Flüchtlingspolitik:Aufstand des Handwerks

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Promise Ali musste seine Vollzeitstelle bei Bäcker Polz aufgeben. (Foto: Toni Heigl)

Seit einem Jahr arbeitet der Nigerianer Promise Ali bei Bäckermeister Thomas Polz in Ampermoching, nun soll er abgeschoben werden. IHK und Bäckerinnung appellieren an die Politik: Einwanderer werden als Fachkräfte gebraucht

Von Viktoria Großmann, Dachau

Bäcker Thomas Polz lässt nichts unversucht, um seinen Mitarbeiter Promise Ali vor der Abschiebung zu bewahren. Der Fall ist nun sogar in Berlin bekannt. Die CSU-Bundestagsabgeordnete Gerda Hasselfeldt hat sich der Sache angenommen. Die Bäckerfamilie hatte sie um Hilfe gebeten. Der 23-Jährige musste nach einem Jahr zum 31. März seine Arbeit niederlegen und kann jederzeit nach Bulgarien abgeschoben werden. Dort war der junge Mann aus Nigeria bei seiner Flucht über die Türkei aufgegriffen und registriert worden. Nach dem Dublin-Abkommen muss er deshalb dort Asyl beantragen. "Es ist ein eindeutiger Dublin-Fall", sagt Hasselfeldt. Allzu große Hoffnungen kann sie Ali und Polz nicht machen. Doch sie hat sich an die Bezirksregierung von Oberbayern gewendet, die sich den Fall erneut vornimmt.

Das Paradox aus Sicht des Bäckers: Er braucht dringend Arbeitskräfte, ist froh, Ali eingelernt zu haben, der in Deutschland allein von seinem eigenen Verdienst lebt, ohne jegliche Sozialleistungen. Im ärmsten Land der EU dagegen hat er kaum Aussichten auf einen Job. Ali berichtet zudem, er sei in Bulgarien ein Jahr lang im Gefängnis eingesperrt gewesen und geschlagen worden. Der Flüchtlingsrat und Pro Asyl berichten von Polizeigewalt und massiven Misshandlungen in dem Land. Das Verwaltungsgericht Hannover hat erst in diesem Jahr eine Abschiebung nach Bulgarien verhindert. Es bezweifelte, dass dort die Grundrechte-Charta eingehalten wird. Das Verwaltungsgericht München berief sich in einem ähnlichen Fall 2016 auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit der europäischen Länder. Darauf verweist auch Hasselfeldt: "Wir können nicht von anderen Ländern verlangen, sich an die Richtlinien zu halten und es selbst nicht tun." Die Arbeitgeber müssten sich genau über die Bleibeperspektiven ihrer potenziellen Mitarbeiter informieren, sagt die CSU-Landesgruppenchefin.

Aus Sicht der IHK und der Bäckerinnung hat Polz alles richtig gemacht

Als Polz seine Mitarbeiter aus Nigeria und Afghanistan einstellte, galten diese Länder als unsicher, kaum einer wurde dorthin zurück geschickt. Ali hatte eine Arbeitserlaubnis bis 2019. Industrie- und Handelskammer, Handwerkertag und Bäckerinnung fordern verlässliche Ansagen von der Politik. Aus Sicht des Landesinnungsverbandes für das bayerische Bäckerhandwerk und auch der Industrie- und Handelskammer hat Polz alles richtig gemacht. Die IHK ist für Handwerker gar nicht zuständig, aber sie teilt mit ihnen die Sorge um Fachkräfte. Schon lange appelliert sie daher nachdrücklich an die Politik, es Unternehmern leichter zu machen, Einwanderer einzustellen. Der Dachauer IHK-Vorsitzende Peter Fink hat sich bereits persönlich über den Fall informiert. "Die IHK ist überzeugt, dass Geflüchtete eine Chance für die oberbayerischen Unternehmen sein können", sagt Hubert Schöffmann, bildungspolitischer Sprecher der IHK für München und Oberbayern.

