Karlsfeld:Der Reiz der Flüchtigkeit

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Die Mitglieder des Karlsfelder Kunstkreises nähern sich dem Thema "Spuren" auf ihrer gemeinsamen Jahresausstellung mit unterschiedlichen Techniken und Ansätzen.

Gregor Schiegl

Mit Bäumen kennt Dabra sich aus: Der Scotch Terrier inspiziert die Skulptur von Bildhauer Klaus Herbrich auf der Kunstkreis-Jahresausstellung. (Foto: Toni Heigl)

- Dieter Kleiber-Wurm ist mit den Schuhen einfach in gelbe Farbe gestiegen und hat sich auf die Leinwand gestellt. Nun kann jeder, der will, das Profil der Schuhe des Kunstkreis-Vorsitzenden betrachten. Es hängt, ungerahmt, aber doch im wörtlichen Sinne eindrucksvoll in der Galerie Kunstwerkstatt neben 19 weiteren Exponaten in der Jahresausstellung des Kunstkreises Karlsfeld. "Spuren" lautet das Thema der Ausstellung. Und wie bei allen Jahresausstellungen nähern sich die Künstler ihrem Sujet mit den unterschiedlichsten Techniken und Ansätzen.

Früher führte dies häufig zu einem unruhigen, bisweilen auch etwas willkürlichen Gesamteindruck: riesige Gemälde neben Mini-Formaten, grelle Buntheit und düstere Monochromatik, hier austarierte Statik, dort explosive Dynamik. In dieser Jahresausstellung gibt es diese Dissonanzen nicht. Ein gedämpfter erdiger Grundton prägt die Gesamtschau - auch farblich. "Spuren", das liegt wohl in der Natur der Sache, ist ein sehr bodenständiges Thema.

Die Karlsfelderin Ingrid Regendantz ist in ihren Bildern bis in die Urzeit zurückgegangen. Auf ihrem Diptychon bildet sie Spuren, wie Archäologen sie heute noch in Kalkabdrücken finden, eine Spinne, ein Ammonit, das Skelett eines Archaeopterix, ein fliegendes Insekt hinter einer rotbraunen Farbfläche, vielleicht eingeschlossen und konserviert in einem Harzpfropfen, der zu Bernstein erstarrt ist. Die Künstlerin ist fasziniert von der Fossilienwelt. "Das ist wie ein Blick durch ein Fenster in die Vergangenheit."

Wolfgang Seehaus hat die Spuren von "Kleinstlebewesen" in eine schwarze Schiefertafel, so groß wie eine Küchenfliese, geritzt. Es sind Schleif- Schlängel und Tippelspuren von Lebewesen, die real zwar nie existiert haben, doch manchmal reichen auch ein paar Kratzer in einer Platte, um eine Vorstellung von dieser Existenz zu geben und wie sie sich einstmals durch ihre Umwelt bewegt haben mag.

Spielerisch und originell sind auch die Arbeiten der Münchnerin Aysim Woltmann. Auf einem weißen Papier hat sie ordentlich gereiht nasse Teebeutel gelegt, die ihre bunten rechteckigen Spuren hinterlassen haben: eine bunte Palette der Synästhesien von herbem Earl-Grey-Braun bis Hagebuttentee-Rot. Liz Schinzler, die in diesem Jahr neu zum Kunstkreis gestoßen ist, geht das Thema eher abstrakt an. Sie schichtet in ihren Arbeiten Schichten von Papier, Gewebe, Farbe übereinander so wie die Natur im Erdboden immer wieder eine neue Sedimentschicht auf der darunterliegenden anhäuft. Die Spuren des Werdens und Entstehens, die frühere Spuren überlagern.

Das größte Werk der Ausstellung stammt vom Karlsfelder Bildhauer Klaus Herbrich. Wie so oft bei seinen Arbeiten ist die Grundidee von bestechender Einfachheit, die Umsetzung konsequent, das Ergebnis schlichtweg umwerfend. Herbrich hat eine Scheibe aus einem mächtigen Stamm dem Feuer ausgesetzt, bis das Holz sich in eine ringförmige schwarze Skulptur verwandelt hat. Wie ein ausgeglühter Stern steht sie im Mittelpunkt dieses kleinen Sonnensystems der Kunst. Ein schrecklich-schönes Beispiel, dass Kräfte wie das Feuer nicht nur oberflächliche Veränderungen nach sich ziehen, sondern den Gegenstand selbst transformieren können. Aus Holz wird Kohle.

Manche Künstler thematisieren auch die Flüchtigkeit nicht nur der Ereignisse, sondern auch der Spuren. Unter dem Titel "Kurze Berührung" zeigt Lotte Helbig aus Dachau die Schatten von Händen, die eher wie eine ungreifbare Erinnerung erscheinen. Die scharfen Zacken im monochrom grauen Bild des Karlsfelders Klaus-Peter Kühne erinnern an Ausschläge eines Seismografen. Vielleicht ein Herzschlag. Diese Ausstellung ist eine Einladung an den Besucher, selbst auf Spurensuche zu gehen. Es gibt viel zu entdecken.

Was war? Was ist? Was bleibt? "Ich hoffe, dass auch wir einige Spuren hinterlassen haben", sagt Dieter Kleiber-Wurm über den Kunstkreis, den er 1977 ins Leben gerufen hat. Es ist - man darf auch mal innehalten und zurückblicken - die mittlerweile 125. Ausstellung des Kunstkreises, der in diesem Jahr außerdem ein kleines Jubiläum feiert: Er wird 35 Jahre alt. "Früher haben wir andere Kunstkreise beneidet", sagt Gründer Dieter Kleiber-Wurm. "Heute beneiden sie uns." Eine Spur von Stolz? Durchaus.

"Spuren". Jahresausstellung des Kunstkreises Karlsfeld, Galerie Kunstwerkstatt, Am Drosselanger 7. Vernissage Freitag, 16. November, 19 Uhr, weitere Öffnungszeiten: Samstag/Sonntag, 17./18. und 24./25. November jeweils von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 15.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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