Ergebnisse und Reaktionen:Schockstarre

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Die Verzweiflung über den Aufstieg der AfD schafft eine erstaunliche überparteiliche Solidarität an diesem Wahlabend im Dachauer Landratsamt. Und Landrat Stefan Löwl (CSU) freut sich "über jede Stimme für eine demokratische Partei"

Von Viktoria Großmann und Gregor Schiegl, Dachau

Die Freude bleibt ihr im Hals stecken, sagt CSU-Kandidatin Katrin Staffler über ihren Erfolg. Nicht nur ihr. Im Landratsamt sitzen die Kommunalpolitiker ihrer Partei wie in Schockstarre an den Tischen. Als im Fernsehen die Rede des CSU-Chefs und Ministerpräsidenten Horst Seehofer übertragen wird, stieren Landrat Stefan Löwl, Altlandrat Hansjörg Christmann, der stellvertretende Landrat und Pfaffenhofener Bürgermeister Helmut Zech (alle CSU) auf die Tischplatte. Kein Laut. Keine Zwischenrufe, als um 18 Uhr im Fernsehen die ersten Hochrechnungen laufen - als offenbar wird, dass die völkisch-nationalistische AfD mit mehr als 13 Prozent in den Bundestag einzieht und die CSU das schlechteste Ergebnis seit 1949 eingefahren hat.

Das Mienenspiel der Anwesenden drückt Verzweiflung aus. Die Grünen-Kreisrätin Marese Hoffmann hatte schon davor gesagt: "Ich habe Panik." Jetzt wirft sie die Arme hoch, wendet sich vom TV-Bildschirm ab und lässt sich in einen Stuhl fallen. Schweigend starren alle auf die ersten Ergebnisse der Bundestagswahl aus den 17 Gemeinden des Landkreises Dachau. Katrin Staffler führt, holt etwa in Pfaffenhofen an der Glonn oder in Sulzemoos 56 und 59 Prozent der Stimmen. Das ist doch ein mehr als schöner Erfolg für die 35-jährige Kandidatin, die der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nachfolgen will und das erste Mal angetreten ist. Klar. Aber kaum jemand dreht sich zu ihr. Kein Beifall brandet auf. Auch der fast schon sichere Erfolg des CSU-Kandidaten Christian Blatt bei der gleichzeitigen Bürgermeisterwahl in Erdweg hellt die Mienen nicht auf. "Es ist kein schöner Tag", sagt Landrat Löwl. Und er ist längst noch nicht zu Ende. Es ist 18.45 Uhr.

Die CSU übt Selbstkritik

Der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath sieht eine Verantwortung seiner Partei: "Die CSU hätte sich stärker von Merkel absetzen müssen." Er wisse von einem Mann aus dem Landkreis Dachau, der ihretwegen aus der Partei ausgetreten sei. Wegen der Kanzlerin hätten auch einige Stammwähler wohl diesmal nicht die CSU gewählt. Die Partei ist in Bayern auf unter 39 Prozent gerutscht, im Landkreis Dachau hält sie sich noch bei 42 Prozent. "Wir haben einen guten Bayernplan, aber es muss erkennbar sein, dass er auch umsetzbar ist", versucht sich Seidenath an einer Erklärung. Mit dieser Selbstkritik und dem Bekenntnis zu einer allzu unklaren Richtung, bleibt er nicht allein. Später werden sich Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann und Bundestagskandidat Michael Schrodi ganz ähnlich über ihre Partei äußern, die SPD. Die Opposition werde ihr guttun, sind sich beide einig. "Die SPD redet mehr über soziale Gerechtigkeit, als sie dafür tut", sagt Hartmann. SPD-Landtagsabgeordneter Martin Güll versucht es mit einer Ehrenrettung: "Wesentliche Regierungsarbeit und Verbesserungen im Sozialsystem wurden doch von uns, der SPD, geleistet", sagt er. Zu Optimismus ist hingegen Florian Hartmann an diesem Abend nicht mehr aufgelegt. Er sieht die AfD auch bereits in die nächsten Gemeinderäte einziehen, dabei ist es ja noch drei Jahre hin zu den Kommunalwahlen. Warum sollten die das schaffen? "Weil sie offenbar nichts können müssen", sagt Hartmann nur.