Wenn Polz nun sagt: "Der Promise geht mir schon ab", dann meint er nicht nur, dass er den fröhlichen Hobby-Fußballer ins Herz geschlossen hat, sondern auch, dass er ihm als Arbeitskraft fehlt. Der Betrieb in Ampermoching läuft sehr gut. Täglich wird nicht nur für die eigenen Filialen im Landkreis, sondern für Bio-Läden und Reformhäuser in München und den Nachbarlandkreisen gebacken. Bereits dreimal hat die Bio-Bäckerei vom Bundesministerium für Landwirtschaft den Staatsehrenpreis für hervorragende Brotqualität erhalten. Doch Polz findet kaum noch Leute, die ihm beim Brotbacken helfen. Im Familienbetrieb arbeitet er gemeinsam mit seiner Frau und zwei der drei erwachsenen Kinder. Angestellte hat er aus der ganzen Welt: Gerade erst hat er eine japanische Konditormeisterin eingestellt, zwei Ungarn arbeiten bei ihm, dazu zwei nigerianische Lehrlinge, zwei Hilfskräfte aus Afghanistan in Vollzeit und bis Ende März Promise Ali. Auch einer der afghanischen Angestellten soll das Land verlassen. Ein Lehrling wird ebenfalls kein Asyl erhalten, hat aber gute Aussichten, seine Lehrzeit beenden zu können. Sorgen macht sich Polz um seinen afghanischen Mitarbeiter. Dieser habe als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet und fürchtet um sein Leben, wenn er zurückkehren muss.

Der Handwerkertag rät Unternehmern, die Migranten einstellen wollen, sich beraten zu lassen

Polz bereut seine Entscheidung, die Männer eingestellt zu haben, nicht. Es habe seine Zeit gedauert, sie einzulernen. Aber alle seien sehr tüchtig. "Die stehen morgens halb drei auf und fahren die acht Kilometer mit dem Fahrrad her." Es sei ein Knochenjob, sagt der Bäckermeister: "Hier muss jeder anpacken, herum stehen geht nicht." Die Landesinnung will Polz und Kollegen in ähnlichen Situationen ermutigen: "Wir empfehlen unseren bayerischen Bäckereien, Flüchtlinge und Migranten als mögliche Auszubildende und Mitarbeiter im Blick zu haben und sich nicht von den Herausforderungen abschrecken zu lassen", sagt Christopher Kruse. Der Fall Polz sei exemplarisch. Viele Bäcker beschäftigten Flüchtlinge auch aus "christlich oder gesellschaftlich motiviertem Einsatz für Flüchtlinge und Migranten". Deutlich nüchterner gibt sich der Sprecher des bayerischen Handwerkertages Jens Christopher Ulrich: "Das System kann nicht auf Asylbewerbern aufbauen. Die können das Problem Fachkräftemangel nicht lösen." Ulrich sieht die Migranten als "Ergänzung". Unternehmer sollten sich dringend den Rat ihres Verbandes einholen, IHK und Handwerkertag beschäftigen eigens Mitarbeiter, die Firmenchefs beraten, welche Migranten einstellen wollen. Alle drei Verbände kritisieren, dass die sogenannte 3+2-Regelung in Bayern nicht verlässlich angewendet werde. Sie besagt, dass Lehrlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, ihre Lehre beenden und danach zwei weitere Jahre in ihrem Beruf arbeiten dürfen.

Wäre es aber nicht auch in Fällen wie Alis besser, ein Mensch könnte sein Asylverfahren in dem EU-Land abwarten, in dem er arbeiten und sich selbst versorgen kann? "Das könnte dazu führen, dass noch mehr Menschen aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland flüchten", sagt Hasselfeldt. Und das ist zumindest von der CSU politisch nicht gewünscht. Die Innung ist anderer Meinung: "Gerade das Bäckerhandwerk ist gerne bereit, seinen Teil zur Integration oder zumindest zeitweiligen Aufnahme von Flüchtlingen zu leisten", teilt Christopher Kruse mit. "In unserem Handwerk zählt nicht, wo man herkommt, ob aus Neuperlach oder Kundus, sondern, wo man hin will."

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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