Gedenkfeier in Dachau:Bayerns DGB-Chef vergreift sich im Ton

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Matthias Jena warnt beim Thema Integration vor einer "Selektionsdebatte" - ausgerechnet in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Israelitische Kultusgemeinde ist entsetzt.

W. Gierlich

Bayerns DGB-Chef Matthias Jena hat sich mit Äußerungen zur Integrationsdebatte den Zorn der Israelitischen Kultusgemeinde zugezogen. Jena warnte am Sonntag bei einer Gedenkveranstaltung der DGB-Jugend an die Pogromnacht vom 9.November 1938 in der KZ-Gedenkstätte Dachau davor, Menschen ausschließlich unter dem Aspekt ihrer ökonomischen Verwertbarkeit zu betrachten.

"Manches, was derzeit unter dem Deckmantel einer Integrationsdebatte daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Selektionsdebatte", sagte Jena. Die Initiatoren der Diskussion über Zuwanderer entschieden über die Nützlichkeit oder Nicht-Nützlichkeit von Arbeitskräften und ganzen Bevölkerungsgruppen. "So werden unter dem Banner der Meinungsfreiheit ethnische Ressentiments wieder gesellschaftsfähig gemacht."

Marian Offman, Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde München, nannte das Wort "Selektionsdebatte" eine "unfassbare" und "unsensible" Formulierung. "Wenn an einem solchen Ort und in diesem Zusammenhang das Wort 'Selektion' in Bezug auf Menschen verwendet wird, ist es für die Opfer verletzend. Die, die selektiert wurden, leben nicht mehr." Das sei "gerade an diesem Ort ein unsensibler Umgang mit der Sprache, mit dem Thema und mit der Vergangenheit", kritisierte Offman, sichtlich erschüttert: "Das ist eine Respektlosigkeit vor den Opfern." Offman kritisierte den "geschichtslosen und rüden Umgang mit der Sprache".

Jena benutzte die Formulierung offenbar wohl überlegt: Gerade angesichts des Ortes und der Erinnerung an die Pogromnacht, als die Nazis einen ersten Höhepunkt der Verfolgung der Juden und ein Vorspiel zu ihrer späteren Vernichtung inszenierten, müsse man fragen, was mit all jenen sei, die ihre Heimatländer aus religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen verlassen müssten, fragte Jena vor dem Krematorium in der Dachauer KZ-Gedenkstätte. Jena mahnte, man dürfe nicht "Menschen vorrangig nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit" klassifizieren.

DGB-Landeschef Jena sieht in den eigenen Reihen enormen Aufklärungsbedarf, was den Umgang mit rechtem Gedankengut angeht: "Befragungen zeigen, dass unter Gewerkschaftsmitgliedern eine rechtsextreme Einstellung etwa im gleichen Maße vorzufinden ist wie in der Gesamtgesellschaft." Die Zahl der Teilnehmer an der Gedenkfeier in Dachau nimmt Jahr für Jahr ab.

© SZ vom 08.11.2010/bm/dapd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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