber warum heißen sie eigentlich Sturmkicker? Immerhin braucht es für ein Team auch Verteidiger oder Mittelfeldspieler "Wir sind alle Stürmer", sagt Christoph, 16, der Spielmacher mit einem Augenzwinkern. "Bis auf den Torwart." So viel Offensivgeist verdient den Begriff "Feuereifer".

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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