Kampf für Andi:Kleiner Pikser, große Wirkung

Lesezeit: 3 min

Nur ein paar Tropfen Blut und schon ist man als Knochenmarkspender registriert - an der Typisierungsaktion für den an Leukämie erkrankten Andreas Nagelmüller haben sich 1001 Dachauer beteiligt.

Julia Richthammer

Was bewegt Menschen dazu, sich als Spender typisieren zu lassen, um einem Fremden irgendwo auf der Welt zu helfen? "Ich finde, jeder sollte mitmachen. Wenn man selbst betroffen wäre oder jemand aus dem eigenen Umfeld, würde man auch wollen, dass möglichst viele versuchen zu helfen", sagt Bianca Lautenschlager. Ihre Freundin Melanie Hujber stimmt ihr zu: "Ich hatte zuerst Zweifel. Es gibt Nebenwirkungen und Risiken. Aber es stimmt: Wäre man selber in der Situation, würde man sich auch wünschen, dass viele mitmachen."

Eine schnelle Registrierung, ein kurzer Pikser, ein paar Tropfen Blut. Mehr ist nicht nötig, um sich als Knochenmarkspender typisieren zu lassen. Doch möglicherweise rettet dieser kurze Pikser einem Kranken irgendwo auf der Welt das Leben. Denn wer sich typisieren lässt, wird in die weltweit vernetzte Spenderdatei aufgenommen. Am vergangenen Wochenende fand im Autohaus Braun in Dachau-Ost die Typisierungsaktion für den an Leukämie erkrankten Mitarbeiter Andreas Nagelmüller statt.

Auch seine Kollegen haben mitgemacht. Ihr Chef Peter Braun musste allerdings als Vorreiter herhalten. Es gibt die Altersgrenze von 45 Jahren. Da liege er zwar schon darüber, aber er habe sich als Vorbild trotzdem beteiligen wollen. Mit Erfolg: "Als meine Leute gesehen haben, dass auch bei mir die Nadel wirklich reingestochen wurde, haben sie sich auch getraut." Dass Nagelmüllers Mitarbeiter sich typisieren ließen, leuchtet ein. Aber Fremde, Melanie oder Bianca?

Braun hatte sich große Mühe gegeben, möglichst viele Menschen zu erreichen. Die Typisierungsaktion wurde in Radio, Fernseher und Zeitungen beworben, in ganz Dachau hingen Plakate und Flyer aus. Bei der Aktion haben sich 1001 Menschen neu in die Spenderdatei aufnehmen lassen, durch Spenden und Kuchenverkauf kamen etwa 5000 Euro zusammen. Peter Braun ist hochzufrieden: "Mit so vielen Leuten hätten wir gar nicht gerechnet, auch wegen des Wetters. Ich bewundere die Menschen: Sie sind am Sonntag teilweise 500 Meter weit hergelaufen, weil die Parkplatzsituation so schlecht war und standen dann noch im Regen an, weil es so voll war."

Über die Blutprobe werden zunächst die individuellen Gewebemerkmale jedes potentiellen Spenders bestimmt. Passen die Merkmale im ersten Abgleich mit denen eines Kranken zusammen, wird die Blutprobe noch genauer untersucht. Damit eine Spende möglich ist, müssen diese sogenannten HLA-Merkmale zu annähernd 100 Prozent übereinstimmen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Spender zu finden, liegt bei nur 1 : 20 000. Genau deshalb hat Peter Braun, Besitzer des Autohauses Braun, die Typisierungsaktion organisiert. Je mehr Menschen sich typisieren lassen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, einen Spender zu finden.

Die Blutproben der 1001 neuen, potentiellen Spender werden nun analysiert. Laut "Stiftung Aktion Knochenmarkspende Bayern" beträgt die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten zehn Jahren nach der Typisierung tatsächlich Knochenmark zu spenden, nur fünf bis zehn Prozent. Kommt es dazu, gibt es zwei Möglichkeiten: die Knochenmarkentnahme und die periphere Stammzellentnahme. Bei der Knochenmarkentnahme wird dem Spender unter Vollnarkose Knochenmark aus dem Beckenkamm entnommen. Um eine gängige Angst auszuräumen: Mit dem Rückenmark hat diese Art der Entnahme von Knochenmark nichts zu tun.

Die Alternative wird heute bei etwa 80 Prozent angewandt: Bei der peripheren Stammzellentnahme wird dem Spender fünf Tage lang ein hormonähnlicher Stoff gespritzt, der zu einem verstärkten Übertritt von Stammzellen ins Blut führt. Diese Stammzellen können dann über eine Zentrifuge, ähnlich wie bei einer Dialyse, aus dem Blut herausgesammelt werden.

Da in Dachau in den vergangenen Jahren schon zwei große Typisierungsaktionen stattgefunden haben, sind viele Dachauer bereits als Knochenmarkspender registriert. Die Aktion war gerade vor diesem Hintergrund ein großer Erfolg, auch weil Peter Braun und alle Helfer am Sonntagnachmittag Sportsgeist bewiesen haben. "Um 16 Uhr hatten wir erst etwa 900 Typisierungen beisammen. Aber eine dreistellige Zahl war mir zu wenig. Wir haben noch Leute mobilisiert und um kurz vor 17 Uhr haben wir dann die Tausend geknackt", freut sich Braun.

Es wird nun vier Wochen dauern, bis klar ist, ob ein geeigneter Spender für Andreas Nagelmüller dabei ist. Er hat mittlerweile seine fünfte Chemotherapie hinter sich. Die letzte war für ihn mit so schlimmen Nebenwirkungen verbunden, dass er zusammen mit seiner Frau entschieden hat, keine weitere mitzumachen - auch wenn das sein Todesurteil bedeuten könnte.

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: