Fasching in Dachau:Konfetti im Blut

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In royaler Pose: Prinzessin Anika I. und Prinz Simon I. repräsentieren in dieser Saison die Dachauer Faschingsgesellschaft. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Für einige ist es die tollste Zeit des Jahres, für andere albernes Theater: Doch wer steht hinter den Faschingsbällen? Was treibt Narren an? Unterwegs mit dem Dachauer Prinzenpaar Simon I. und Anika I.

Von Sebastian Jannasch, Dachau

Simon Lorchheim ist nervös. Mit der einen Hand umklammert er ein Zepter mit einem Kasperle an der Spitze, die andere Hand hält er verkrampft hinterm Rücken, ein Orden hängt um seinen Hals. Neben ihm steht in einem glitzernden, eisblauen Kleid Anika Gebler, zittrig umgreift sie eine Rose, in den Haaren trägt sie eine funkelnde Krone. Rose und Zepter, das sind die Insignien der Macht. Auf diesen Moment haben die beiden monatelang hingearbeitet. Aus dem Maurer Simon Lorchheim ist wenige Minuten vorher Prinz Simon I. von Dachau geworden, aus Bauzeichnerin Anika Gebler Prinzessin Anika I. von Dachau. Gleich steht der Eröffnungstanz an. Von Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) haben sie den goldenen Schlüssel zum Rathaus erhalten. Während der närrischen Zeit regieren sie nun symbolisch die Stadt. Der Hofstaat marschiert ein und applaudiert den neuen Vorstehern des Narrenreichs, die Gardemädchen lassen in schillernden Kostümen die Beine fliegen. Es ist die feierliche Inthronisation des Dachauer Prinzenpaars.

Prinzen, Narrenreich, Hofstaat? Für viele ist der Fasching eine fremde Welt

Prinzen, Narrenreich, Hofstaat? Für viele ist der Fasching eine fremde Welt mit Figuren, die sie höchstens aus dem Märchenbuch kennen. Ein Brauch, bei dem sich erwachsene Menschen in bunte Kostüme werfen und betrunken Gassenhauer schmettern. Nächste Woche beginnt die Hochphase der fünften Jahreszeit. Von Weiberfastnacht am Donnerstag bis zum Aschermittwoch rufen die Narren zur ausgelassenen Fröhlichkeit auf. Für die Dachauer Faschingsgesellschaft ist es der Höhepunkt des Jahres. Für andere ist es ein Grund, die Stadt zu verlassen. Wer sind die Macher des Faschings und was treibt sie an?

Auch Landrat Stefan Löwl besucht mit seiner Frau Bettina die Galabälle. Der CSU-Politiker ist sogar Ehrensenator der Dachauer Faschingsgesellschaft. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In feinstem Bairisch hält der Prinz seine Rede. Das Publikum johlt

400 Besucher sind zur Krönung des Prinzenpaars ins Ludwig-Thoma-Haus gekommen. Auf den langen Tischen im Stockmann-Saal sind Servietten zu Smokings gefaltet, im Hintergrund singt sich Helene Fischer atemlos durch die Nacht. In feinstem Bairisch hält der Prinz seine Rede: "Grüßt euch und ich hoffe, euch gefällt's." Das Publikum johlt. Dass er jemals an dieser Stelle stehen würde, hatte Simon Lorchheim bis vor wenigen Monaten nicht gedacht. Mit dem Fasching hatte er zuvor nichts zu tun. In seiner Freizeit kickt der 23-jährige Machtensteiner, bald wird er Fußball-Jugendtrainer. "Ich war vorher nur bei ein paar Faschingsumzügen." Doch in den vergangenen Monaten ist aus dem ungelenken Tanzmuffel ein veritabler Faschingsprinz geworden. Beim Eröffnungswalzer wirbelt er seine Prinzessin Anika zu Alexandra Burkes "Halleluja" elegant übers Parkett, hebt sie im großen Finale rücklings über die Schulter.

