Neue Einblicke:Dachaus Bilderschätze

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Ein Blick in das Depot der Gemäldegalerie und in die städtische Artothek.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Halb verdeckt von Pappen ist das knieende Mädchen im Dachauer Moos. Es betet vor einem rechts am Bildrand nur knapp zu erkennenden Kruzifix auf freiem Feld. Eine hübsche Szene. Doch es ist möglicherweise nicht eines der meisterhaftesten Gemälde im Besitz des Dachauer Museumszweckverbands. Vor allem ist es in der oberen Bildhälfte beschädigt. Auch deshalb steht es im Depot. Ganz oben unterm Dach der Gemäldegalerie. Auf geschätzt 200 Quadratmetern werden hier etwa 7000 Kunstwerke aufbewahrt. Mehr als 3000 besitzt die Stadt Dachau, weniger als 2000 hat der Museumsverein eingebracht, der Rest gehört dem Zweckverband.

Kürzlich ist das Bündnis für Dachau im Kulturausschuss nur knapp mit der Idee gescheitert, eine jährliche Ankaufsausstellung zu organisieren. Die Bürger sollten sehen, in welche Kunstwerke und welche Künstler die Stadt investiert, so die Argumentation. Kuratiert werden sollte die Ausstellung immer von einem Dachauer Künstler. Auch Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) war der Idee nicht abgeneigt. Es sei leider "seitlich daran vorbei diskutiert" worden, beschreibt Kai Kühnel (Bündnis) seinen Eindruck. Für seine Fraktion sei die Idee aber noch nicht gestorben.

Über die letzten zehn Jahre hinweg lag der Ankaufsetat der Stadt immer bei etwa 30 000 Euro jährlich. In den vergangenen 20 Jahren hat die Stadt etwa 600 000 Euro in 800 Bilder, Skulpturen und Video-Arbeiten investiert, sagt Kulturamtsleiter Tobias Schneider. Damit habe die Stadt auch viel für Künstler getan, die im Landkreis leben, argumentieren die Bündnis-Politiker. Mit acht zu sieben Stimmen wurde jedoch ihr Antrag abgelehnt. Die Stadträte konnten sich nicht einig werden über die Umsetzung des Vorschlags. Einigen erschien die bloße Zusammenstellung der Ankäufe eines Jahres zu beliebig.

Kunst im Rathaus

Die Kunstwerke, welche der Stadt gehören, werden vor den Dachauern immerhin auch jetzt nicht verborgen. Ein großer Teil ist zumindest halböffentlich: Er hängt im Rathaus, in Sitzungssälen, Treppenhäusern, auf Fluren und natürlich auch in Amtsbüros. Einiges davon stammt aus der Artothek. Sie ist der Stadtbücherei an der Münchner Straße angeschlossen und macht die Dachauer Kunstwerke ganz und gar öffentlich zugänglich. Nur ein Büchereiausweis ist notwendig. Die Stadt ist selbst der größte Entleiher aus der städtischen Artothek. Nicht nur Verwaltungsmitarbeiter, auch die städtischen Grund- und Mittelschulen gestalten ihre Wände mit Werken Dachauer Künstler. Amtsgericht und Bereitschaftspolizei sind ebenfalls gute Kunden, sagt Bibliotheksleiter Steffen Mollnow. Vieles geht an Kanzleien, Arztpraxen und Firmen. Sie alle dürfen auch mal fünf Bilder auf einmal ausleihen und sie auch länger behalten. Privatpersonen leihen eher nur ein oder zwei Gemälde aus. Gegen eine Gebühr von fünf Euro können sie diese drei Monate behalten und nach Ablauf auch verlängern. Genau wie ein Buch.

"Das ist hier Kunst zum Anfassen", sagt Mollnow. Die Bilder stehen lose in den Regalen des Bücherei-Nebengebäudes, kleinere Werke lagern in Schubkästen. Man kann sie herausnehmen, in den Händen drehen, ans - etwas spärlich einfallende - Licht halten, probehalber auf einer Leinwand abstellen. Von einem kleinformatigen Gemälde fällt beim Anheben, fein wie Staub, etwas von der dick aufgetragenen dunkelblauen Farbe herab. So etwas darf hier passieren. "Wir haben eine spezielle Klientel, die oft genau weiß, was sie will", sagt Mollnow. "Die behandeln die Kunstwerke mit der entsprechenden Ehrfurcht." Aber nicht mit zu viel Ehrfurcht: "Das würde dem Konzept zuwider laufen. Das hat hier viel mit Vertrauen zu tun", räumt er ein. Das blaue Bild hat die Stadt in den Siebzigern angekauft, so ist es auf einem Schild auf der Rückseite vermerkt. Heute kommt nur noch der Name des Künstlers und eine fortlaufende Nummer ans Bild. So wie auf dem daneben liegenden, es ist ganz neu in der Sammlung.

Video- und Installationskünstler haben es schwer

Etwa 30 Werke kauft die Stadt im Schnitt jedes Jahr an, davon geht etwa die Hälfte direkt in die Artothek. Manches trifft allerdings mit ein paar Jahren Verspätung ein, weil es zunächst Wände im Rathaus schmückt. Auffällig ist, dass hier wie im Depot in der Altstadt in erster Ware Flachware, also Bilder herumstehen. "Skulpturen werden oft eher für bestimmte Zwecke oder Orte angekauft", erklärt Kulturamtsleiter Tobias Schneider. Video- und Installationskünstler haben es schwer, zumindest bei öffentlichen Ankäufen. Auch wenn im Depot ein paar altertümliche Monitore aus einer Installation lagern. Angelehnt an ein Regal stehen antik aussehende Skier - ein Objekt des 2014 verstorbenen Künstlers Alto Fertl. Es gehört allerdings nicht der Stadt.

Deutlich älter und auch fragiler sind die städtischen Kunstwerke, die Elisabeth Boser, Leiterin der Dachauer Gemäldegalerie, im Depot aufbewahrt. Darunter sind kirchliche Werke und Krippenfiguren, aber auch der Nachlass des Dachauer Freiluftmalers Carl Thiemann, einschließlich Schriften. Boser ordnet und archiviert ihn gerade. Im Depot werden sorgfältig Raumklima und Luftfeuchtigkeit gemessen und auf gleichmäßigem Niveau gehalten. Hier drin ist alles gesichert, sollten Unbefugte eintreten, schrillt auf der Polizeiwache der Alarm. Was die Stadt hier eingelagert hat, wird gesammelt, bewahrt und - wenn es sich anbietet und eine entsprechende Schau geplant ist - natürlich auch ausgestellt. "Man kann nicht alles zeigen", sagt Boser und weist auf die vollen Regale. Ein Depot ist auch ein Gedächtnis, ein sichtbares und haptisches. Auch wenn die Kunstwerke im Depot nicht jeder anfassen darf.

Allzu versteckt sind die Kunstschätze der Stadt also nicht. Nur wer die Druckgrafik "Brennendes Haus" von Georg Baselitz sehen will, der sollte sich einen Termin bei Florian Hartmann geben lassen. Der Oberbürgermeister hat nicht nur das Ankaufsrecht, er darf sich auch das schönste Werk ins Büro hängen.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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