"Man hätte den Warnschuss schon vor vier Jahren hören müssen"

Für den ÖDP-Kreisvorsitzenden Adrian Heim ist der triumphale Einzug der AfD in den Bundestag keine Überraschung. "Das war die erwartete Katastrophe." Im Wahlkampf hätten ihm viele Bürger an den Info-Ständen ins Gesicht gesagt, sie wählten AfD. "Das war vor vier Jahren nicht so", sagt Heim, da habe sich etwas grundlegend verändert. "Die AfD ist salonfähig geworden." Daran trage die Union eine "klare Mitschuld", weil sie beim Versuch, die Sympathisanten der Rechtspopulisten einzubinden, immer weiter nach rechts gerückt sei. "Man hätte den Warnschuss schon vor vier Jahren hören müssen", sagt Heim. Bei der vorangegangenen Bundestagswahl verpasste die AfD den Einzug nur knapp.

Betroffenheit und bedrückte Mienen im Landratsamt angesichts der Hochrechnungen. Auch Bezirkspräsident Josef Mederer (li.) und Altlandrat Hansjörg Christmann (re.) sind besorgt. (Foto: Niels Jørgensen)

Auf dem großen Bildschirm im Sitzungssaal flimmert Horst Seehofer. Mit steinernem Gesicht verkündet der Ministerpräsident, die rechte Flanke der CSU sei offen und müsse bis zur Landtagswahl 2018 geschlossen werden. "Das ist genau der falsche Weg", seufzt Heim. Die Parteien müssten ein klares Kontra geben, sich abgrenzen. "Im Vordergrund müsste der humanitäre Umgang mit den Flüchtlingen stehen", sagt Heim. Statt dessen: Obergrenze, Obergrenze. Immer wieder diese Obergrenze. Auch Marese Hoffmann fürchtet, die CSU werde reagieren, "indem sie immer weiter nach rechts rückt. Aber wie soll das gehen? Sollen wir alle Flüchtlinge einfach rausschmeißen?"

Nun ist die ÖDP auch eine Partei, die sich gerne in Stellung bringt gegen die Etablierten und sich scharf abgrenzt, beispielsweise weil sie, anders als die Großen, Firmenspenden jeder Art strikt ablehnt. So eine Partei könnte man doch auch wählen, aus Protest oder Überzeugung. Aber die ÖDP stolpert im Landkreis gerade mal so über die Ein-Prozent-Marke. "Das liegt daran, dass wir keine einfachen Lösungen anbieten", sagt Heim. Aber der Wähler wolle nur eine einfache Lösung.

"Ich gehe jetzt feiern", sagt die Grünen-Kreisvorsitzende Marese Hoffmann

Landrat Stefan Löwl teilt diese Analyse. "Die Politik wird immer schwieriger und komplizierter", sagt er, gleichzeitig sei eine "Bewegung weg von den demokratischen, lösungsorientierten Parteien" festzustellen. Das stimmt aber nur teilweise: FDP und Grüne legen so zu, dass Grünen-Kreisvorsitzende Marese Hoffmann sich vorzeitig aus dem Wahl-Hauptquartier verabschiedet. "Ich gehe feiern", sagt sie. "Trotz der traurigen Gesamtumstände." Immerhin, das in Bayern zweistellige Ergebnis der Grünen "macht mich glücklich".

Michael Schrodi als guter Verlierer. Spätestens seit dem TV-Duell habe er sich gedacht, dass es für die SPD nicht gut ausgeht, sagt der Direktkandidat. (Foto: Niels Jørgensen)

Besonders traurig sind an diesem Abend die Sozialdemokraten. Man sieht sie lange nicht, nur einen sehr traurigen Martin Schulz im Fernsehen. Dann kommen bestürzende Zahlen aus den Landkreisen: Die SPD liegt vielerorts weit hinter der AfD. Das schockiert sogar CSU-Mann Löwl. Und es besorgt ihn. "Man muss ja auch mit jemandem regieren." Das alte Parteiengefüge ist in Auflösung. Und die SPD scheint sich gleich mit aufzulösen. Das schafft eine erstaunliche, überparteiliche Solidarität an diesem Abend. "Ich freue mich über jede Stimme für eine demokratische Partei", sagt Löwl - also für alle "außer AfD und Linke". Es geht jetzt nicht mehr ums Regieren. Es geht ums Ganze: "Wenn die Opposition aus Radikalen besteht, ist das ein Problem."

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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