Die Faschingssaison ist dieses Jahr besonders kurz: Nur gut vier Wochen nach ihrem Beginn endet die Narrenregentschaft schon wieder. Etwa 30 Auftritte stemmt die Dachauer Faschingsgesellschaft in dieser Zeit. Hinzu kommen zahllose Veranstaltungen, bei denen das Prinzenpaar das Wochenendprogramm eines Bürgermeisters leistet: Da sein, aufstehen, winken, freundlich sein, ein paar Worte sagen.

Ihren Prinzen fand Anika unvermittelt auf einer Party in Olching

Anika Gebler hatte schon lange den Wunsch, Faschingsprinzessin zu sein. Die 24-jährige Schwabhausenerin tanzte zwei Jahre lang in der Tanzgruppe mit. In ihrem dritten Jahr wollte sie auch einmal in der ersten Reihe stehen, von der Prinzengarde hofiert und bei Auftritten im Landkreis, in München und Salzburg bejubelt werden. "Mir fehlte allerdings noch der passende Prinz." Den fand sie unvermittelt auf einer Party in Olching. Denn ein richtiges Paar sind Simon und Anika nicht. Einem Freund erzählte sie, dass sie einen Faschingsprinzen sucht. "Er hat mir Simon vorgestellt und sagte, er sei genau der Richtige dafür." Etwas beschwipst sagte Simon damals zu. "Ich war mir nicht ganz sicher, ob er sich am nächsten Morgen noch daran erinnern würde", erzählt Anika. Doch Simon hielt Wort. Er war neugierig darauf, was es bedeutet, Prinz zu sein. Und: "Ich wollte richtig tanzen lernen. Das kommt doch bei den Frauen gut an."

Zu den Gala-Abenden kommt auch Oberbürgermeister Florian Hartmann mit Freundin Julia Märkl. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seine Familie hielt es zunächst für einen Scherz. Als Prinzen im edlen Zwirn konnten sie sich Simon schlecht vorstellen. Es folgten schweißtreibende und schmerzhafte Übungsstunden in der Tanzschule, trittsicher war Simon lange nicht. "Anfangs musste ich führen", erinnert sich Anika. Nachdem seine Maurerkollegen Simon wegen seiner neuen Rolle eine Weile aufzogen, sind sie nun stolz, schneiden Artikel aus der Zeitung, wenn er am Wochenende wieder abgelichtet wurde. "Prinz", nennen sie ihn jetzt auch bei der Arbeit. Den Spitznamen wird er wohl nie mehr los.

Die Nacht nach der Inthronisation war sehr kurz. Schon geht es weiter

Bei den Auftritten ist der Nachwuchs des Narrenvereins dabei. Die Jugend-Showgruppe "Black Pearls" führt ihre Choreografie auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Nacht nach der Inthronisation war sehr kurz für das Prinzenpaar. Allerlei Orden wurden verteilt: an langjährige Mitglieder, Ehrengäste, die Schneiderin, die Trainer, die Helfer, die Eltern des Kinderprinzenpaares - kaum jemand blieb ungeehrt. OB Hartmann und Landrat Stefan Löwl (CSU) wurden zu Ehrensenatoren ernannt. Die Showgruppen des Vereins "Black Pearls" und "Dancing Diamonds" tanzten ihre Choreografien zum Motto "Crime Time". Und natürlich feierte das Prinzenpaar den Amtsantritt feuchtfröhlich, nachdem das Protokoll abgearbeitet war. Gerade zwei Stunden hat Simon geschlafen, als Anika ihn am Morgen aus dem Bett klingelt. Der Laimer Faschingsclub lädt die Prinzenpaare der Region zum Stelldichein ins Münchner Wirtshaus am Bavariapark. Anika hat deshalb "gleich mit der Frisur geschlafen". Ihre Friseurin musste früh um sieben nur noch Feinheiten richten. Zum Branchentreff kommen beide in Lederhosen, Simon, noch etwas rotfleckig im Gesicht, trägt dazu ein weiß-blaues Karohemd, Anika hohe Absätze. Im Wirtshaus donnert Blasmusik, es gibt Weißwurst und Brezn, leicht bekleidete Tänzerinnen in Nixenkostümen schwingen sich zu knalliger Popmusik über die Bühne. Prinzenpaare in Festgarderobe und bunten Kleidern begrüßen sich, schunkeln miteinander zur Musik. "Das ist ein bisschen wie ein Familientreffen", sagt Simon.

