Kultur:Oh, wie schön ist Weltuntergang

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Die vierte Theaternacht in Altomünster widmet sich den Fragen nach "Sein und Nichtsein" auf eine amüsante und auch absurde Weise. Und Ludwig Thomas Kino-Satire gerät zum hintersinnigen Lacherfolg

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Es ist Theaternacht in Altomünster. Die vierte. An vier Spielstätten zeigt die Theatergruppe um Wolfgang Henkel am Samstagabend die ganze Bandbreite ihres Könnens: "Traum" ist das Motto im Kapplergarten. "Kino" heißt es im angrenzenden Saal. Im Altohof ist "Weltuntergang" angesagt. Im Klosterhof geht es um "Verdichtung". Hunderte Zuschauer schlendern bis weit nach Mitternacht von einem Spielort zum anderen, suchen und finden sich im Gewühl wieder, ratschen, lachen, plaudern. Selbst die Kinder halten durch. Unter einem funkelnden Sommersternenhimmel plätschert der Marktbrunnen leise vor sich hin. Es liegt ein Zauber über der Markgemeinde, dem sich niemand entziehen kann. Damit jeder jedes Stück sehen kann, wird es von 22 Uhr an im 45-Minutentakt vier Mal wiederholt. Eine Mammutaufgabe für Darsteller und Technik, die sie mit ansteckender Spielfreude, mit Kreativität und Können auf und hinter der Bühne meistern.

Verdichtung

Neigt sich nicht der Turm von Sankt Alto und Sankt Birgitta ein wenig, damit ihm nur ja nichts vom turbulenten Geschehen vor dem ehrwürdigen Klostergebäude entgeht? "Da steht ja ein Fenster offen", ruft ein Mädchen. Die Kleine ist immer noch hellwach, obwohl es bereits nach Mitternacht ist - und sie mit ihren Eltern die ganze Theaterrunde durch die Markgemeinde mitgemacht hat. Doch das Fenster interessiert nicht mehr. Künstliche Nebel wabern über den Markt. Wie aus dem Nichts tauchen drei Gestalten auf. Sie rappen "Othello", jagen ihre Zuschauer in aberwitzigem Tempo in Fußballer-Manier durch Shakespeares Königsdramen, finden irre Methoden moderner Inszenierung.

Schreckensvisionen, eingetaucht in die romantische Atmosphäre des Altohofs. Wolfgang Henkel inszeniert einen Mutmacher gegen Ängste. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Warum nicht den verzweifelt rasenden römischen Feldherren Titus Andronicus in der Küche sein blutiges Handwerk verrichten lassen anstatt auf dem Schlachtfeld? Oder warum nicht einmal als fabelhaften Schluss "Hamlet rückwärts"? Das Ende war der Anfang. Und wie im Film, der zurückspult, bewegten sich auch die Schauspieler. Das ist "Shakespeare - leicht gekürzt" und sollte unbedingt ins ständige Repertoire der Theatergruppe aufgenommen werden. Regisseur Josef Mair hat mit dem Spielort, der Technik und seinen Darstellern Eva Kitzberger, Marcus Gottfried und Michael Riedl so gekonnt jongliert, dass man am liebsten Schauspieler Riedls Vorschlag aufgegriffen hätte: "Es macht so viel Spaß, ich möchte es am liebsten zehnmal spielen".

Weltuntergang

Um "Sein oder Nichtsein" der speziellen Art geht es im Altohof. Weltuntergang ist angesagt. Die Autoren des Stücks, Wolfgang Henkel und Matthias Spengler, haben von dieser ultimativen Schreckensvision ganz spezielle Vorstellungen. Sie argumentieren im Stakkato gegen Extremisten jeglicher Couleur und Religion. Sie schicken eine Familie am 31. Dezember 1999 nebst Survival-Kit ("Vergiss das Klopapier nicht") in den Bunker und stellen die unausgesprochene Frage: Wer erinnert sich noch an die aus heutiger Sicht lächerlichen Endzeit-Prophezeiungen zur Jahrtausendwende?

