Leistungsdruck:Gedopt ins Büro

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Immer mehr Menschen greifen zu leistungssteigernden Mitteln, um dem Druck am Arbeitsplatz standzuhalten. Ärzte sind alarmiert.

Von Julian Erbersdobler, Dachau

Ein schonender Bürostuhl für den Rücken, verständnisvolle Kollegen, stressfreie Meetings und ein lockeres Workout zum Feierabend: Das klingt nach einem perfekten Arbeitstag. Dass es in der Realität oft anders zugeht, wird im Gesundheitsbericht der Krankenkasse DAK deutlich, der die Ursachen für Krankschreibungen thematisiert. Demnach gab es in der Region im Jahr 2014 deutlich mehr Fehltage wegen psychischer Leiden. Gleiches gilt für Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen. In den Landkreisen Dachau und Fürstenfeldbruck ist der Krankenstand im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Mit 3,3 Prozent lag er minimal unter dem Landesdurchschnitt. Damit waren an jedem Tag des vergangenen Jahres von 1000 Arbeitnehmern im Schnitt 33 krankgeschrieben.

Horst-Günter Rau, ärztlicher Direktor der Helios Amper-Kliniken in Dachau und Indersdorf, beunruhigt besonders der Anstieg an Krankschreibungen aus psychischen Gründen, beispielsweise wegen Angststörungen und Depressionen. Im Bericht der Krankenkasse heißt es, dass die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen in Bayern seit dem Jahr 2000 um 86 Prozent gestiegen sei. "Das ist wirklich erschreckend", sagt Rau. In Dachau und Fürstenfeldbruck lässt sich dieser Trend auch beobachten: Psychische Leiden sind nach Angaben der DAK inzwischen zweithäufigster Grund für Krankschreibungen in der Region.

Rau sieht darin vor allem ein Spiegelbild der "unsicheren und wechselhaften Zeiten". Gerade könne man das auch gut im Klinikum beobachten, sagt er. "Die strukturellen und personellen Veränderungen bei MAN oder anderen großen Firmen gehen nicht einfach spurlos an den Menschen vorbei." Der ärztliche Direktor hoffe aber, dass es sich hierbei nicht um eine dauerhafte Entwicklung handle.

Burnout ist alltäglich geworden

Die Psychologin Elisabeth Bodensteiner ist weniger zuversichtlich. Seit 2001 hat sie eine eigene Praxis in Markt Indersdorf. Im Gespräch mit der SZ sagt sie: "Vor einigen Jahren kamen nur vereinzelt Patienten mit Burnout oder ähnlichen Erschöpfungserscheinungen." Mittlerweile, so Bodensteiner, gehöre das Krankheitsbild zu ihrem Arbeitsalltag. Woran das liegt? "Die Belastungen in der Arbeit werden immer größer", sagt die Psychologin.

Diese Aussage spiegelt sich auch in einer Sonder-Analyse des DAK-Gesundheitsberichts wieder. Eine repräsentative bundesweite Mitgliederbefragung ergab: In Bayern nutzen fast 120 000 Beschäftigte zweimal im Monat verschreibungspflichtige Medikamente, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen. Erstaunlich sei daran, heißt es in einer Pressemitteilung der Krankenkasse, dass "Hirndoping" mittlerweile auch bei "Otto Normalverbraucher" angekommen sei - besonders bei Erwerbstätigen mit einfachen Jobs.

Horst-Günter Rau bezeichnet die Ergebnisse als "alarmierend". Besonders häufig kommen laut Studie Betablocker, Antidepressiva, aber auch Wachmachern und ADHS-Pillen zum Einsatz, die eigentlich zur Therapie anderer Krankheiten verschrieben werden. Die Gefahren der vermeintlichen Wundermittel seien nicht zu unterschätzen, sagt der Klinikleiter. "Am Anfang ist da die Euphorie, aber genauso schnell geht es dann wieder bergab." Rau fordert mehr externe Stellen, an die sich Arbeitnehmer mit psychischen Problemen wenden können. "Wenn solche Themen intern aufkommen, heißt es schnell: Der Kollege ist einfach überfordert."

Zum Ausgleich Sport

Um es gar nicht erst soweit kommen zu lassen, empfiehlt er sportliche Aktivitäten als Ausgleich zum Berufsstress. Vielen Arbeitnehmern sei gar nicht bewusst, so Rau, dass sie auch mal ihren Kopf freibekommen müssen. Dafür sprechen auch die Zahlen im DAK-Gesundheitsreport: Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen sind in der Region nach wie vor Hauptursache für Krankschreibungen - und es gibt 23 Prozent mehr Ausfalltage als im Vorjahr. Physiotherapeut Paris Andreadis aus Dachau wundert das nicht.

Er sieht in diesem Zusammenhang aber nicht nur den Arbeitnehmer in der Pflicht: "Es gibt leider noch zu wenige Arbeitgeber, die erkennen, wie wichtig Gesundheit und Sport am Arbeitsplatz sind." Seiner Erfahrung nach wären das, wenn überhaupt, die größeren und finanziell besser aufgestellten Firmen. "Ich höre oft von Patienten, dass sie sich ergonomische Bürostühle wünschen, aber keine bekommen", sagt Andreadis.

Die DAK-Gesundheit hat etwa 850 000 Versicherte in Bayern, davon rund 26 000 in den Landkreisen Dachau und Fürstenfeldbruck. Der jährliche Bericht über den Krankenstand in der Region soll Impulse zum "Gesundbleiben und Gesundwerden" der Beschäftigten geben, heißt es in der Pressemitteilung.

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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