Es gibt andere Gelegenheiten, kostümiert zu feiern, von Motto-Partys bis Halloween

Mit ihrer Regentschaft haben Simon und Anika ein schwieriges Jahr für den Dachauer Fasching erwischt. Der traditionelle Feuerwehrball fiel aus. Grund war ausgerechnet ein fehlendes Brandschutzkonzept. Auch der beliebte Weiberfasching wurde abgesagt. Aus Kostengründen. Einen THW-Ball gibt es ebenso wenig wie einen Faschingsumzug, der bereits seit 2014 nicht mehr durch Dachau zieht. Es fehlt an ehrenamtlichen Helfern. "Früher war Fasching etwas ganz Besonderes und bei den Jugendlichen sehr beliebt. Heute gibt es viele andere Gelegenheiten im Jahr, kostümiert zu feiern, von Motto-Partys bis Halloween", sagt Tobias Schneider vom Dachauer Kulturamt. Für einen Umzug gelten außerdem hohe Auflagen. Die Wagen müssen vorher begutachtet werden. Während der Veranstaltung braucht es viele Sicherheitskräfte, die den Zug begleiten, Schnapsleichen aus dem Weg räumen und das Glasverbot durchsetzen. Auch Prügeleien haben in der Vergangenheit immer wieder Probleme bereitet.

Nur auf dem Land habe der Fasching noch alte Größe

Karl Fischer bedauert den Bedeutungsverlust des Faschings. Er ist Schatzmeister beim Landesverband Bayern Süd der Föderation Europäischer Narren, ein bayerischer Obernarr gewissermaßen. "Leider gibt es immer weniger Faschingsbälle in der Region. Viele Veranstalter wollen es sich nicht mehr leisten, Faschingsgruppen einzuladen", klagt er. Nur auf dem Land habe der Fasching noch alte Größe. Dort sei der Zusammenhalt stärker und der Fasching noch fester Teil des Dorflebens.

Auch der Dachauer Faschingsverein selbst ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Die Mutter der Kompanie ist Michaela Zachmann. Auf ihr Kommando hören alle, Herrschaftstitel hin oder her. Die Präsidentin der Dachauer Faschingsgesellschaft will mit einem Vorurteil aufräumen. Der größte Teil der Vereinsarbeit habe wenig mit verkleiden und herumalbern zu tun, sehr viel dagegen mit Organisation: Ein Motto überlegen, Tänzer auswählen, Choreografien für Garde und Showgruppe erarbeiten, Kostüme ausdenken, Auftritte und Veranstaltungen planen. "Wir sind nicht nur während der Faschingssaison aktiv. Bei uns ist das ganze Jahr Fasching", erzählt sie. Was später leicht und unterhaltsam wirken soll, erfordert strikte Planung und hartes Training.

Der Verein stand vor dem Aus. Der Vorstand war geschlossen zurückgetreten

Die Präsidentin und ihre Stellvertreterin Mirjam Meier leiten das Faschingstreiben. Michaela Zachmann arbeitet im Schlüsseldienstgeschäft ihres Mannes, Mirjam Meier ist Erzieherin, die Freizeit widmen beide dem Fasching. Vor sechs Jahren haben die zwei Frauen das Regiment übernommen. Damals stand der Verein vor dem Aus, denn der Vorstand war geschlossen zurückgetreten. Doch um ihren Kindern weiterhin das Tanzen zu ermöglichen, entschlossen sie sich, den Verein weiterzuführen. Der Sohn von Mirjam Meier war sogar schon Kinderprinz, beide Töchter tanzen nun in der Garde- und Showgruppe. "Wir haben alle Konfetti im Blut", sagt Mirjam Meier.

Eine der wichtigsten Aufgaben der beiden ist es, das Prinzenpaar auszuwählen. Ein fröhliches Gemüt, ein gewinnendes Lächeln, keine Scheu vor Menschen, Trinkfestigkeit und geringes Schlafbedürfnis - das sind wohl die wichtigsten Anforderungen. Auf ihren Faschingsneuling Simon sind sie stolz. Seine bairische Direktheit kommt gut an beim Publikum. Inzwischen beherrscht er die Tänze genauso gut wie die flotten Sprüche. Erzählt Simon vor Zuschauern spontan einen Witz, hält Michaela Zachmann meist die Luft an. Die Scherze können schon mal derbe sein.