Ludwig Thomas sarkastische Kino-Satire findet sein angemessenes Ambiete im Jugendstil-Kapplersaal. . (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sie agieren scharf gegen die derzeit allgegenwärtigen Katastrophenfreaks und deren Angstmacherei. Sie inszenieren auf dem "Traumschiff" -Titelmelodie inklusive - einen Exklusiv-Weltuntergang für betuchte Reisende. Der "Bomber der Nation" quält sich mit der Ikea-mäßigen Bauanleitung für seine potenzielle Waffe ab. Eine durchgeknallte Tussi findet: "Der Weltuntergang passt mir heute überhaupt nicht. Ich wollte doch noch mit Tina ein Sektchen schlürfen."

"Traum" ist das Motto im Kapplergarten, zu sehen gibt es Shakespeare - rückwärts oder leicht gekürzt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Susanne Jais, Steffy Kreppold, Wolfgang Henkel, Pia Obeser und Matthias Spengler überschlagen sich förmlich in dieser völlig abgefahrenen Performance. Was für ein Kontrast zu dem beschaulichen Ambiente mit Rathaus, Klosterladen und im Scheinwerferlicht glühenden Rosen. "Davon geht die Welt nicht unter" singt Zarah Leander - und die klugen Gedanken dieses Slapstick-Szenarios begleiten die Zuschauer weit über diese Theaternacht hinaus. Oh, wie schön ist Weltuntergang.

Traum

Kobold Puck hat die ideale Kulisse für seinen großen Auftritt gefunden: die uralten Bäume neben dem Kapplerbräusaal. Im bunten Licht zahlloser Lampions sind sie in einer geheimnisvollen Metamorphose zu mächtigen Geistwesen mutiert. Elfen tanzen ein graziöses Ballett - und lassen sich nur ungern vom eifersüchtelnden Ehepaar Oberon und Titania verscheuchen. Statt am bedeutungsschwangeren dreht in diesen turbulenten Szenen aus Shakespeares "Sommernachtstraum" ein Bub an einem überdimensionierten Schlüssel. Der durchtriebene Puck führt die hinterlistigen Aufträge Oberons in Sachen Irrungen und Wirrungen der Begierden auf seine charmant-g'schlamperte Art aus - und treibt das Durcheinander auf die Spitze. Auch wer den Sommernachtstraum noch nie gesehen hat, hat seinen Spaß an diesem schönen Spiel von erfahrenen und jungen Darstellern der Theatergruppe. Die kleine Emma allerdings hat nur Puck im Blick. Denn Puck-Darstellerin Veronika Holzmüller ist ihre Mama und deren Waldgeister-Kopfputz findet Emma "am allerschönsten". Doch ebenso schön sind Kostüme und Spiel von Thomas Koppold, Renate Farda, Eva Richter, Elena Farda, Michel Schmitz, Thomas Bliem, Johanna Mair und Michaela Richter.

Kino

Vom Zauberwald ins Lichtspieltheater. Das sind bei der Theaternacht nur ein paar Schritte in den Kapplerbräusaal. Dort treiben auf der riesigen Leinwand Laurel und Hardy gerade ihre Späße. Viel amüsanter übrigens als die heutigen sogenannten Stand-Up-Comedians. Die glucksenden Lacher der vielen Kids im Saal scheinen das zu bestätigen. Doch das Idyll wird jäh unterbrochen: Herr Hierlinger, von der liebenden Gattin und der Tochter zum Kinobesuch gezwungen, nervt die energische Platzanweiserin und mischt das reale und schauspielernde Publikum gehörig auf. Ludwig Thomas Satire "Kino" sorgt für brüllende Lacher bei den Zuschauern.

Allerdings müssen die Darsteller Christl Holzer, Kerstin Heyer, Marina Hörmann, Carolin Polster, Alto Oswald und Norbert Rogge ihren Erfolg mit einer veritablen Welturaufführung teilen: Die Theatergruppe hat nämlich den fiktiven Stummfilm "Am gebrochenen Herzen" tatsächlich realisiert. Dramatische Musik, theatralische Mimik und Gestik, Zwischentitel, dem Genre entsprechende Schminke und Kostüme inklusive. "Ein (Zwerchfell-)erschütterndes Drama" wie Thoma seine Protagonisten sagen lässt und einer der vielen Höhepunkte der Theaternacht. Unbedingt wiederholen!

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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