Große Koalition:"Jeder hat Bauchweh"

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Der SPD-Kreischef und Landtagsabgeordnete Martin Güll wirbt für die große Koalition. (Foto: Niels P. Jörgensen)

SPD-Kreischef Martin Güll versteht die Zweifel der Basis, setzt aber auf Pragmatismus. Bundestagsabgeordneter Michael Schrodi glaubt an die Zustimmung zur großen Koalition. Viele Mitglieder sind aber gar nicht überzeugt

Von Thomas Altvater, Dachau

Erschöpft sind sie schon, aber auch zuversichtlich. Der Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi und der Landtagsabgeordnete Martin Güll, Chef der SPD im Landkreis Dachau, haben eine anstrengende Werbetour durch Ortsvereine ihrer Partei hinter sich gebracht. Nach den Diskussionen mit der Basis glauben sie, dass zumindest im Landkreis die große Koalition nicht am Mitgliedervotum scheitern wird. Schrodi zweifelt, wie er sagt, nicht mehr am Erfolg. Ungefähr 500 Parteimitglieder sind zur Abstimmung aufgerufen. Doch so erfolgreich war ihre Überzeugungsarbeit offenbar nicht. "Ich werde gegen die Groko stimmen", kündigt Michael Kausch, Vorsitzender der Haimhausener SPD, an. Und nicht nur er. Die Stimmung in den Ortsvereinen ist gespalten: Nur wenige Mitglieder scheinen vom Koalitionsvertrag überzeugt zu sein.

Bereits im November vergangenen Jahres hatten sich die Haimhausener Genossen gegen eine Wiederauflage der großen Koalition mit CDU/CSU ausgesprochen. Der Grund: "Ich will, dass die SPD eine Heimat für von Merkel enttäuschte Bürgerinnen und Bürger sein kann", erklärt Michael Kausch. Auch jetzt, wo der Koalitionsvertrag vorliegt, ändert er seine Meinung nicht. Für Kausch hat die SPD zwar gut verhandelt, konkrete Ergebnisse vermisst er allerdings. Es werde viel gewollt, aber wenig verbindlich zugesagt.

Vor allem die Jusos im Landkreis machen sich wenig verwunderlich für ein "Nein" stark. Der Kreisvorsitzende Stefan Brix aus Vierkirchen ist der Ansicht, dass die SPD in einer erneuten großen Koalition keine Zukunft hat. "Das Wahlergebnis im September 2017 war die klare Ansage, dass eine erneute große Koalition nicht erwünscht ist", sagt Brix. Diese Haltung teilen die Jusos auch in der Stadt Dachau. Stefan Brix hat bereits abgestimmt: Mit einem "Nein", wie er sagt.

Im Karlsfelder Ortsverein, mit 98 Mitgliedern einer der größten im Landkreis, gehen die Meinungen auseinander. Lebhaft habe man diskutiert, sagt der Vorsitzende Franz Trinkl. Die Mehrheit sei grundsätzlich dafür, aber einige haben klar gesagt, dass sie eine große Koalition ablehnen. Franz Trinkl bezeichnet sich selbst als einen "Umfaller". "Am Abend nach der Bundestagswahl habe ich sofort gesagt, dass die SPD in die Opposition gehen muss", erzählt er. Seine Wahlunterlagen hat er bereits abgeschickt. Und für die große Koalition gestimmt. "Im Vertrag ist viel Sozialdemokratie enthalten, das hat mich dann doch überzeugt", sagt Trinkl. Alternativen zur Groko gibt es für den Chef des Ortsvereins nicht. "Bei Neuwahlen würde ich mich schämen, wir können den Menschen kein neues Programm anbieten."

Auf solche Genossen zählt der SPD-Chef im Landkreis, Martin Güll. Der Landtagsabgeordnete sieht eine positive Stimmung an der SPD-Basis, räumt aber ein, dass man von einer Aufbruchstimmung weit entfernt sei. "Jeder hat Bauchweh mit der Entscheidung, keiner ist wirklich überzeugt", sagt Güll. Dennoch: Bei den Mitgliedern überwiege der Pragmatismus. Meint Güll. "Niemand will Neuwahlen und Deutschland braucht einfach sozialdemokratische Politik."

Die ganze Dramatik in der Sozialdemokratie spiegelt sich im Landkreis Dachau wider. Für die SPD sind es entscheidende Tage. Vergangenen Dienstag startete das Mitgliedervotum, das über den Eintritt der Partei in eine erneute große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entscheidet. Bis zum 2. März können mehr als 450 000 SPD-Mitglieder über eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei abstimmen. Während sich der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert vehement gegen die große Koalition ausspricht, wirbt der Parteivorstand um Andrea Nahles, Olaf Scholz und Sigmar Gabriel ausdrücklich dafür. Die Diskussionen um die Zukunft des ehemaligen Vorsitzenden Martin Schulz und das Mitgliedervotum selbst brachten der Partei in den vergangenen Tagen viel Kritik ein. Die Umfragewerte sanken auf ein historisches Tief, die Partei lag zuletzt sogar hinter der rechtspopulistischen AfD.

"Die Stimmung ist die, dass die Mitglieder rational abwägen, was für oder gegen die große Koalition spricht", fasst Schrodi zusammen. Den Grundstein für einen möglichen Erfolg habe die Partei mit den Verhandlungen zu Beginn des Jahres gelegt: "Wir müssen uns nicht verstecken und sind im Koalitionsvertrag mit vielen Punkten vertreten." Unter einer Andrea Nahles werde die gesamte Fraktion nun mehr in Entscheidungen eingebunden, sagt Schrodi. Die designierte SPD-Vorsitzende fordert jedoch immer wieder, die Unterschiede zwischen Union und SPD stärker herauszuarbeiten und das Profil der Partei zu schärfen. "Wir müssen uns anders geben als in den letzten vier Jahren, aber das passiert bereits", sagt Schrodi.

Auf der linken Seite des Wahlzettels, unter dem "Ja", wird Wolfgang Götz, Vorsitzender der SPD in Röhrmoos, sein Kreuz setzen. "Es gibt sonst keine Alternative", sagt auch er. Für ihn gilt es, eine rechtskonservative Mehrheit im Bundestag zu verhindern. Es bleibt die große Koalition, da die SPD eine grundsätzliche Verantwortung für sozial schwächere Menschen habe, so Götz. "Der Koalitionsvertrag ist sozialdemokratisch geprägt." Auch dass die Partei wichtige Schlüsselressorts wie das Finanzministerium für sich gewinnen konnte, überzeugt Götz und, wie er sagt, etliche Mitglieder seines Ortsvereins schlussendlich.

Eine Entscheidung zu treffen, ist auch dem Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) alles andere als leicht gefallen. "Das Herz sagt Nein, der Verstand Ja." Eine große Koalition bedeutet für Hartmann, dass die vielen Kompromisse den dringend benötigten Fortschritt ausbremsen könnten. Da sich die Partei jedoch der gesamtpolitischen Verantwortung stellen müsse, wird Hartmann für die große Koalition stimmen. "Der Wähler hat das am 24. September so entschieden, indem er der Union und der SPD eine gemeinsame Mehrheit gegeben hat", sagt Hartmann.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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