Kulturkreiskneipe Haimhausen:"Ein Geheimnis"

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"Das kleine Format" heißt die aktuelle Ausstellung in der Haimhausener Kulturkreiskneipe. Am Samstagabend diskutierten dort Maler und Bildhauer, was denn eigentlich Kunst ausmacht

Von Bärbel Schäfer

Der Bronzekopf von Wolfgang Münscher ist in Haimhausen zu sehen. (Foto: Toni Heigl)

Joseph Beuys brachte 1982 in einer Ecke eines Raumes in der Düsseldorfer Kunstakademie fünf Kilogramm Butter an. 1986, etwa neun Monate nach Beuys Tod, entfernte der Hausmeister das Fett, was zu einem Prozess und 40 000 Mark Schadensersatzzahlung an das Land Nordrhein-Westfalen führte. In der Podiumsdiskussion des Haimhauser Kulturkreises "Von Kunst versteh' ich nichts" stand denn auch ein Werk des polarisierendsten Künstlers des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Es war nicht die verkannte Fettecke, sondern der Fettstuhl, mindestens genauso berühmt und umstritten.

In der Kulturkreiskneipe saßen rund 70 Kunstinteressierte, darunter auch einige der Künstler, die an der gegenwärtigen Ausstellung "Das kleine Format" beteiligt sind. Organisiert wurde die Diskussion von Mette Therbild, einer Malerin aus Haimhausen. Vor der Diskussion hielt Itzi Stecker, Maler und Kunstpädagoge am Carl-Orff-Gymnasium in Unterschleißheim, einen unterhaltsamen Vortrag, der allein durch die ausgewählten Beispiele die Spannweite und Entwicklung der abendländischen Kunst deutlich machte.

Er verglich den Fettstuhl von Beuys - ein schlichter Holzstuhl, auf dem Fett in Form eines Keiles liegt - mit Sandro Botticellis Gemälde "Primavera", einem naturalistisch gemalten Bild, das um 1482 entstand und in den Uffizien in Florenz hängt. Damals wie heute bestimme nicht das Handwerk des Künstlers das Kunstwerk, sondern sein Inhalt, sagte Stecker. "Das Handwerk beherrscht man. Der Künstler muss etwas zu sagen haben, da nicht die Behandlung der Form seine Aufgabe ist, sondern das Anpassen der Form an den Inhalt." Botticellis Können steht außer Frage. Die Malerei ist delikat und das Bild erzählt eine spannende Geschichte.

Es wurde von Lorenzo di Medici in Auftrag gegeben, als eine Allegorie auf die blühende Dynastie. Sein Inhalt erschloss sich schon damals nur gebildeten Menschen, heute spricht es uns durch seine Ästhetik an. Im Zentrum eines Orangenhains steht Venus, mit Amor und drei tanzenden Grazien, daneben Merkur als der Gott des Handels, der die Gewitterwolken von diesem Paradies fernhält. Rechts erobert der Windgott Zephyr die Nymphe Chloris mit Gewalt. Sie wird für das ertragene Unrecht belohnt. Die Nymphe verwandelt sich in die Frühlingsgöttin Flora, das Sinnbild für üppiges Blühen und Gedeihen. "Die Vergewaltigung führt zur zivilisiertesten Form der Liebe, der göttlichen Liebe", so Stecker. Die Leidenschaft ist gebändigt, die Sexualität dient dem Fortbestand der Familie. Die erhobene Hand der Venus wird in diesem Zusammenhang als Mariengruß gedeutet, wodurch das erotische Motiv eine christliche Legitimation erfährt. Beuys' Fettstuhl ist mindestens genauso schwer verständlich, aber rein ästhetisch gesehen ein Schock. "Mit Ästhetik kann ich hier nichts anfangen", so Itzi Stecker. Es bleibt rätselhaft, wenn man nichts weiß über Beuys. Was bedeutet das Fett? "Denken Sie an sich selbst?", sagte Itzi Stecker. Fett ist ein Energiespeicher und formbar. Auf die Gesellschaft projiziert bedeutet der Fettkeil auf dem Stuhl den Istzustand der fetten Gesellschaft. Die Masse Mensch kann nur durch Energie verändert werden. Der Fettstuhl ist ein Gleichnis für das Leben und die Veränderbarkeit der Gesellschaft.

Beuys hat seinen eigenen Mythos geschaffen. Nach dem Absturz als Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg soll er von Krimtartaren gerettet und mit Fett und Filz am Leben gehalten worden sein. Bewiesen ist es nicht. Er hat die "soziale Plastik" erfunden und den Kunstbegriff erweitert, er hat aber auch Scharlatanen Tür und Tor geöffnet, so Stecker. Sein Zitat "Jeder Mensch ist ein Künstler" lässt Stecker nur mit dem Zusatz gelten: Wenn er kreativ denkt und die Welt verändern will.

Nach dieser amüsanten Präsentation stellten einige Haimhausener Künstler ihre Arbeiten und Absichten vor. Mette Therbilds expressive Bilder erinnern an Höhlenmalereien. "Zurück zu den Wurzeln", sagte die Künstlerin. Ein Bild stellt die Ölkatastrophe am Golf von Mexico dar mit sinkender Bohrinsel und einem ölverschmierten schreienden Pelikan. "Es war notwendig für mich es zu malen." In Gabriele Middelmanns abstrakten Materialbildern mit aufgeplatzten Malschichten geht es um Oberfläche und Tiefe. "Nicht schön, aber vertraut", so die Künstlerin. Ihr geht es um die emotionale Berührung. Katrin Schürmann zeigte Fotografien ihrer Installationen, in denen sie die Ausbeutung der Natur und den Hunger in der Welt thematisiert. Der Bildhauer Wolfgang Sand ist ein Erzähler. Er sagte, er habe Angst vor dem Begriff Künstler, bezeichne sich lieber als Bastler, Denker, Sucher. Auf die Frage was Kunst sei suche er selbst nach einer Antwort.

Dörthe von Haniel schloss sich an: "Kunst ist ein Geheimnis und nur im eigenen Empfinden zu ergründen." Gegen so viel Gefühl wehrte sich die Ehefrau des Bildhauers, Beate Sand: "Die abstrakte Kunst ist Ausdruck eines wissenschaftlichen Entwicklungsstandes." Womit sie recht hat, denn nur auf der Grundlage der Erkenntnisse Botticellis und aller nachfolgender Künstlergenerationen konnte Joseph Beuys seinen erweiterten Kunstbegriff entwickeln.

Wie denn nun das Rätsel abstrakter Kunst zu lösen sei, wurde nicht geklärt, sollte es aber wohl auch nicht. Die Diskussion war vor allem unterhaltsam. Willi Kramer aus dem Publikum stellte sowieso die Grundsatzfrage: "Muss ich Kunst denn überhaupt verstehen?" Elvis Presley habe schließlich auch gesagt, dass er von Musik nichts wisse. Stecker beendete die Diskussion philosophisch: "Alle Fragen des Menschen können nur Fragen der Gestaltung sein." Wolfgang Sand zitierte verschmitzt lächelnd Picasso: "Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es für mich behalten."

© SZ vom 21.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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