Andere Vereine versuchen, die Prinzessin zu stehlen. Dann wird eine Auslöse fällig

Während der Vorbereitung hat sein Amtsvorgänger Simon unter die Fittiche genommen, ihm zum Beispiel Tipps gegeben, wie er eine kurze Rede hält und erklärt, dass es im Dachauer Fasching keine Büttenreden wie im Rheinland gibt. "Er hat mir vor allem gesagt, dass ich gut auf meine Prinzessin aufpassen muss", erzählt Simon. Und das nicht nur um ihretwillen. Ein Brauch ist es nämlich, dass andere Vereine versuchen, die Prinzessin zu stehlen. Passt der Prinz nicht richtig auf, muss er eine Auslöse zahlen. Deshalb hält Prinz Simon nun immer mit einer Hand das Kleid von Anika fest. Doch nicht nur Unaufmerksamkeit kostet Geld, der Fasching wird für das Prinzenpaar ohnehin teuer. Anikas Ausstattung mit dem maßgeschneiderten Kleid, Schuhen, Diadem und Schmuck hat 1000 Euro gekostet. Das zahlt sie aus dem eigenen Portemonnaie. "Prinzessin ist man nur einmal im Leben, da denke ich nicht so viel übers Geld nach." Der Verein übernimmt die Kosten für die Kostüme der Prinzengarden und Showgruppen. Dazu kommen Ausgaben für Bands, Tanzstunden und Dekoration. Pro Saison geht das in die Zehntausende Euro. Immerhin gibt es einen städtischen Zuschuss, etwa 6000 Euro jährlich. Denn mit seinen Veranstaltungen trägt der Verein zum kulturellen Leben in Dachau bei.

Einige Gäste tragen bunte Hüte und Kimono. Es gibt Apfelstrudel mit Sahne

So wie mit dem Faschingsball der Junggebliebenen im Thoma-Haus. Am Abend zuvor war die Schwarze Faschingsnacht der CSU, gegen Mitternacht hatte der Verein noch einen Auftritt in Oberschleißheim. In den frühen Morgenstunden war Präsidentin Michaela Zachmann zu Hause. Dann hat sie erst einmal eine Torte für den Seniorenball zubereitet. Nach ein paar Stunden Schlaf steht sie im Stockmann-Saal und verteilt Luftschlangen. Einige Gäste tragen bunte Hüte und Kimono, eine Seniorin ist im Teufelskostüm gekommen. Es gibt Apfelstrudel mit Sahne, das Lied "The final Countdown" kündigt den Einmarsch des Hofstaats an. Als das Kinderprinzenpaar im grünen Gewand die Bühne betritt, knipsen die Omas und Opas eifrig Erinnerungsbilder. Da stört es nicht, wenn mal nicht alle ganz synchron tanzen.

Bis zu fünf Veranstaltungen wird das Prinzenpaar pro Tag absolvieren

Von Donnerstag, 4. Februar an, beginnt das Finale für Simon und Anika. Bis zu fünf Veranstaltungen werden sie pro Tag absolvieren, ständig zwischen Auftritten in Dachau und München pendeln. Natürlich treten sie beim Skandal-Fasching im Zieglerbräu auf, auch bei der Faschingsparty am Rathausplatz am Samstag winken sie vom Balkon, die Kindergarde besucht die Faschingsparty am Ernst-Reuter-Platz in Dachau-Ost. Vom dichten Terminkalender lässt sich das Prinzenpaar nicht beunruhigen. Prinz Simon will in der Nacht auf Rosenmontag sogar den Super Bowl der amerikanischen Football-Liga schauen. Nur wenige Stunden später tanzt er wieder Walzer. Auch Prinzessin Anika freut sich: "Ich möchte diese Zeit einfach nur genießen". Im Verein heißt es: Prinzenpaar zu sein ist wie vier Wochen zu heiraten. Nächste Woche flittern Anika und Simon.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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